Substanzgebrauchsstörung Gesundheit und Zukunft stehen auf dem Spiel
Die erste Begegnung mit psychoaktiven Substanzen findet meist im Kindes- und Jugendalter statt. Das Risiko dabei: Rezidivierender oder anhaltender Konsum kann angesichts des noch nicht voll entwickelten Gehirns die psychische und körperliche Gesundheit dauerhaft beeinträchtigen. Als Erwachsene leiden die Betroffenen häufiger an Abhängigkeitserkrankungen.
Früher Konsum erhöht die Gefahr der Suchtentwicklung
Wenn Kinder und Jugendliche Substanzen konsumieren, sind dies vor allem Alkohol, Tabak und Cannabis. 11 % der 12- bis 18-Jährigen erfüllen die Kriterien für eine Substanzgebrauchsstörung (Substance use disorder, SUD), schreibt das Autorenteam um den Kinder- und Jugendpsychotherapeuten Alexander Breitwieser von der Universitätsmedizin Rostock. Besonders gefährdet sind Adoleszente, die psychotrope Stoffe bereits früh riskant und anhaltend konsumieren.
Zur Suchtentwicklung kommt es vor allem im Zusammenhang mit anderen psychischen und ggf. somatischen Veränderungen. Dazu zählen Depression, soziale Ängstlichkeit, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen sowie die Schizophrenie. Der Gebrauch kann als „Selbstmedikation“ für bestehende Erkrankungen dienen oder erst psychische Störungen auslösen. Eine häufige Folge von Substanzkonsum sind Probleme mit der Schule oder Ausbildung. Außerdem kann Abhängigkeit kriminellen Handlungen Vorschub leisten. Vor allem Alkohol erhöht das Risiko, zum Täter oder Opfer zu werden.
Die rechtzeitige Diagnose der SUD ermöglicht eine adäquate Behandlung und verbessert das Therapieergebnis. Allerdings sollten jugendtypische Rauschverläufe nicht als Krankheit missgedeutet werden. Eine proaktive Suchtanamnese empfiehlt sich, wenn Heranwachsende von Leistungsproblemen oder potenziellen Konsumfolgen wie Panikattacken berichten.
Das Feststellen einer SUD gestaltet sich oft schwierig und wird durch Illegalität, Stigma und Scham noch erschwert. Vorteilhaft ist es, mit Akzeptanz, Offenheit und Wertungsfreiheit aufzutreten. Konsumschilderungen sind zuverlässiger, wenn die Eltern nicht dabei sind.
Im Rahmen der Früherkennung der SUD gilt es zu klären, ob schon ein problematischer Verlauf vorliegt. Zeichen für eine frühe Gefährdung sind z. B. Leistungseinbußen, Schulabsentismus und sozialer Rückzug. Auch bei auffälligem Sozialverhalten mit Aggressivität und Impulsivität oder Anzeichen der Selbstverwahrlosung ist eine Intervention angezeigt.
Die Funktion des Konsums ist entscheidend
Im Anamnesegespräch mit den Heranwachsenden und deren Bezugspersonen gilt es, substanztypische Symptome (Intoxikations- und Entzugszeichen) wahrzunehmen. Außerdem sollte man die Patientinnen und Patienten zu ihrer aktuellen Lebenslage befragen und herausfinden, welche Funktion der Konsum für sie haben könnte. Wichtig ist die korrekte Einschätzung der Gefährdung: Es macht einen Unterschied, ob ein sozial ängstlicher Jugendlicher vor einem Treffen mit Gleichaltrigen Alkohol trinkt, oder ob er mit einem Joint vor dem Einschlafen versucht, Wiederholungen eines traumatischen Erlebnisses im Traum zu verhindern.
Nicht jeder riskante Substanzgebrauch erfordert eine therapeutische Intervention. In der Regel handelt es sich um alterskorrelierte Auffälligkeiten, die von selbst verschwinden. Es kann sinnvoll sein, die Anamnese durch Frageinventare zu ergänzen. Die Ergebnisse können direkt mit dem Jugendlichen besprochen werden. Für Alkohol und Drogen eignet sich z. B. das RAFFT*-Inventar.
Zur Kontrolle des Drogenkonsums bzw. der Abstinenz eignen sich Schnelltests, z. B. aus dem Urin. Sie ermöglichen aber keine Differenzierung zwischen Missbrauch und Gebrauch. Außerdem detektieren sie nur einen Teil des psychotropen Spektrums.
Synthetische Cannabinoide, „Badesalze“ und biogene Drogen werden in der Regel nicht erkannt. Die Tests haben zwar eine hohe Sensitivität, aber nur eine eher geringe Spezifität, was falsch-positive Ergebnisse, etwa nach der Einnahme von Medikamenten, begünstigt.
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Quelle: Breitwieser A et al. Pädiatrie 2024; 36: 38-45