Schädel-Hirn-Traumata Die Kopfverletzungen und das liebe Herz
Vor allem bei Angehörigen des Militärs sind Schädel-Hirn-Traumata ein wesentlicher Grund für Behinderung oder vorzeitigen Tod. Ähnliches gilt für Profisportler, bei denen es in Training oder Wettkampf hart zur Sache geht. Aber auch für die Allgemeinbevölkerung sind die langfristigen Konsequenzen eines Schädel-Hirn-Traumas (SHT) durchaus von Bedeutung, etwa nach Stürzen oder Verkehrsunfällen.
Trotz intensiver Forschung zu den neurologischen und psychiatrischen Auswirkungen ist es in den vergangenen 50 Jahren kaum gelungen, die Langzeitfolgen von einzelnen schweren SHT oder auch von wiederholten leichteren Traumata zu mildern. Auch die Mortalität der Betroffenen ließ sich kaum senken. Zudem ist über die Folgen auf das endokrine System oder das Risiko für Herz und Kreislauf nur wenig bekannt, schreibt eine Autorengruppe um Dr. Saef Izzy von der Abteilung für Neurologie am Brigham and Women’s Hospital in Boston. Die Wissenschaftler haben die Literatur zu diesem Thema gesichtet und die Ergebnisse in einem Reviewartikel zusammengestellt.
Mehrere retrospektive Studien lieferten für die Allgemeinbevölkerung ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre und metabolische Erkrankungen in den ersten sechs Monaten nach einem SHT. Die meisten Teilnehmer dieser Untersuchungen hatten bereits vor der Kopfverletzung kardiovaskuläre Erkrankungen aufgewiesen, was die Interpretation der gefundenen Ergebnisse erschwert. Dennoch erwiesen sich Hirntraumata als unabhängiger Risikofaktor für kardiale Arrhythmien, koronare Herzkrankheit und Herzinsuffizienz.
Bereits nach verhältnismäßig leichten Traumata wurde nach drei bis fünf Jahren über alle Altersgruppen hinweg eine erhöhte Inzidenz für kardiovaskuläre Erkrankungen gefunden.
Auch in Kohorten mit Soldaten wurde der Zusammenhang zwischen SHT und dem Risiko für Herz und Kreislauf untersucht. In diesem Kontext bestätigte sich, dass ein SHT mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko einhergeht. Einschränkend geben die Autoren zu bedenken, dass es bei Soldaten nach Kampfeinsätzen schwierig ist, ein SHT als Ursache von anderen belastenden Kriegserfahrungen zu trennen.
Bei professionellen Football-Spielern und anderen Leistungssportlern mit wiederholten Kopfaufprallen zeigte sich gleichfalls ein Zusammenhang zwischen SHT und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Im American Football haben Profispieler demnach ein 52 % höheres Risiko für einen kardiovaskulären Tod als die Allgemeinbevölkerung. Auch die Wahrscheinlichkeit von Hypertonie und Diabetes ist bei ihnen erhöht.
Eine mögliche Erklärung für die Risikozunahme sehen die Autoren in geänderten Lebensgewohnheiten und Lebensstilfaktoren der Betroffenen nach einem SHT. Das kann sich etwa in verminderter körperlicher Aktivität und einer eher ungesunden Ernährungsweise äußern, in einer verstärkten Schmerzmitteleinnahme, in Schlafstörungen und vermehrtem Alkoholkonsum. Auch entzündliche und immunologische Prozesse kommen ihnen zufolge als Auslöser für die Herz-Kreislauf-Erkrankungen infrage, ebenso eine veränderte Darmflora etwa infolge von Klinikaufenhalten oder eines verstärkten Medikamentengebrauchs.
Angesichts dieser Ergbnisse empfehlen die Autoren, bei allen Patienten nach einem SHT das kardiovaskuläre Risiko im Auge zu behalten, unabhängig von bestehenden Vorerkrankungen. Auch bei jüngeren Menschen sollte nach einem entsprechenden Ereignis oder nach wiederholten Kopfstößen ein entsprechendes Screening erfolgen. Durch Screeningprogramme könnten Herz-Kreislauf-Erkrankungen nach SHT frühzeitig entdeckt und behandelt werden. Bislang seien diese Zusammenhänge zu wenig bekannt gewesen, meinen Dr. Izzy und Kollegen. Das könnte einer der Gründe sein, warum es in der Vergangenheit kaum Fortschritte bei der Senkung von Morbidität und Mortalität nach Hirnverletzungen gegeben habe.
Quelle: Izzy S et al. Lancet Neurol 2023; 22: 959-970; DOI: 10.1016/S1474-4422(23)00241-7