Brust- und Ovarialkrebs Eine Mutation! … Oder?

Autor: Dr. Moyo Grebbin

Neue genetische Veränderungen sollen hinsichtlich ihrer Pathogenität besser eingeordnet werden. Neue genetische Veränderungen sollen hinsichtlich ihrer Pathogenität besser eingeordnet werden. © Giovanni Cancemi – stock.adobe.com

Rund 800 neue DNA-Veränderungen mit unbekannter klinischer Relevanz treten jedes Jahr in der gynäkologischen Diagnostik zutage. Wer sich deren Klassifikation angenommen hat und wie die Forschenden vorgehen, erklärten zwei Beteiligte. 

Um neue genetische Veränderungen hinsichtlich ihrer Pathogenität einordnen zu können, gründete die Vortragende Prof. Dr. Rita ­Schmutzler von der Universitätsklinik Köln das interaktive Netzwerk HerediVar (Hereditary Breast and Ovarian Cancer as a Paradigm). Genvarianten sollen so bio­informatisch und funktionell analysiert und die Erkenntnisse mit klinischen Datenbanken verknüpft werden. „Es ist ein gemeinsames Projekt des deutschen GB-HBOC*-Konsortiums, an dem sich bisher 23 Universitätszentren beteiligen – darunter alle NCT“, erklärte die Sprecherin. 

Hauptziel des GB-HBOC sei es, neue Risikogene zu identifizieren. Sein wichtigster Baustein ist die zentrale Datenbank „HerediCaRe“. Sie umfasst klinische Informationen zu rund 144.000 Individuen und mehr als 90.000 Familien. „Damit ist sie weltweit das größte Register dieser Art“, betonte Prof. Schmutzler. Als weitere Informationsquelle dient eine DNA-Biobank mit ca. 30.000 Proben.

Dadurch, dass mittlerweile in der Diagnostik routinemäßig genetische Tests wie Genpanels zum Einsatz kommen, würden jedes Jahr rund 800 neue „variants of unknown significance“ (VUS) erkannt, erklärte die Referentin. Von 9.600 genetischen Varianten in der zentralen Datenbank zählten 5.100 zu den VUS. Wie die Forschenden deren Klassifikation beschleunigen, standardisieren und verbessern möchten, stellte Prof. ­Schmutzlers Kollege PD Dr. Jan Henning ­Hauke, Uniklinik Köln, vor. Es gibt dazu insgesamt vier Ansätze:

  1. Die Entwicklung einer interaktiven Variantendatenbank
  2. Die Zentralisierung eines quantitativen Splice-Assays
  3. Die VUS-Charakterisierung mittels zentralisierter, automatischer Wahrscheinlichkeitsberechnungen, basierend auf der HerediCaRe-Datenbank
  4. Die funktionelle Charakterisierung der Varianten mittels DNA-Reparatur- und Replikations­assays

Dr. ­Hauke beteiligt sich besonders an Punkt drei dieser Lis­te und präsentierte die entsprechenden Subprojekte. Im ersten davon nutzt sein Team sogenannte Co-Occurrence-Analysen: Es sollen alle VUS identifiziert werden, die in trans mit einer bekannten, krankmachenden Mutation im selben Gen vorliegen. „Das gemeinsame Vorkommen einer klar pathogenen Variante zusammen mit einer zweiten pathogenen Variante auf dem anderen Allel ist sehr unwahrscheinlich, denn es führt meist zu embryonaler Letalität, etwa im Beispiel von BRCA1“, so der Referent. Liegt eine bekannte pathogene Variante auf dem anderen Allel vor, spricht das also dagegen, dass eine VUS krankheitsauslösend ist. „Dafür müssen wir die Phase kennen, also wissen, ob die Varianten in trans oder cis vorliegen.“ Von rund 200 VUS, die gemeinsam mit einer bekannten, schädlichen Mutation vorkommen, fanden die Forschenden bislang 17, die in trans vorlagen, 18 in cis – für den Rest ist es noch nicht bekannt. „Für einige Varianten konnten wir Hinweise finden, die gegen eine Pathogenität sprechen“, fasste Dr. Hauke zusammen.

Prof. Rita Schmutzler für Präventionsforschung geehrt

Die Hauptpreisträgerin des Deutschen Preises für Krebspräventionsforschung 2023 sei eine international anerkannte Pionierin der risikoadaptierten Prävention von Brust- und Eierstockkrebs, teilte das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) mit. Ziel ihrer Forschung ist es, die genetischen Ursachen für eine Veranlagung aufzuschlüsseln und Betroffenen risikoangepasste Präventionsprogramme anzubieten. Den Preis verlieh das DKFZ der Gynäkologin Prof. Dr. ­Rita ­Schmutzler im Rahmen des dritten Deutschen Krebsforschungskongresses. Finanziert wird die Auszeichnung von der Manfred Lautenschläger-Stiftung. 

Projekte, die sich Fragen der Krebsprävention widmen, seien in der Forschung unterrepräsentiert und unterfinanziert, sagte Prof. Dr. ­Michael ­Baumann, Vorstandsvorsitzender des DKFZ. Für junge Wissenschaftler:innen seien sie oft wenig attraktiv, denn Erfolge von Präventionsprogrammen lassen sich meist erst Jahre oder sogar Jahrzehnte nach ihrer Einführung in der Statistik ablesen. Er dankte Dr. ­Manfred ­Lautenschläger und seiner Stiftung dafür, dass es mit diesem Preis nun möglich sei, einen Anreiz für Wissenschaftler:innen zu schaffen, die sich auf diesem lebensrettenden Forschungsgebiet engagieren möchten.

Prof. ­­Schmutzler initiierte und leitete zahlreiche Forschungsprojekte zur Identifizierung von Brustkrebs-Risikogenen. Von 2005 an koordinierte sie das Deutsche Konsortium Familiärer Brust- und Eierstockkrebs. In dieser Rolle setze sich Prof. ­Schmutzler unermüdlich dafür ein, dass Erkenntnisse der genomischen Medizin in die klinische Versorgung Eingang finden, begründete das DKFZ die Auswahl. Nach Medizinstudium und Facharzt­ausbildung in Bonn sowie zwei Forschungsstipendien in den USA übernahm Prof. ­Schmutzler ab 1994 den Aufbau und die Leitung des Zentrums Familiärer Brust- und Eierstockkrebs an der Frauenklinik Bonn. Seit 2003 ist sie Universitätsprofessorin an der Universität zu Köln und leitet seit 2012 als Direktorin das dortige Zentrum Familiärer Brust- und Eierstockkrebs. 

Pressemitteilung DKFZ
 

Stammbäume von Familien auf VUS analysiert

Im zweiten Subprojekt kommt die Kosegregation zum Einsatz. Die Methode fußt darauf, aus Stammbäumen zu ermitteln, ob ein kausaler Zusammenhang zwischen Krebs und VUS vorliegt. „Dafür benötigen wir für jede zu untersuchende VUS Stammbäume von zwei, drei oder mehr Familienmitgliedern“, so Dr. Hauke. Für jeden einzelnen Stammbaum werde ein Wahrscheinlichkeitswert berechnet. Einzeln seien diese sehr gering, durch die Kombination mehrerer Stammbäume ließen sich aber Werte von gewisser Signifikanz erreichen. Um die Aussagekraft weiter zu erhöhen, genotypisieren die Forschenden zusätzliche einzelne Individuen. 

Panel empfiehlt, welche Varianten zu prüfen sind

Als dritte Herangehensweise nutzt das Team die persönliche sowie die Familienhistorie, um daraus logis­tische Regressionsmodelle abzuleiten. Für einige Varianten der Gene BRCA1 und BRCA2 erhielten die Forschenden so z.B. Wahrscheinlichkeiten mittlerer Aussagekraft, für einzelne sogar extrem hohe Werte. „Das ergab auch Sinn, da es sich dabei z.B. um bekannte Spleißstellen-Varianten handelte“, betonte Dr. ­Hauke.

Zu den VUS, die bislang funktionell charakterisiert wurden, gehören nicht-kanonische TP53-Veränderungen oder Varianten in Genen wie ATM, die mit genetischer Instabilität in Zusammenhang stehen. Zudem empfiehlt ein HerediVar-Expert:innenpanel, welche Varianten im Labor untersucht werden sollten. Von etwa 50 der in einer der Arbeiten analysierten Genveränderungen stellten sich die meisten als gutartig heraus.

*    German Consortium Hereditary Breast and Ovarian Cancer

Quelle:
Schmutzler R, Hauke JH. Deutscher Krebsforschungskongress; Vortrag „Integrating bioinformatics and functional genomics in the clinical classification of genetic variation: Hereditary breast and ovarian cancer as a paradigm (HerediVar­)“