Glukosemessung ohne Fingerpiks? Aktueller Stand nicht- und minimalinvasiver Methoden

diatec journal Autor: Dr. Andreas Thomas, Prof. Dr. Lutz Heinemann

Bei den nicht-invasiven Systemen, die derzeit erprobt werden, handelt es sich vor allem um optische Verfahren. Bei den nicht-invasiven Systemen, die derzeit erprobt werden, handelt es sich vor allem um optische Verfahren. © Celeste – stock.adobe.com

Optische Sensoren, die von Glukose absorbierte Lichtspektren erfassen, können nicht-invasiv bzw. minimalinvasiv Informationen über die Glukosekonzentration im Blut liefern. Eine Selbstverletzung wie bei der klassischen Blutzuckermessung ist damit nicht erforderlich. Das macht die Option attraktiv für Menschen mit Diabetes und damit zu einem lohnenden Geschäftsmodell für die Hersteller von Medizintechnik.

Die Glukosemessung als therapieunterstützende Maßnahme hatte bereits vor über 30 Jahren einen großen Einfluss auf die Diabetestherapie. Entscheidender Durchbruch war die Verfügbarkeit kleiner handlicher Blutzuckermessgeräte, die nur geringe Mengen Blut als Probenmaterial benötigten und nach kurzer Zeit das Messergebnis anzeigten. Die breite Anwendung der intensivierten Insulintherapie (ICT) mit der Möglichkeit der Insulinanpassung an die aufgenommene Nahrungsmenge oder bei erhöhten Glukosewerten war eine Folge.

Allerdings war die mit der Nutzung der enzymatischen Glukoseumwandlung verbundene biochemischen Reaktion an die Gewinnung von Blutproben gebunden (SMBG – Selbstmessung der Blutglukose). Auch wenn bei modernen Geräten nur Blutstropfen mit einem Volumen von weniger als 1 µl notwendig sind und Stechhilfen sowie Lanzetten eine schmerzarme bis schmerzlose Blutgewinnung ermöglichen, so bleibt doch die immer wieder notwendige Selbstverletzung eine unabdingbare Maßnahme.

Das änderte sich auch mit der Verfügbarkeit von Systemen für das kontinuierliche Glukosemonitoring (CGM) nur bedingt. Zwar können Menschen mit Diabetes damit quasi lückenlos Glukoseverläufe im Zeitverlauf über bis zu 14 Tage erhalten. Aber auch hier ist zumindest eine Selbstverletzung beim Legen des Glukosesensors in das Unterhautfettgewebe notwendig. Darüber hinaus ist selbst bei werkskalibrierten Systemen, die keine invasive SMBG zwecks Kalibrierung brauchen, eine solche zur Überprüfung der Messwerte des CGM-Systems oder bei nicht plausiblen Glukosewerten notwendig.

Damit ist der Patientenwunsch nach einer nicht-invasiven Glukosemessung nach wie vor relevant, egal ob diese punktuell oder kontinuierlich erfolgen soll – selbst wenn deren Bedeutung durch die Verfügbarkeit von zuverlässigen „minimalinvasiven“ rtCGM-Systemen signifikant abgenommen hat.

Für nicht-invasive Messungen geeignet sind physikalische Methoden. Diese benötigen keine Probengewinnung, basieren sie doch auf dem Eintrag von Energie in die Haut bzw. das Unterhautfettgewebe, zum Beispiel mit einem infraroten Lichtstrahl. Die verschiedenen Moleküle im Gewebe, wie eben auch Glukose, absorbieren einen ganz bestimmten Energiebetrag, also das Licht einer bestimmten Wellenlänge. Betrachtet man anschließend das Spektrum (das heißt die Darstellung eines Wellenlängenbereichs), so lässt sich das Signal für die Absorption des Lichts durch die Glukosemoleküle und andere Atome/Moleküle erkennen. In diesem mit einem optischen Sensor erfassten Spektrum findet sich also eine Art „Fingerabdruck“ für die chemischen Komponenten im bestrahlten Gewebebereich.

Darüber hinaus gibt es weitere Möglichkeiten, Glukose unblutig nachzuweisen. Durch die Absorption werden die Atome/Moleküle angeregt. Nach kurzer Zeit geben sie ihre Energie wieder ab, zum Beispiel als Licht (Fluoreszenz), als Schallwelle, als Wärmestrahlung usw.

Die Analyse dieser Energie bzw. der entstehenden Spektren erlaubt ebenfalls Rückschlüsse auf die durch die Wechselwirkung mit der einfallenden Strahlung angeregten Atome bzw. Moleküle. Weiterhin lässt sich auch die Streuung des Lichts im Gewebe auswerten (Infrarot-, Raman-Streuung usw.).

Allerdings ist es schwierig, die Glukose mit solchen Ansätzen so genau zu messen, dass damit therapeutische Entscheidungen – wie die Dosierung von Insulin – mit ausreichender Sicherheit getroffen werden können. Die Ursachen dafür sind vielfältig, angefangen von der relativ niedrigen Konzentration von Glukose im Organismus (Promillebereich), über ein ungünstiges Signal-Rausch-Verhältnis bis hin zur komplexen Struktur des Gewebes. Hunderte Ansätze zur nicht-invasiven Glukosemessung sind in den vergangenen Jahrzehnten an solchen Problemen gescheitert, ganz zu schweigen von der erheblichen Menge an Investitionen, die sich nicht ausgezahlt haben.

Einige nicht-invasive Systeme haben bereits Produktreife

Eine internationale Arbeitsgruppe um David Klonoff vom Diabetes Research Institute of Mills-Peninsula Medical Center in San Mateo, Kalifornien, (sowie die beiden Autoren dieses Artikels) analysierte zahlreiche Quellen und Datenbanken, wie PubMed, Google Patents Database, American Diabetes Technology Society, um einen aktuellen Überblick über Entwicklungen und den Fortschritt von nicht-invasiven beziehungsweise minimalinvasiven Glukosemessverfahren und -Systemen zu erhalten.

Hierbei lag der Fokus auf Systemen, die schon Produktreife haben oder bald haben sollen. Darüber hinaus wurden weitere internationale Experten befragt. In der umfassenden, nun bald veröffentlichten Publikation1 wurden 65 Systeme genauer betrachtet und analysiert:

  • 28 nicht-invasive Systeme, die in der Regel auf physikalischen (optischen) Methoden basieren
  • sechs Systeme, bei denen eine nicht-invasive Probenentnahme (z.B. Ionophorese) vorgenommen wird
  • 31 minimal-invasive Systeme (Sensorelektroden, wie bei den bekannten CGM-Systemen).

Dabei sind die aktuell auf dem Markt befindlichen sieben CGM-Systeme von Abbott, Dexcom, Medtronic, Senseonics, Menarini und Medtrum enthalten, die anderen 58 Systeme sind Projekte und Entwicklungen („blutige“ Blutglukosemessungen waren nicht eingeschlossen). Das zeigt die weltweit enormen Anstrengungen hinter diesen Entwicklungen und das Potenzial, welches viele Menschen in nicht-invasiven und minimalinvasiven Glukosemessungen sehen.

Unter den 28 Projekten zur nicht-invasiven Messung befinden sich vier Verfahren (sechs Systeme), die in Deutschland im Rahmen von Marketingaktivitäten bereits vorgestellt wurden.

Beispiele für Glukosemesssysteme auf Basis physikalischer Messansätze
Firma
Produkt
Messprinzip/Zulassung
CnogaTensorTip CoG (noch keine Zulassung)Transmissions- und Absorptionsspektroskopie
DiaMonTechD-Base, D-Pocket, D-Band (noch keine Zulassung)photothermische Detektion nach Anregung mit Quantenkaskadenlaser
Integrity Applications Ltd.GlucoTrack (CE-Zulassung)Kombination von photoakustischer Spektroskopie, Impedanzspektroskopie und thermischer Spektroskopie
IndigoIndigo CGM (noch keine Zulassung)Implantierter Sensor für Glukose, Laktat, Ketone, Absorptionsspektroskopie

Dazu zwei Beispiele. Das diskontinuierlich messende Gerät TensorTip CoG der israelischen Firma Cnoga verwendet Licht unterschiedlicher Wellenlänge im sichtbaren und infraroten Bereich für die Messung. Dafür platziert der Patient seine Fingerkuppe auf einem Messfeld, wo diese von einem fokussierten Messstrahl durchleuchtet wird. Auf der Unterseite tritt das transmittierte Licht aus und wird auf einen optischen Sensor geleitet.

Das austretende Licht unterscheidet sich vom einfallenden Licht dadurch, dass das im Gewebe absorbierte und auch das seitlich gestreute Licht nicht mehr vorhanden sind. Das gibt Hinweise auf die Wechselwirkung des Lichts mit der Glukose und kann analysiert werden. Studien mit einer begrenzten Anzahl von Patienten mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes verglichen die damit gewonnenen Messergebnisse mit denjenigen, die mit einem Laborgerät erzielt wurden.2 Die mittlere Abweichung lag bei 16,6 %. Für die klinische Zuverlässigkeit bedeutet das, dass 66,5 % der Werte korrekt und weitere 33 % ausreichend für die Diabetesbehandlung waren. Zum Vergleich: Bei der Messung mit Blutzuckerteststreifen liegt die Abweichung bei ca. 5 %, bei CGM bei ca. 10 %.

Verhornungen oder Schmutz spielen keine Rolle

Als weiteres Beispiel sei das System D-Base der Berliner Firma DiaMonTech genannt. Hier platziert der Anwender ebenfalls seinen Finger auf einem Testfeld. Dort erhält dieser von einem Quantenkaskadenlaser kurze Lichtimpulse im mittleren infraroten Bereich (mehrere Wellenlängen). Weil in der Tiefe des Fingergewebes gemessen wird, spielen die oberen Hautschichten mit Verhornungen, kleinen Verschmutzungen usw. keine Rolle. Bei einer bestimmten Wellenlänge werden die Impulse von der Glukose absorbiert und regen dieses Molekül zu Schwingungen an. Danach geben diese Moleküle ihre Energie strahlungsfrei als eine kleine Wärmemenge ab. Nach Angaben der Firma ist diese Methode selektiv, d.h., nur die spezifisch der Glukose zuzurechnende Wärmemenge wird ausgewertet. Es handelt sich vom Mess­prinzip her um eine photothermische Detektion.

Wie zuverlässig die Messung von Glukose im Organismus funktioniert, muss sich noch zeigen. Zwar gab es dazu eine publizierte Teststudie3, bei der 41 Menschen mit und 59 ohne Diabetes über mindestens zwei Stunden lang parallel Messungen durchführten. Dabei wurde über eine gute Messgenauigkeit berichtet (11–12 % Abweichungen zu Labormesswerten). Allerdings wurde die Studie im Rahmen der Aktivitäten der Firma durchgeführt. Daten von unabhängigen klinischen Einrichtungen fehlen bisher, sind aber für eine wirkliche Einschätzung der Brauchbarkeit der Methode unabdingbar.

Die Firma plant verschiedene Geräte nach dem gleichen Messprinzip: eine Standgerätevariante namens „D-Base“ und ein kleines transportables Gerät namens „D-Pockets“, beide für die punktuelle Messung und ein Armband mit dem Namen „D-Band“, welches kontinuierlich die Glukose messen soll. Es bleibt abzuwarten, wie der technologische Fortschritt weitergeht und ob diese Geräte wirklich Marktreife erlangen werden. Marketingaktivitäten, wie die Bewerbung des Gerätes über private Krankenkassen sind aus unserer Sicht kritisch zu sehen.4

Es fehlen valide Daten zur klinischen Anwendung

Grundsätzlich ist zu fordern, dass für alle nicht-invasiven Systeme valide Daten vorliegen, damit eine fundierte Einschätzung bezüglich ihrer klinischen Anwendung im Sinne des Diabetesmanagements möglich ist. Dies ist bei den beiden beispielhaft genannten nicht-invasiven Systeme noch nicht der Fall. Mehr Daten existieren zu dem in der Tabelle aufgeführten GlucoTrack von Integrity, wobei die Genauigkeit als noch nicht ausreichend erscheint. Das System besitzt aber das CE-Zeichen. Eine höhere Messgüte verspricht das implantierte Spektrometer von Indigo mit Abweichungen gegenüber Labormessgeräten von 6,5 %. Es bedarf aber vor Nutzung eines invasiven Eingriffs, auch wenn es danach ohne weitere Eingriffe über zwei Jahre arbeiten soll. Allerdings sind dazu bisher keine Anwendungen bei Menschen mit Diabetes publiziert.

Es lässt sich schlussfolgern, dass nicht nur der Wunsch nach „unblutigen“ Messverfahren nach wie vor vorhanden ist, sondern dass sich auch zahlreiche entsprechende Systeme in der Entwicklung befinden. Innovative neuartige Technologien – wie die Herstellung von Glukosesensoren mit Methoden der Mikroelektronik oder sogar die Anwendungen aus dem Bereich der Nanotechnologie – könnten solche Systeme zur Entwicklungsreife bringen. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn es eine nicht-invasive und damit schmerzfreie und nicht an Verbrauchsmaterialien gebundene Glukosemessung geben würde.

Quellen:
1. Shang T et al. Diabetes Science and Technology 2021; DOI: 10.1177/19322968211007212
2. Pfützner A et al. Diabetes Technol & Therapeutics 2020; 22(Suppl. 1):A-138; DOI: 10.1089/dia.2020.2525.abstracts
3. Lubinski T et al. J Diabetes Sci Technol. 2021;15(1):6-10; DOI: 10.1177/1932296820936634
4. Pressemitteilung, letzter Zugriff: 28.05.2021.
5. Thomas A et al. Journal Diabetes Science and Technology 2016; 10(3): 782-789; DOI: 10.1177/1932296815616133