Adipositas-Medikamente Die Spritze gegen das Fett

DGRh 2023 Autor: Tobias Stolzenberg

Um Übergewicht nachhaltig zu reduzieren, sollten die komplexen neuroendokrinen Wirkmechanismen ganzheitlich behandelt werden. Um Übergewicht nachhaltig zu reduzieren, sollten die komplexen neuroendokrinen Wirkmechanismen ganzheitlich behandelt werden. © staras – stock.adobe.com

Übergewicht führt bei rheumatischen Erkrankungen nicht nur zu einem schwereren Verlauf. Es verschlechtert auch die Wirkung antirheumatischer Substanzen. Doch wie bekommen Adipöse ihren Speck weg? Neben den bariatrischen Verfahren versprechen inzwischen auch pharmakologische Therapien sehr gute Erfolge.

Jeder vierte Erwachsene in Deutschland lebt derzeit mit einem BMI oberhalb von 30 kg/m2. Derzeit wird vornehmlich von der Adipositas bei Kindern und Jugendlichen gesprochen, führte Prof. em. Dr. Arya­ Sharma­, vormals Universität Alberta, ins Thema ein. Doch die Erkrankung ist für alle Altersgruppen von Bedeutung. „Auch beim Erwachsenen im Alter von 50 Jahren, der zuvor keinerlei Probleme mit dem Gewicht hatte, kann plötzlich eine Adipositas auftreten.“

Nahezu jede Gelenkerkrankung und nahezu jede entzündlich-rheumatische Krankheit ist entweder mit Fettleibigkeit assoziiert oder wird durch ihr Vorliegen verschlimmert. Zugleich verringert die Obesitas die Effektivität der antirheumatischen Therapien. „Ein ganz besonderes Problem bekommt man dann, wenn sich Patienten aufgrund ihrer Adipositas einer bariatrischen Operation unterziehen wollen.“ Denn nach einer solchen Operation sollte man unter anderem wegen der Blutungsgefahr keine NSAR einsetzen.

Über die sarkopene Adipositas werde viel zu wenig gesprochen, meinte Prof. Sharma­. Sie ist jedoch recht häufig mit rheumatologischen Erkrankungen assoziiert. Bei Menschen mit Gelenkerkrankung oder chronischen Schmerzen und einem BMI von 25 würde man nicht direkt an die Obesitas denken. Und doch könne es passieren, dass sich bei diesen Personen in der Analyse der Körperzusammensetzung ein viel zu hoher Fettanteil zeigt. „Die sarkopene Adipositas geht aber mit genau den gleichen Gesundheitsrisiken einher wie die normale Adipositas auch.“

Gelingt es einem stark Übergewichtigen, allein über Lebensstiländerungen auch nur 10 % oder mehr an Körpermasse zu verlieren, ist der Erfolg selten von Dauer: Kaum jeder Zehnte kann sein neues Gewicht über das erste Jahr oder länger halten. „Das ist das große Problem in der Lifestyle-Behandlung der Adipositas.“

Warum aber ist das Abnehmen und das Halten des neuen Gewichts so schwierig? Der Grund hierfür ist die komplexe und zugleich sehr effiziente neuroendokrine Physiologie, die den Körper vor einer Gewichtsabnahme schützt. „Sollten wir aus irgendeinem Grund abnehmen, dann sorgt genau dieses System dafür, dass wir alle unsere Reserven schnell wieder auffüllen. Und daran scheitert die Lifestyle-Behandlung einfach.“ Hinzu kommt, dass der Körper bei dauerhaftem Kalorienmangel den Grundumsatz rigoros herunterfährt. Eine 5- bis 10%ige Gewichtsabnahme kann dazu führen, dass der Körper bis zu 400 Kalorien pro Tag einfach nicht mehr braucht. Und der Körper gibt nicht auf, bis er die verlorenen Kalorien wieder gespeichert hat.

Eine Frage der Gene

Die Fettsucht hat eine biologische Grundlage. Von besonderer Bedeutung ist die Genetik: Bislang wurden fast 1000 Gene identifiziert, die in irgendeiner Weise mit dem Übermaß an Körperfett in Verbindung stehen. Die allermeisten davon sind im zentralen Nervensystem aktiv, und zwar im Hypothalamus und der Hypophyse, aber auch im Hippocampus und im limbischen System.

An diesem Regelsystem, dem sogenannten homeostatic eating, lässt sich pharmakologisch ansetzen. „Im Grunde genommen handelt es sich bei den bariatrischen Operationen um eine neuroendokrine Chirurgie“, beschrieb Prof. Sharma. „Damit wird die Biologie dahingehend verändert, dass das homöostatische System, das Hunger, Appetit und Sättigungsgefühl regelt, Ruhe gibt.“

Dieselben Effekte lassen sich mittlerweile mit Medikamenten erreichen, etwa mit den Substanzen Liraglutid und Semaglutid. Einmal täglich gespritzt vermitteln diese GLP1*-Analoga ein Völle- und Sättigungsgefühl und verlangsamen die Magenentleerung. Den Ergebnissen verschiedener Phase-3-Studien zufolge lassen sich mit Liraglutid 7 bis 8 % Gewicht reduzieren, bei jedem dritten Patienten sind bis zu 10 % drin. „Man startet sehr langsam in die Therapie und erhöht die Dosis nur allmählich“, erklärte der Experte.

„In der Regel gewöhnt sich der Körper daran. Wenn der Patient das Medikament nicht verträgt, muss man noch einmal mit der Dosis runtergehen und langsamer hochtitrieren.“

Über weitere Modifikationen am GLP1-Molekül kam man zu einem Wirkstoff, dessen deutlich verlängerte Halbwertszeit die einmal wöchentliche Injektion ermöglicht: dem Semaglutid. Aus noch nicht verstandenen Gründen ist es doppelt so wirksam wie das Liraglutid. Mit ihm lässt sich eine etwa 16%ige Gewichtsreduktion erzielen, jeder Dritte verliert sogar 20 %, so der Referent. „Damit kommen wir in den Bereich der bariatrischen Chirurgie. Bei der bariatrischen Chirurgie spricht man von Erfolg, wenn die Patienten zwischen 20 und 30 % Gewicht abnehmen.“

Noch einmal effektiver ist Tirzepatid, ein dualer Agonist, der sowohl auf den GLP1- als auch auf den GIP**-Rezeptor wirkt. „Hier reden wir plötzlich von 22 % Gewichtsabnahme. Und mit der hohen Dosierung nehmen 40 % der Patienten 25 % ab.“ Mit einer Diät allein lasse sich das kaum erreichen.

Doch damit ist das Ende der Fahnenstange wohl noch lange nicht erreicht, berichtete Prof. Sharma­ weiter: Derzeit arbeiten mehr als 15 Firmen an rund 30 neuen Medikamenten. Darunter sind orale Substanzen, kleine Moleküle und Inkretine in allen möglichen Kombinationen, sogar eine Monatsspritze ist dabei. Allerdings gilt – und das muss man immer bedenken: Sobald die medikamentöse Behandlung abgesetzt wird, kommt das Gewicht wieder.

* glucagon-like peptide-1
** gastric inhibitory polypeptide

Quelle: Kongressbericht Deutscher Rheumatologiekongress 2023