Jugendliche mit chronischer Nierenerkrankung Schwieriger Übergang ins Erwachsenenleben
Kinder und Jugendliche mit chronischen Nierenerkrankungen (CKD)/Dialysepflicht bzw. nach einer Nierentransplantation bedürfen einer individuellen Betreuung und Behandlung. Dies ist mit zwei großen Herausforderungen verbunden: Geringe Fallzahlen mit meist seltenen und hochkomplexen Erkrankungen machen die Betreuung aufwändig, und sie ist häufig nur interdisziplinär zu gewährleisten. Hinzu kommen durch die Erkrankung bedingte hohe Belastungen für alle Beteiligten – für die Heranwachsenden selbst, die Eltern, Ärztinnen und Ärzte, die Pflegenden, Betreuerinnen und Betreuer in Schule, Ausbildung und für das Gesundheitssystem. Bei den Betroffenen können in unterschiedlichem Ausmaß Entwicklungsverzögerungen und -störungen auftreten, der Alltag wird durch häufige Krankenhausaufenthalte bzw. durch die regelmäßigen Dialysebehandlungen sehr beeinträchtigt und das Selbst-Management der Erkrankung überfordert viele Patientinnen und Patienten. Das wiederum kann in vielen Fällen zu einer Verschlechterung des gesamten Gesundheitszustands oder auch zum Transplantatverlust beitragen.
Eine vernetzte interdisziplinäre Versorgung könnte das Leben für die Betroffenen, insbesondere bei der Transition aus dem pädiatrischen Bereich in die Erwachsenenmedizin, sehr erleichtern; gleichwohl gibt es in vielen Bereichen in Deutschland noch keine wirklich guten (nationalen) Lösungen, von denen die vergleichsweise wenigen betroffenen Kinder und Jugendlichen aber enorm profitieren könnten. Eine gute Transition könnte bei transplantierten Patientinnen und Patienten den Transplantatverlust, der gerade in diesem Alter häufig auftritt, eventuell verhindern.
Ursachen der Niereninsuffizienz im Kindesalter
Die Ursachen für eine chronische Nierenerkrankung im Kindesalter sind vielfältig und das Erkrankungsspektrum, mit dem Kindernephrologinnen und -nephrologen konfrontiert sind, ist breit gefächert. Es reicht von Fehlbildungen der Nieren, des Nierenbeckens oder der Harnleiter bis hin zu genetisch bedingten Erkrankungen und erworbenen Erkrankungen des Immunsystems. Dass es jeweils immer nur vergleichsweise wenige Betroffene gibt, macht die Diagnostik, Behandlung und Transition nicht leichter, da jeder Fall einer individuellen Betreuung bedarf. In Deutschland erkranken jährlich ca. 100 bis 200 Kinder neu an einer, nach der KDIGO-Schweregradeinteilung, hochgradigen chronischen Nierenerkrankung und werden auf der Warteliste für eine Transplantation registriert. Etwa ebenso viele wie neu erkrankte Kinder erhalten laut Berichten der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) entweder nach einer postmortalen (71) oder nach einer Lebendspende (20) ein Spenderorgan, die Zahlen sind relativ konstant. Die Wartezeit dauert derzeit im Schnitt ca. zwei Jahre, steigt jedoch seit 2017 an, konstatierte Univ.-Prof. Dr. med. Stefanie Weber, Leiterin der Kindernephrologie, Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Zentrum für pränatale Medizin und fetale Therapie, Transplantationszentrum Marburg, Universitätsklinikum Marburg im Rahmen ihres Vortrags beim Berliner Dialyseseminar 2023. Damit verstärke sich der Bedarf, die zur Überbrückung notwendige Nierenersatztherapie mit einer Dialyse optimal zu gestalten.
Häufige Ursachen für eine CKD sind sowohl hereditäre Nierenerkrankungen wie auch angeborene Fehlbildungen uro- und nephrogener Embryonalanlagen (CAKUT*), die bei einem Teil der Kinder zu einem frühen terminalen Nierenversagen führen. Bei Jugendlichen ergänzt sich das Erkrankungsspektrum um die erworbenen vaskulitischen/autoinflammatorischen Nierenerkrankungen, erläuterte Frau Prof. Weber.
Ein Großteil der Heranwachsenden, die dialysepflichtig sind und dann transplantiert werden, hat Nierenfehlbildungen als Grunderkrankung. Sie treten bei ca. 1 % aller Menschen in Deutschland auf und sind nur in seltenen Fällen hochgradig. Sie treten in verschiedenen Formen auf – isoliert, komplex mit verschiedensten extrarenalen Manifestationen oder syndromal [Eur J Hum Genet 2023] – und weisen ein ausgesprochen heterogenes klinisches Erscheinungsbild auf. Mit Zunahme der vorgeburtlichen Vorsorgeuntersuchungen unter Einsatz neuer technischer Ausstattungen werden zunehmend Nierenfehlbildungen auch schon vorgeburtlich detektiert, so die Expertin. Heute seien bei 0,2 bis 0,8 % aller Schwangerschaften auffällige Untersuchungsergebnisse festzustellen.
Kinder, die mit einer Nierenfehlbildung geboren werden und die z. T. schon ab der Geburt eine Nierenersatztherapie brauchen, bedürfen dann einer interdisziplinären Versorgung, Betreuung und Beratung, betonte Professorin Weber, um die Zeit bis zu einer Transplantation zu überbrücken. Im besten Fall werden sie im Kleinkind- oder Kindergartenalter transplantiert, erreichen das Adoleszenzalter und bilden dann einen Teil der Klientel, bei der eine Transition aus dem pädiatrischen Bereich in die Erwachsenenmedizin erforderlich wird.
Bei Kindern mit CKD spielt die Genetik eine ganz besondere Rolle. Etwa 40 bis 60 % der Patient:innen haben eine genetische Determinierung ihrer Grunderkrankung, wie eine Single-Center-Beobachtung mit mehr als 600 Teilnehmenden ergab. Die Liste möglicher zugrunde liegender Gene erweitere sich kontinuierlich, da immer neue genetische Subtypen identifiziert werden, die einzelnen Erkrankungsgruppen mit einer nephrologischen Beteiligung zugeordnet werden können. Dies sei hochrelevant, weil zahlreiche dieser genetischen Determinanten sich nicht nur in einem renalen Phänotyp manifestieren, sondern bei etwa 25 bis 30 % dieser Kinder auch extrarenale Fehlbildungen adressiert werden müssen (Gehirn-, Knochen-, Herzfehlbildungen, Innenohrschwerhörigkeit etc.) [Kagan et al., Pediatr. Nephrol 2022]. Je weiter sie in die Adoleszenz kommen, desto häufiger treten auch Erkrankungsgruppen in den Vordergrund, die in der Erwachsenennephrologie typisch sind (Vaskulitiden, Glomerulonephritiden).
Während der Entwicklung vom Kind zum Jugendlichen und schließlich zum Erwachsenen nimmt zusätzlich der Einfluss psychosozialer Faktoren stark zu und die Alltagsbelastungen durch eine chronische Erkrankung verstärken sich. Eine rechtzeitig geplante Transition, d. h. geordnete interdisziplinäre Überleitung in die Erwachsenenmedizin ist daher für alle betroffenen Jugendlichen von allergrößter Bedeutung, betonte die Referentin abschließend.
Eine CKD bedingt reduzierte Entwicklungsräume und -Chancen
Wie stark die Auswirkungen einer chronischen (Nieren)-erkrankung auf Kognition, Emotion und das Verhalten im Laufe der kindliche Entwicklung sind, was das für die Lebenswirklichkeit der kranken Kinder und Jugendlichen im Erwachsenenalter bedeutet und welche Hilfesysteme zur Verfügung stehen, demonstrierte Dr. Jenny Prüfe, Psychologin (PhD, MPhil) Dipl. Reha-Päd., Universitätsmedizin Essen. Angesichts der gravierenden Veränderungen, die gesunde wie auch chronisch kranke Kinder im Laufe der Adoleszenz erfahren, sei es außerordentlich wichtig, dass CKD-Patientinnen und -Patienten wie auch deren Eltern in der Pädiatrie frühzeitig auf den Übergang in die Erwachsenenmedizin vorbereitet werden. Dazu gehöre von klein auf die Vermittlung von erkrankungsbezogenem Wissen und Selbstfürsorgekompetenzen. Vor dem eigentlichen Transfer kommt dann die Information über Angebote wie strukturierte Transitionsprogramme hinzu. Außerdem sollte die Kontaktaufnahme zu den empfohlenen oder von den Betroffenen ausgewählten weiterbetreuenden Kollegen unter Berücksichtigung der individuellen Besonderheiten und des aktuellen Stadiums der Nierenerkrankung (Prädialyse, Hämo- oder Peritonealdialyse, Transplantationsnachsorge) erfolgen.
Nicht-normative Entwicklungsaufgaben für Kinder mit CKD und deren Eltern
Menschliches Erleben und Verhalten, so erläuterte die Entwicklungspsychologin, unterliegen zeitlich überdauernden, aufeinander aufbauenden Veränderungen (das schließt sowohl den Auf- als auch den Abbau von Fähigkeiten ein). Dabei interagieren körperliche sowie kognitive Entwicklung, Verhalten und Umwelt. Der Verlauf ist bei jedem Menschen (intra- und interindividuell) variabel und innerhalb bestimmter Margen tolerabel, erklärte Frau Dr. Prüfe. Ziel ist, in den verschiedenen Altersphasen klassische körperliche und kognitive Fähigkeiten zu erlangen (krabbeln, laufen, sprechen, emotionales und Sozialverhalten etc.). Diese Entwicklungsschritte zu gehen, kann im Rahmen einer chronischen Nierenerkrankung − besonders, wenn sie schon früh im Leben eines Kindes auftritt − deutlich erschwert sein. Probleme können dabei bedingt sein durch
- unmittelbare Folgen der Niereninsuffizienz (z. B. Gedeihstörung, Nährstoffmangel),
- extrarenale Erkrankungsmanifestationen im Rahmen von Syndromen (z. B. Sinnesbeeinträchtigungen, strukturelle Hirnveränderungen oder metabolische Funktionsstörungen), sowie
- Umweltfaktoren (z. B. traumatische Erfahrungen, erschwerte Sozialkontakte, beeinträchtigte Entwicklungsräume).
Eine schwere Nierenerkrankung bringt zudem für Eltern und Kind sogenannte nicht-normative Entwicklungsaufgaben mit sich. Dies meint Aufgaben, die sich nicht jedem Menschen in seiner Entwicklung stellen, aber von einem chronisch kranken Kind zusätzlich bewältigt werden müssen, wie z. B. mit der Erkrankung und deren Folgen umzugehen.
Frühe Transplantation hat einen hohen Nutzen
Können die Kinder zügig transplantiert und die Dialyse kurz gehalten werden, so wurde in einer kleineren eigenen Studie beobachtet (bisher unveröffentlichte Daten), dass gerade Kleinkinder in ihrer Entwicklung hiervon sehr profitieren, berichtete Frau Dr. Prüfe. Ohne die Dialyse (und deren Nebenwirkungen) hatten sie deutlich bessere Entwicklungsmöglichkeiten und -chancen.
Fehlende Psychotherapie
Weitere Daten aus der MMH zu familiären Belastungen, gesundheitsbezogener Lebensqualität und psychischem Befinden bei Kindern und Jugendlichen nach Nierentransplantation [Uhlig M Hannover 2020) haben gezeigt, dass diese jungen Menschen überdurchschnittlich häufig Anzeichen für psychische Auffälligkeiten, vor allem aus dem internalisierenden Formenkreis aufweisen: Ängstlichkeit, Depressivität, Angststörungen. Aber obwohl bei einem Drittel der untersuchten Kinder und Jugendlichen eine Indikation für weiterführende psychotherapeutische Diagnostik und Intervention bestand, erhielten nur knapp 10 % eine Therapie. Das liege einerseits daran, dass die Wartezeit auf einen Therapieplatz im Schnitt etwa ein Jahr und regional auch länger betrage und andererseits Therapeuten teilweise diese Gruppe komplex somatisch erkrankter Kinder scheuten, erklärte Dr. Prüfe.
Transition – Herausforderung in einer schwierigen Lebensphase
Die etwa ab dem 10. Lebensjahr beginnende Adoleszenz ist auch bei gesunden Kindern mit großen Herausforderungen verbunden. Es handelt sich um eine Entwicklungsphase, die auch mit erhöhter Risikobereitschaft junger Menschen einhergeht. Krankheitsbedingte Beeinträchtigungen bei Kindern mit einer chronischen Nierenerkrankung (durch Therapiezeiten, exekutive Dysfunktion, eingeschränkte Kognition, reduzierte körperliche und psychische Belastbarkeit, TX-assoziierte Einschränkungen und unzureichende Vorbereitung auf das Arbeitsleben) in Kombinationen mit pubertären Verhaltensänderungen erschweren dann deren schulische Bildung und berufliche Inklusion umso mehr. Studien aus den Niederlanden, Schweden und den USA haben gezeigt, dass sich das weit ins Erwachsenenalter hinein auswirkt, z. B. durch Arbeitslosigkeit oder Mangel an Selbstständigkeit.
Zusätzliche Probleme können auftreten, weil der eigentliche Transfer zumeist in einer Lebensphase stattfindet, die von weiteren vielseitigen psychosozialen Veränderungen bei noch nicht abgeschlossener körperlicher und hirnorganischer Entwicklung geprägt ist (zwischen dem 18. und 22. Lebensjahr).
Die Transition, so fasste die Referentin zusammen, gestalte sich in einer sensiblen Entwicklungsphase wie der Pubertät aufgrund der Folgen einer chronischen Erkrankung und durch viele weitere Transitionsbarrieren recht schwierig. Dazu zählen in den Ebenen Patient, Umfeld, Gesundheitssystem und Arzt u. a.:
- Krankheits-/störungsbedingte und persönliche Faktoren der Betroffenen
- Barrieren aufseiten des sozialen Umfeldes (inkl. Eltern) sowie der Leistungserbringer
- der Zugang zur ärztlichen Versorgung und zu nichtärztlichen Transitionsressourcen
- Strukturbarrieren wie die Organisation von Transitionsprozessen und Verantwortlichkeiten in der ärztlichen Versorgung und fehlende Finanzierung von Transitionsleistungen
- mangelnde Information, Kommunikation und Vernetzung der am Transitionsprozess Beteiligten
Für ihr Fazit führte Jenny Prüfe das Zitat eines Nephrologen an, der an einer ihrer Studien zur Transition teilgenommen hatte: „Transition ist ein schwieriges Thema, denn Du musst verschiedene Hürden überspringen, inklusive logistischer und institutioneller Grenzen und das für eine kleine Gruppe von Patienten mit sehr besonderen Bedürfnissen und ohne dafür hinreichend entlohnt zu werden. Am Ende hängt es immer an der engagierten Arbeit einiger weniger.“
Transition in der Praxis
Erfahrungen zum Transitionsprozess in der klinischen Praxis vermittelte die Kindernephrologin PD Dr. Julia Thumfart, Leitende Oberärztin in der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Gastroenterologie, Nephrologie und Stoffwechselmedizin der Berliner Charité. Somatische, mentale und soziale Besonderheiten der Adoleszenten seien gleichermaßen zu berücksichtigen, um den Übergang von dem einen in das andere Versorgungssystem „ohne Bruch“ zu gewährleisten, betonte die Referentin. Da die langjährige Betreuung im Kindernephrologischen Zentrum sehr familienzentriert, mit starker Einbeziehung der Eltern, meist durch eine enge emotionale Bindung geprägt ist, kann die Trennungsphase durchaus schmerzhaft für alle Beteiligten sein; aber je sorgfältiger die Transition vorbereitet und die begleitende Unterstützung im Transferprozess ist, desto besser werden es alle Beteiligten verkraften. Gleichwohl müssen sie sich daran gewöhnen, dass sich einiges ändern wird, verdeutlichte die Referentin. Übernahm das Kindernephrologische Zentrum die Behandlungskoordination, standen eigene psychosoziale Angestellte und Diätassistentinnen zur Verfügung, waren die stationäre und die ambulante medizinische Betreuung dort stark verzahnt – das Personal, die wenigen Patienten und deren Angehörige kannten sich −, so ist nach dem Transfer sehr viel mehr Eigenverantwortung und Selbstständigkeit sowie ein Stückweit auch die Abnabelung der jungen Patienten von den Eltern gefordert. Das beginne z. B. damit, dass die Jugendlichen ab einem bestimmten Alter an Schulungen teilnehmen, je nach kognitivem Entwicklungsstand allein ins Sprechzimmer gehen und Elternsprechstunden nur noch gelegentlich stattfinden oder geteilte Termine vergeben werden.
Da hauptsächlich chronisch niereninsuffiziente Patienten mit seltenen Grunderkrankungen und häufig weiteren Organmanifestationen behandelt werden, bestehe die besondere Herausforderung für die Kindernephrologen darin, die komplette medizinische Behandlungskoordination für Prävention bzw. Therapie urologischer, metabolischer, gastroenterologischer und anderer Komorbiditäten sowie die berufliche und soziale Rehabilitation für den Transfer frühzeitig (im Alter von 12 bis 14 Jahren) vorzubereiten, erklärte Frau Dr. Thumfart. Zu berücksichtigen sind dabei auch die verzögerte körperliche Reifung der Patienten und der eventuelle Bedarf einer psychiatrischen und psychologischen Betreuung. Wichtigstes Anliegen dabei sei, dass „niemand vom anstehenden Übergang ins Erwachsenenleben überrascht“ werde.
Orientierung dafür, wie die Transition gut gelingen kann, bietet mittlerweile eine S3-Leitlinie „Transition von der Pädiatrie in die Erwachsenenmedizin“ (2021), die für alle pädiatrischen Erkrankungen gilt.
Praktisch gehe es darum, die Jugendlichen zu befähigen, die eigene medizinische Versorgung zu organisieren (Blutdruckmonitoring, Medikation, Arzttermine), Entscheidungen zu treffen und sie durchzusetzen. Des Weiteren sollte den Familien frühzeitig empfohlen werden, sich je nach individuellen Bedürfnissen, ggf. mit Unterstützung des Kindernephrologischen Zentrums, weiterbehandelnde Ärzte zu suchen und sich über begleitende Angebote wie Transitionsprogramme sowie Versorgungseinrichtungen zu informieren. Hilfreich sind dann neben einer ausführlichen schriftlichen Epikrise mit allen Vorbefunden telefonische Kontakte zur Abstimmung und für Rückfragen, für die die Zentren zur Verfügung stehen. Idealerweise findet zum „Einstieg“ eine gemeinsame Sprechstunde mit dem zukünftigen behandelnden Arzt/der Ärztin statt. Dies wäre auch der richtige Zeitpunkt, um noch einmal eindringlich darauf hinzuweisen, wie wichtig die eigenverantwortliche Transplantationsnachsorge, vor allem die Medikamenteneinnahme ist, um Infektionen, Abstoßungsreaktionen und letztlich einen Transplantatverlust zu verhindern. Leider funktioniere das Angebot gemeinsamer Sprechstunden in der Realität nicht optimal, räumt Dr. Thumfart ein.
HD oder PD?
Einen gewissen Vorteil im Transitionsprozess haben Kinder an der Hämodialyse (HD), da sie schon viel Zeit allein an der Dialyse verbringen und dadurch selbstständiger sind. Sie sind sehr vertraut mit dem medizinischen Personal, man kann bei Bedarf schnell miteinander kommunizieren und reagieren. Andererseits ist aber auch zu bedenken, dass sie beim Wechsel in die Dialyse-Praxis, in der Erwachsene behandelt werden, eine völlig andere, für sie ungewohnte Atmosphäre und Klientel vorfinden werden. Auch darauf müssen wir sie vorbereiten, hebt Frau Dr. Thumfart hervor. Ein guter Kontakt zum gewählten weiterbehandelnden Erwachsenendialysezentrum und ggf. ein (Kennlern)-Gespräch über die Bedingungen dort kann den Übergang erleichtern.
Eine Peritonealdialyse (PD) in der Adoleszenzphase hält sie für schwierig und nach ihrer Erfahrung schafft das kaum ein 18-Jähriger komplett allein. Zudem wäre eine PD in dieser Phase mit vielen Risiken verbunden. So besteht die Gefahr der Reduktion des PD-Programms durch Überspringen von Zyklen, um das Ganze zu verkürzen. Die jungen PD-Patienten haben mehr Schwierigkeiten mit der Medikamentenadhärenz als HD-Patienten und die Komplexität der Behandlung steht der Autonomie im Weg [Silverstein et al. Pediatr Nephrol 2014; Krischock et al. Nephrology 2017]. Die meisten Dialysepflichtigen ab 16 Jahren wählen aus genau diesen Gründen die HD.
Hilfen im Transitionsprozess
Ein wichtiger Baustein zur Sicherung von Behandlungskontinuität sind Transitionsprogramme. Das zwar nicht flächendeckende und nicht speziell für CKD-Patientinnen und -Patienten gedachte, aber bislang am besten etablierte ist das Berliner Transitionsprogramm (BTP) „Mit Schwung in die Zukunft“, um den Wechsel von chronisch kranken Jugendlichen in die Erwachsenenmedizin zu strukturieren. Nach der Anmeldung (ein Jahr im Voraus) bekommen die Jugendlichen ein Fallmanagement an die Seite gestellt, was auch später helfen soll, im Transitionsprozess Termine zu koordinieren. Fester Bestandteil ist ein standardisiertes Transitionsgespräch, das extra vergütet wird, ebenso eine ausführliche standardisierte Epikrise. Am Ende steht eine gemeinsame Sprechstunde mit dem weiterbehandelnden Erwachsenenmediziner oder -medizinerin und der Pädiaterin bzw. dem Pädiater. Die Realität bei uns ist allerdings so, dass die meisten Jugendlichen solch ein Angebot irgendwie gar nicht wollen. Sie melden sich nicht an, auch wenn wir es empfehlen; sie sagen, „ich brauche kein Fallmanagement“, berichtete Frau Dr. Thumfart.
Eine weitere Möglichkeit, in einer integrativen und familienorientierten Therapieform für Kinder und Jugendliche mit Dialysepflicht und mit Organerkrankungen vor und nach der Transplantation sowie deren Familien Unterstützung zu erhalten, ist die Einschreibung in das KfH-Transfer-Programm „Endlich erwachsen“. Das Konzept dieses Transitionsprogramms beinhaltet die Vermittlung notwendigen Wissens und maßgeschneiderte Hilfestellung für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, damit er oder sie die Krankheit akzeptieren und bewältigen kann. Ziel sämtlicher Maßnahmen am Rehazentrum Ederhof ist eine kontinuierliche Stärkung des Körpers – die Schwerpunkte liegen auf einer ausgewogenen Mischung aus körperlichen Aktivitäten und Entspannung.
Nicht zu vergessen, so ergänzte Dr. Thumfart, sind neben den strukturierten Transitionsprogrammen die ehrenamtlichen Transitionshilfen wie Kinderhilfe Organtransplantation, lokale Vereine für Eltern- und Jugendliche, wie z. B. NierenKinder Berlin-Brandenburg e.V., Nierenkranke Deutschland e.V. und Bundesverband Niere e.V.. Auch dafür können Erwachsenenmediziner ihren jungen Patienten und ihren Eltern bei Hilfebedarf eine Empfehlung geben.
Ausblick
Um die medizinische Nachsorge nach einer Nierentransplantation zu verbessern und für junge Transplantierte die Transition zu erleichtern, gibt es verschiedene Forschungsaktivitäten. In der NTx-Nachsorge läuft beispielsweise aktuell eine große Studie smartNTx als Innovationsfondprojekt. Es soll ermittelt werden, ob mittels telemedizinischer Unterstützung das Risiko eines Transplantatverlusts verringert werden kann. Die neue Versorgungsform smartNTx richtet sich an Transplantierte im ersten Nachsorgejahr und wird in den Nierentransplantationszentren des Uniklinikums Erlangen, des Uniklinikums Essen und der Charité – Universitätsmedizin Berlin angeboten. Das smartNTx-Projekt wird von 2022 bis 2025 mit 5,7 Millionen Euro durch den Innovationsfonds gefördert.
* Congenital Anomalies of the Kidney and Urinary Tract
Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: Nierenarzt/Nierenärztin 5/2024