Tumorrisiko unter TNF-Blockade Die Inhibitoren und der Krebs
Vor über 50 Jahren wurde ein Zytokin entdeckt, das von Makrophagen gebildet wird und zum Absterben von Tumoren führt. Sein Name war schnell gefunden: tumor necrosis factor (TNF), frei übersetzt „Krebs-Zerstörer-Faktor“. In der Tat führte bei Mäusen die Injektion von TNF in transplantierte Sarkome zu deren Nekrose. Therapeutisch konnte sich TNF jedoch nicht durchsetzen. Die systemische Applikation löst einen Zytokinsturm und Schock aus, weshalb diese Form der Tumortherapie nicht weiter verfolgt wurde.
Im Verlauf der Zeit stellte sich heraus, dass der tumorzerstörende Aspekt nur eine von vielen Funktionen des TNF widerspiegelt, woraufhin vor ca. 20 Jahren TNF-Inhibitoren zur Therapie entwickelt wurden. Von Beginn an war die Sorge groß, man könnte durch die therapeutische Blockade des „Tumorzerstörers“ beim Menschen Krebs auslösen, erinnert sich Prof. Dr. Kimme Hyrich, Centre for Musculoskeletal Research, University Manchester. Und tatsächlich gab es schon bald die ersten Berichte über Tumoren bei Patientinnen und Patienten, die wegen einer rheumatoiden Arthritis (RA) mit TNF-Inhibitoren behandelt worden waren.
EMA ging mit Warnung auf Nummer sicher
Diese Hinweise mündeten in Warnungen der Europäischen Arzneimittelagentur EMA, TNF-Inhibitoren bei Malignomen in der Vorgeschichte nur mit Vorsicht zu verwenden. Im Vereinigten Königreich sollen sie bei ehemaligen Krebspatientinnen und -patienten nur dann eingesetzt werden, wenn die Erkrankung länger als zehn Jahre zurückliegt. Evidenz für diese Empfehlungen gibt es nicht, sagte Prof. Hyrich. Man gehe wegen der unklaren Datenlage lieber auf Nummer sicher.
Doch die Bedenken gegenüber den TNF-Blockern sind unbegründet, meinte die Referentin und führte an, warum sie deren Einsatz für sicher hält. Zunächst einmal muss bedacht werden, dass eine entzündliche Arthritis per se, also unabhängig von der Therapie, mit einem erhöhten Risiko für bestimmte Tumoren assoziiert ist. Schon 1978 – also lange bevor Methotrexat oder TNF-Blocker auf den Plan traten – wurde aus Finnland über eine erhöhte Rate von Lymphomen, Leukämien und Myelomen bei RA-Betroffenen berichtet. Spätere Studien ergaben, dass das Lymphomrisiko von Patientinnen und Patienten mit RA mit der kumulativen Krankheitsaktivität steigt. Ebenfalls erhöht ist bei diesen Personen die Rate an Lungenkrebs, unterstrich die Expertin.
Doch wie sieht es nun mit dem Einfluss von TNF-Blockern auf die Krebsrate aus? Entgegen der immer wieder geäußerten Sorge ließ sich in großen Metaanalysen klinischer Studien nicht nachweisen, dass diese Substanzen im Vergleich zu Placebo Tumoren begünstigen. Wichtiger ist jedoch, ob sich bei Rheumakranken die verschiedenen Biologika in puncto Krebsrisiko unterscheiden, meinte Prof. Hyrich. Das tun sie nicht, wie die Daten aus dem britischen Register belegen: In den allermeisten Metaanalysen zeigte sich, dass keines der bDMARD inkl. TNF-Blockern das allgemeine Risiko für Malignome erhöht. Nach schwedischen Real-World-Daten gibt es zudem keine Evidenz dafür, dass sich bei RA-Patientinnen und -Patienten das (nicht erhöhte) Krebsrisiko zwischen Biologika und csDMARD unterscheidet.
Die Betrachtung der einzelnen Tumorentitäten hingegen ergibt ein heterogenes Bild. Amerikanischen, schwedischen, dänischen und britischen Daten zufolge steigt das Lymphomrisiko unter TNF-Blockade nicht. Anders beim Hautkrebs: Die Metaanalyse von 74 randomisierten kontrollierten Studien (RCT) ergab ein verdoppeltes Risiko für nicht-melanozytären Hautkrebs (NMSC). Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die absolute Zahl von Menschen mit RA, die unter TNF-Blockern Hautkrebs entwickeln, sehr gering ist, betonte die Expertin. In Real-World-Studien ließ sich zudem das in RCT unter TNF-Blockade minimal gesteigerte NMSC-Risiko nicht verifizieren.
Auch die Erkenntnisse zum malignen Melanom sind uneinheitlich. Eine Metaanalyse mit den Daten aus elf europäischen Registern konnte das in skandinavischen Ländern erhöhte Melanomrisiko unter TNF-Blockern nicht bestätigen. Alles in allem gibt es Prof. Hyrich zufolge keine Evidenz dafür, dass TNF-Hemmer im Vergleich zu anderen Biologika die Tumorgefahr erhöhen. Verglichen mit JAK-Inhibitoren dürfte das Risiko im Übrigen geringer sein.
Wiederauftreten von Krebs wird nicht begünstigt
Eine weitere Frage ist, ob TNF-Blocker bei Patientinnen und Patienten mit Krebs in der Vorgeschichte eingesetzt werden dürfen. Da diese Menschen aus klinischen Studien ausgeschlossen sind, liegen dazu keine Daten aus RCT vor. Metaanalysen aus Beobachtungsstudien und Real-World-Daten legen nahe, dass unter einer TNF-Blockade weder solide Tumoren noch Hautkrebs noch Brustkrebs häufiger rekurrieren als unter csDMARD. Für Prof. Hyrich ist damit klar: „Auch Personen, die schon einmal Krebs hatten, können TNF-Blocker erhalten. Es gibt keine Evidenz dafür, dass die TNF-Blockade in dieser Patientengruppe Krebs oder das Wiederauftreten von Krebs begünstigt.“
Kongressbericht: European Congress of Rheumatology 2024