
„Vertrauen Sie nicht Ihrem Instinkt!“ Melanom: Für dunkle Haut gelten andere Regeln

Laut offizieller Statistik sank die globale Zahl der Todesfälle durch Melanome von knapp 60.000 im Jahr 2015 auf rund 57.000 2023 bei gleichzeitig etwas gestiegener Inzidenz, berichtete Dr. Dagmar Whitaker aus Kapstadt.1 Nur um diese Daten direkt wieder infrage zu stellen: „Doch ist das wirklich das wahre Bild, das sich uns bietet?“ Zwar hätten die meisten Nationen, auch in Afrika, ein Krebsregister. Die Datensammlung gestalte sich jedoch meist weder verpflichtend noch standardisiert, und so geht die Referentin von einer enormen Dunkelziffer aus.
Am Vortag sei auf dem Kongress die Versorgungssituation in Deutschland zur Sprache gekommen: Pro Dermatolog:in gibt es hier rund 16.400 Einwohner:innen. „Selbst in Südafrika, wo unser Fachgebiet mit rund 200 Dermatolog:innen vergleichsweise gut vertreten ist, versorgt jede:r circa 300.000 Menschen“, so Dr. Whitaker. Eine Anfrage, die die Kollegin an die afrikanische Gesellschaft für Dermatologie stellte, ergab zudem: Wenn man Südafrika einmal ausklammert, so hat keines der Mitgliedsländer Awareness-Kampagnen oder eine strukturierte, kombinierte Hauttumorklinik. Den meisten fehlt auch der Zugang zu neueren Therapien.
Aufschlussreich sei vor allem das Beispiel von Nigeria gewesen. Auf Anfrage hin schickten die dortigen Kolleg:innen ihre Fallberichte und Bilder. Zwischen 1991 und 2000 wurden 54 Fälle von Melanomen gesammelt. Bei knapp 228 Millionen Einwohner:innen erwartet die Expertin jedoch rund 18.000 Patient:innen pro Jahr. „Was sagt uns das? Sie schauen nicht danach. Und wer nicht hinsieht, findet auch nichts.“
„Keine:r meiner Kolleg:innen hätte das Melanom erkannt“
In Südafrika passen die beobachteten Inzidenzen zur Literatur, doch leider würden die meisten Melanome sehr spät erkannt, berichtete Dr. Whitaker: „Wir finden kaum ein kutanes Melanom, das noch nicht metastasiert hat.“ Und das liege mit daran, dass die Tumoren auf dunkler Haut oft völlig anders aussehen als auf heller, und leicht mit Infektionen oder anderen Neoplasien verwechselt werden. „Vertrauen Sie nicht Ihrem Instinkt, wenn es um dunkle Haut geht!“, warnte sie deshalb und zeigte Bilder von Läsionen, wie etwa weißliche Flecken am Arm einer 19-jährigen Person. Unter ihren Kolleg:innen hätte niemand dies als metastatisches Melanom erkannt, so die Dermatologin. Ihr Rat: Diagnosen auf dunkler Haut pathologisch mit Biopsien absichern. Ärzteschaft wie Bevölkerung müssten des Weiteren verinnerlichen: „So etwas wie einen ‚sicheren‘ Hauttyp gibt es nicht.“
Ganzkörpercheck: Mit den Fußsohlen beginnen!
Wie also lassen sich Awareness und Outcomes verbessern? Die Probleme beginnen bereits, wenn man sich klinische Studien ansieht, erklärte Prof. Dr. Willie Visser von der Stellenbosch-Universität in Kapstadt.2 Es werde üblicherweise die ethnische Zugehörigkeit erfasst – beim Hautkrebs komme es aber darauf nicht an, sondern tatsächlich einfach auf den Hautton. Außerdem unterscheide sich die klinische Präsentation: Melanome treten bei dunklem Hauttyp z. B. nicht so häufig in Regionen mit hoher Sonnenexposition auf, sondern eher in schwach pigmentierten Bereichen wie Fußsohlen oder Hand- und Fußnägeln. „Wenn Sie also einmal eine dunkelhäutige Person für eine Ganzkörperuntersuchung vor sich haben: Beginnen Sie mit den akralen Bereichen“, riet der Referent. Zudem treffen die „ABCDE“-Kriterien nicht unbedingt zu – Melanome können hier auch symmetrisch und gleichmäßig pigmentiert sein.
Als Agenda, um die Gesamtsituation für Menschen dunkler Hautfarbe zu verbessern, nannte Prof. Visser folgende Punkte:
- Forschung: Unter anderem aufgrund der niedrigen Inzidenz sind dunkle Hauttypen in klinischen Studien deutlich unterrepräsentiert. Sie sollten also gezielt adressiert werden.
- Awareness: Die meisten Info-Kampagnen sind auf Weiße ausgerichtet – auch inhaltlich. Die „ABCDE“-Kriterien oder Aufrufe zum Sonnenschutz seien für Dunkelhäutige aber zweitrangig. Stattdessen brauche es spezifisch auf akrale Melanome ausgerichtetes Informationsmaterial.
- Medizinische Aus- und Weiterbildung: In Lehrbüchern und auch Richtlinien sollten dunkle Hautfarben mit vertreten sein. Ebenso gilt dies beim Training diagnostischer KI-Algorithmen.
- Versorgung: Analysen zufolge unterscheiden sich die Outcomes nicht nach ethnischer Zugehörigkeit und auch nicht direkt nach sozioökonomischem Status, sondern hängen vom Zugang zu medizinischer Versorgung/Krankenversicherung ab. In dem Bereich sollte also eine Gleichberechtigung angestrebt werden.
Quellen:
1. Whitaker D. 21st EADO Congress; Vortrag „Skin cancer in dark skin – a bigger problem than we think? “
2. Visser W. 21st EADO Congress; Vortrag „Melanoma in dark skin – how can we increase awareness and achieve better disease outcomes?“