Entzündeten Blinddarm entfernen oder nicht?

Autor: Friederike Klein

Weiterhin gilt den Leitlinien zufolge die Operation als Standard bei der Appendizitis. Weiterhin gilt den Leitlinien zufolge die Operation als Standard bei der Appendizitis. © Kateryna_Kon – stock.adobe.com

Muss der entzündete Appendix raus oder reicht eine Antibiose? Das Thema wird kontrovers diskutiert – die Leitlinienempfehlungen indes sind eindeutig.

Immer wieder diskutieren Experten, ob eine Appendizitis primär konservativ behandelt werden sollte. Bislang spricht die Evidenz dagegen – vor allem, weil vor der Operation nicht zweifelsfrei geklärt werden kann, welcher Patient die Appendektomie zwingend benötigt und welcher nicht.

Bei einem Teil der Patienten scheint Antibiose zu reichen

Die Kontroverse um die konservative Therapie der „Blinddarmentzündung“ flammt immer wieder auf, weil sich bei einem beträchtlichen Teil der Appendektomien intra­operativ keine Inflammation zeigt. 2011 belegte eine Metaanalyse von vier – teils sehr kleinen – randomisiert-kontrollierten Studien, dass manche Patienten mit appendizitistypischen Beschwerden durchaus ohne Operation, allein mit einer Antibiose wieder gesund werden.1 Allerdings musste je nach Studie jeder Zwanzigste bis jeder Zweite innerhalb von 48 Stunden doch noch operiert werden, erläuterte Professor Dr. ­Wolfgang ­Thasler vom Rotkreuzklinikum München. Außerdem entwickelten bis zu 36,8 % der konservativ Behandelten im Jahr nach Studieneinschluss ein Rezidiv. Bei ihnen kam es tendenziell zu mehr Perforationen, insgesamt aber zu weniger Komplikationen als nach chirurgischer Behandlung.

Eine geringere Effektivität der Antibiotikatherapie sowohl bei unkomplizierter als auch komplizierter akuter Entzündung stellt eine aktuellere Metaanalyse von elf Studien fest.2 Basierend auf dieser Evidenzlage halten die meisten Leitlinienautoren an der Operation als Goldstandard bei akuter Appendizitis fest.

Die Entscheidung, wer konservativ gut behandelt werden kann, treffen die Patienten in der Coronapandemie offenbar selbst. Wie Prof. ­Thasler berichtete, hat sich im Rotkreuzklinikum die Zahl der Appendektomien 2020 gegenüber den Vorjahren halbiert. Die Patienten, die in die Klinik kamen, hatten allesamt eine perforierte Appendix. Die Kranken mit weniger schwerem Verlauf setzten vermutlich darauf, dass die Schmerzen wieder von selbst verschwinden. Und mit dieser Erfahrung ist das Münchener Klinikum nicht allein. Eine Auswertung aus 41 chirurgischen Abteilungen in Deutschland, die während der ersten Coronawelle Notfalloperationen durchführten, stellte ebenfalls eine deutliche Abnahme der Appendektomien fest.3

COVID-19-Risikopersonen mieden die Krankenhäuser

Die Zeitspanne zwischen Symptombeginn und Arztbesuch war insbesondere bei all jenen verlängert, die einer COVID-19-Risikogruppe angehörten. Zwar nahm die Zahl komplizierter Appendizitiden insgesamt ab, der Anteil der Operationen bei schwerem Krankheitsverlauf stieg aber. Auf der anderen Seite sank die Zahl der Appendektomien mit negativem Befund signifikant.

Mit Blick auf eine nicht unerhebliche Zahl von Patienten mit selbstlimitierenden Beschwerden erklärte Prof. Thasler: „Es gibt also diese Krankheitsentität.“ Man müsse wohl von zwei ganz unterschiedlichen Appendizitisverläufen ausgehen. Es komme nicht automatisch zum Progress von einer unkomplizierten zu einer perforierenden Inflammation.

Da sich aber weiterhin die unkomplizierten nicht von den komplizierten Entitäten unterscheiden lassen, wird seiner Einschätzung nach die konservative Therapie der Wurmfortsatzentzündung nicht zum Standard avancieren – auch wegen der geringeren Morbidität eines frühzeitigen gegenüber eines späten Eingriffs bei bereits eingetretenen Komplikationen.

Quellen:
1. Ansaloni L et al. Dig Surg 2011; 28: 210-221; DOI: 10.1159/000324595
2. Yang Z et al. BMC Surg 2019; 19: 110; DOI: 10.1186/s12893-019-0578-5
3. Willms AG et al. Langenbecks Arch Surg 2021; 406: 367-375; DOI: 10.1007/s00423-021-02090-3