Febrile Neutropenie Eine adäquate Versorgung

DGIM 2024 Autor: Dr. Miriam Sonnet

Wie sollte eine febrile Neutropenie adäquat versorgt werden? Wie sollte eine febrile Neutropenie adäquat versorgt werden? © MQ-Illustrations – stock.adobe.com

Eine Neutropenie mit Fieber stellt einen hämatologischen Notfall dar – dennoch ist es möglich, Patient:innen unter bestimmten Voraussetzungen ambulant zu behandeln. Zur Bewertung sollten Grunderkrankung, Komorbidität, klinischer Status und Compliance betrachtet werden.

„Febrile Neutropenie ist ein unterschiedliches Bündel an verschiedenen klinischen Szenarien, die man unterschiedlich angehen kann und die man nicht alle gleich behandeln sollte“, sagte PD Dr. Michael Sandherr, MVZ Penzberg. Eines sei aber klar: Die febrile Neutropenie ziehe einen unmittelbaren Handlungsbedarf – innerhalb von zwölf Stunden – nach sich. Am häufigsten trete sie nach Chemotherapie bei Erkrankten mit AML und MDS auf, mit Raten zwischen 85–95 %. Patient:innen mit Weichteilsarkomen (27 %), NHL/Myelom (26 %), Keimzelltumoren (23 %) und weiteren sind seltener betroffen.

Ein erhöhtes Risiko für febrile Komplikationen bestehe beispielsweise, wenn eine Neutropenie mehr als sieben Tage lang anhält, ebenso bei einer kürzeren Dauer und gleichzeitig vorliegenden klinischen Risikofaktoren. Personen mit Komorbiditäten haben zudem einen schlechteren Verlauf, insbesondere dann, wenn keine adäquate Therapie erfolgt.

Febrile Neutropenie über sieben Tage

Für die Gruppe mit hohem Risiko erfolgt zunächst eine Diagnostik mittels u.a. klinischer Untersuchung, Erhebung der medizinischen Vorgeschichte sowie zwei Blutkulturen. „Sie machen nicht zwingendermaßen 300 Abstriche, bevor Sie die Patient:innen antibiotisch behandeln“, hob PD Dr. Sandherr hervor. Wenn die Blutkultur abgenommen wurde und die Kriterien erfüllt sind, sollte mit der Antibiose begonnen werden. 

Im klinisch stationären Setting „müssen Sie Ihre Mikrobiologie kennen“, so der Experte weiter. Die Therapie sei entsprechend anzupassen, je nachdem, ob es multiresistente Keime in der Einrichtung gebe oder nicht. Bei keiner bekannten Kolonisation solle man pseudomonas-aktiv beginnen, in der Regel mit Tazobactam. Auch im Falle von vancomycin-resistenten Enterokokken kommen pseudomonas-aktive Betalactame zum Einsatz. Liegen MRSA vor, gibt man zusätzlich ein Glykopeptid, für Extended-Spectrum-Betalaktamasen ist Carbapenem „das Medikament der ersten Wahl“.

Im Zuge der Erstlinientherapie seien bei Vorliegen von z.B. respiratorischen Symptomen, Katheter-Infektionen oder Sepsis die Maßnahmen an die jeweiligen Leitlinien anzupassen. Wichtig: „Sie behandeln die Patient:innen für 96 Stunden“, betonte PD Dr. Sandherr. Denn zwischen 72 Stunden und 96 Stunden dauert es in der Regel bis zur Entfieberung. Danach werde evaluiert. Sind die Betroffenen

  • klinisch stabil und afebril: Antibiotische Behandlung unabhängig von der Neutrophilenzahl beenden, engmaschige klinische Überwachung bis zur Regeneration der Neutrophilen obligatorisch
  • klinisch stabil und febril: CT der Brust und Weiterführung der Antibiose; präemptive empirische antimykotische Therapie
  • klinisch instabil: CT-Scan der Brust; Wechsel der Antibiotika; empirische antimykotische Therapie
MASCC-Scoring-System bei febriler Neutropenie
Charakteristikum Gewicht
Belastung durch febrile Neutropenie mit keiner oder geringer Symptomatik5
keine Hypotonie (systolischer Blutdruck > 90 mmHg)5
keine chronisch obstruktive Lungenerkrankung4
solider Tumor oder hämatologische Neoplasie ohne vorhergehende Pilzinfektion4
keine Dehydration, keine Indikation zur parenteralen Substitution von Flüssigkeit3
Belastung durch febrile Neutropenie mit moderater Symptomatik3
ambulante:r Patient:in3
Alter < 60 Jahre2

Febrile Neutropenie unter sieben Tagen

„Die Patient:innen, die eine zu erwartende Neutropeniedauer von unter sieben Tagen haben, würden wir gerne ambulant behandeln“, erläuterte der Referent. Dies sei möglich, allerdings müssen bestimmte Voraussetzungen gegeben sein. Um die Frage nach stationärer oder ambulanter Therapie beantworten zu können, müssen Behandelnde vier Kriterien unter die Lupe nehmen: Grunderkrankung, Komorbidität, klinischen Status und Adhärenz. 

Der Zustand der Betroffenen wird mit dem MASCC*-Scoring-System bewertet (s. Tabelle), über die vergebenen Punkte ein Score abgelesen:

  • Score > 20: niedriges Risiko; 73 % der Patient:innen; Komplikationen: 6 %; Tod: 1 %
  • Score < 21: hohes Risiko; 27 % der Betroffenen; Komplikationen: 39 %; Tod: 14 %

Außerdem sei es wichtig, die Erkrankten zu kennen, um das Risiko für einen komplizierten Verlauf abschätzen zu können – was in der ambulanten Situation meist gegeben sei. D.h., man sollte über Art und Dosis der Chemotherapie Bescheid wissen, ebenso u.a. über Komorbiditäten, abnorme Laborwerte, offene Wunden und vorbestehende Leukopenien. 

Voraussetzung für eine ambulante Behandlung sei darüber hinaus eine gute Compliance. „Die Patient:innen müssen verstanden haben, dass sie in einem gewissen Risiko sind, sie müssen erreichbar sein und sie müssen uns erreichen können“, erläuterte Dr. Sandherr. Sie sollten sich zudem in einem Umfeld bewegen, das es erlaubt, schnell ein hämatologisches Zentrum aufsuchen zu können. Die Onkopedia-Leitlinie „Infektionen in der Ambulanz“ gibt einen Algorithmus vor, wie solche Personen in der Ambulanz behandelt werden sollten.

* Multinational Association of Supportive Care in Cancer

Quelle:
Sandherr M. 130. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin; Vortrag: „Therapie von Fieber in Neutropenie“