Wege aus dem Schmerz Interdisziplinärer Therapiemix bringt bei Multipler Sklerose Erleichterung
Fast jeder dritte MS-Betroffene leidet unter Schmerzen – oft chronisch. Multimodale Ansätze wie Rückenschule und Psychotherapie stärken die Selbstwirksamkeit der Patientinnen und Patienten und können die Beschwerden zumindest lindern.
Dem DMSG*-Register zufolge geben von den Patientinnen und Patienten mit Multipler Sklerose (MS) fast 30–45 % Schmerzen als Symptom der Erkrankung an. Ein Drittel der Betroffenen nennt Schmerzfreiheit als wichtiges Behandlungsziel. Das lässt sich aber häufig nicht erreichen, sagte Prof. Dr. Ingo Kleiter von der Marianne-Strauß-Klinik in Berg. Er riet dazu, mit den Betroffenen realistische Therapieziele zu vereinbaren und ihnen Schmerzlinderung in Aussicht zu stellen.
Schmerzen lassen sich nicht einfach aus der Aktivität sensorischer Neurone ableiten, erläuterte der Experte. Sie sind vielmehr eine persönliche Erfahrung, die in unterschiedlichem Maße von biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren beeinflusst wird. Entsprechend treten Schmerzen nicht nur als direkte Folge der ZNS-Schädigung durch die Erkrankung auf oder als indirekte Folge von Symptomen oder Therapien. Es gibt auch MS-assoziierte Schmerzen unklarer Ursache. Dazu gehören akute und chronische primäre Kopfschmerzen oder chronische Rückenschmerzen. Wichtig ist die genaue Charakterisierung der Empfindung, wobei bei ein und dieselbe Person sowohl ein neuropathischen als auch muskuloskelettaler Schmerz spüren kann.
Bei chronischen Schmerzen helfen Einzelmaßnahmen wie eine Medikation gegen neuropathischen oder muskuloskelettalen Schmerz in der Regel nicht weiter, betonte der Referent. Notwendig ist ein interdisziplinäres Vorgehen unter Beteiligung von Therapeuten und Psychologen, gegebenenfalls auch Psychiatern. Typische Probleme der Betroffenen sind:
- Katastrophisieren und die Angst, die Schmerzschwankungen seien Schübe
- anhaltender emotionaler Stress
- Hilflosigkeit im Umgang mit dem Schmerz
- Fixierung auf rein körperliche Erklärungsmodelle
Die multimodale Schmerztherapie bei Multipler Sklerose soll zur Schmerzreduktion beitragen. Sie ermöglicht es Betroffen, selbst Einfluss auf ihr Wohlergehen zu nehmen, das Gefühl der Hilflosigkeit abzubauen und positive Aktivitäten in ihrem Alltag zu fördern.
Dazu trägt auch eine Rückenschule bei, berichtete der Physiotherapeut Flavius-Florin Vorovenci vom Neurologischen Rehabilitationszentrum Quellenhof in Bad Wildbad. In der Fachklinik wird im Rahmen der Rehabilitation bei MS-Kranken mit Rückenschmerzen zweimal wöchentlich ergänzend zu den Einzelsitzungen insgesamt sechs bis acht Mal eine Rückenschule angeboten. Die Befragung von 32 Patientinnen und Patienten vor und nach den Übungen zeigte einen deutlichen Rückgang der Beschwerden auf der Numerischen Rating-Skala. So minderten sich beispielsweise lumbale Schmerzen von 5,5 auf 3,1 von 10 möglichen Punkten, bei Problemen im Bereich der Halswirbelsäule gingen sie von 4,3 auf 2,3 zurück.
Die Rückenschule nannten 96 % der Befragten als besonders hilfreich. Nur Physiotherapie erzielte mit 100 % ein besseres Ergebnis, Massage fanden 72 % besonders hilfreich. 57 % nannten auch Ruhe und Schonung als wesentlich für den Erfolg ihrer Reha – wenngleich diese die Patientinnen und Patienten in ihren Alltag häufig nicht finden würden, wie Vorovenci betonte. Ebenfalls von relativ vielen Betroffenen als hilfreich empfundene Reha-Maßnahmen waren Yoga (43 %) und die medizinische Trainingstherapie mit Seilzug (39 %).
* Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft
Quelle: Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie