Kinder und Jugendliche Intoxikationsgefahr im Schrank
Werden Kinder plötzlich sehr müde, fühlen sich unwohl oder erbrechen, kann eine Intoxikation die Ursache sein. Eine gute Erstversorgung der jungen Patienten hilft dann, den Schaden zu begrenzen, sie lindert Schmerzen und schafft die Voraussetzung für die erfolgreiche Weiterbehandlung. Die spezifische Therapie bei Vergiftungen ruht auf drei Säulen, erläutern Dr. Sophie Nordmeyer und Kollegen vom Giftinformationszentrum-Nord der Universitätsmedizin Göttingen:
- primäre Giftentfernung (Magenspülung, Aktivkohlegabe)
- sekundäre Giftentfernung (Hämodialyse, Hämoperfusion, verspätete und repetitive Aktivkohlegabe)
- Gabe spezifischer Antidota
Zigaretten, Alkohol, Drogen
Eine versehentliche Nikotinvergiftung durch verschluckte Zigaretten oder Zigarettenkippen zeigt sich überwiegend in gastrointestinalen Symptomen. In schweren Fällen drohen Bewusstseinseinschränkungen bis zum Koma, Tachykardie, Krampfanfälle und Atemdepression. Für Säuglinge gilt das Drittel einer Zigarette als unbedenklich, Kleinkinder tolerieren in etwa das Doppelte. Werden diese Mengen deutlich überschritten, kann eine primäre Giftentfernung erwogen werden.
Bei Ethanol ist ab einer Blutalkoholkonzentration von 0,6 ‰ mit einer leichten Vergiftung zu rechnen, ab 2 ‰ drohen schwere, ab 3 ‰ lebensgefährliche Folgen. Durch Hemmung der Glukoneogenese entwickeln Kleinkinder häufig eine Hypoglykämie. In einem solchen Fall reicht oft die Gabe gesüßter Getränke als Therapie aus. Bei lebensbedrohlicher Intoxikation kann die sekundäre Giftenfernung mittels Hämodialyse erwogen werden.
Drogenintoxikationen im Kleinkindalter sind selten. Am ehesten gefährdet ist der Nachwuchs, wenn die Eltern an einem Opioidsubstitutionsprogramm teilnehmen und ihr Medikament mit nach Hause nehmen.
Haushaltsprodukte und Chemikalien
Erhebliche Gefahr für Kinder geht von kurzkettigen Glykolen etwa in Frostschutzmitteln und Methanol, wie er im Treibstoff für Modellflugzeuge zu finden ist, aus. Beides wird durch die Alkoholdehydrogenase zu toxischen Metaboliten abgebaut, die zu Erblindung bzw. Nierenschäden führen können. Durch Gabe von Ethanol und des spezifischen Antidots Fomepizol lässt sich die Vergiftung verhindern. Bei schwerer Intoxikation ist ggf. eine sekundäre Giftentfernung erforderlich.
Bei Rohr- und Abflussreinigern können schon kleine Mengen zu ausgedehnten Laugenverätzungen führen, fehlende Ätzspuren in der Mundhöhle schließen diese nicht aus. Wichtigste Sofortmaßnahme ist die Gabe von Flüssigkeit zur Verdünnung und zum Spülen der Schleimhaut. Erbrechen sollte verhindert werden, eine Magenspülung ist nicht indiziert. Schon der Verdachtsfall erfordert eine stationäre Überwachung.
Bei einer Intoxikation mit Tensiden, wie sie in Duschgel oder Shampoo zu finden sind, steht die schleimhautreizende Wirkung und Schaumbildung im Vordergrund. Auch ist mit gastrointestinalen Symptomen zu rechnen. Therapeutisch ist die Gabe von kohlensäurefreier Flüssigkeit und eines Entschäumers wie Dimeticon angezeigt, bei Aspirationsverdacht ein stationäres Monitoring.
Medikamente
Eine Vergiftung mit ASS macht sich in leichten Fällen mit abdominellen Beschwerden bemerkbar. Schwere Intoxikationen zeigen sich mit metabolischer Azidose und ZNS-Symptomen wie Benommenheit, Delir und Krampfanfällen. Bei Mengen unterhalb 75 mg/kgKG ist keine Therapie erforderlich, bei höherer Dosis sollten Elektrolyte, Blutzucker und Blutgase bestimmt und, falls erforderlich, die Salicylatausscheidung durch eine Urinalkalisierung gesteigert werden. Verschlucken die Kinder Betablocker oder Kalziumantagonisten, sollte ein Giftinformationszentrum konsultiert werden.
Bei der Ingestion xylometazolin-haltiger Nasentropfen kommt es in der Regel zu Somnolenz, Erbrechen, Blässe und Tachykardie, seltener zu Hypertonie. Bei Mengen oberhalb 0,1 mg/kgKG sollten Säuglinge und Kleinkinder stationär überwacht werden, für Schulkinder und Jugendliche liegt die Grenze bei 0,2 mg/kgKG. Die einmalige Überdosierung von Paracetamol von weniger als 150 mg/kgKG wird von Gesunden ohne Leberschäden toleriert. Für Früh- und Neugeborene, Kleinkinder mit anhaltendem Fieber und Personen mit Anorexia nervosa sind u.U. schon geringere Mengen toxisch. Mit Acetylcystein steht ein wirksames Antidot zur Verfügung.
Das wichtigste Symptom einer Opioidvergiftung ist die Atemdepression. Sie kann sich schleichend und ohne subjektive Dyspnoe oder mit plötzlichem Atemstillstand manifestieren. Bei langsamer Verschlechterung sollte Naloxon in Intubationsbereitschaft appliziert werden, ggf. wiederholt oder in Dauerinfusion.
Pflanzen
Zu den giftigsten einheimischen Gewächsen zählt der Eisenhut (Aconitum napellus). Jede auch nur fragliche Ingestion ist als lebensbedrohlich einzustufen. Betroffene müssen unter Notarztbegleitung in die Klinik transportiert werden. Sämtliche Pflanzenteile enthalten toxische Alkaloide. Das Beschwerdebild reicht von Brennen und Kribbeln im Mund, das auf den Körper übergeht, bis hin zur vollständigen Anästhesie und Atemlähmung. Es gibt kein Antidot.
Bei der Eibe (Taxus baccata) ist der rote Mantel der Beeren ungiftig, alle anderen Teile der Pflanze enthalten toxische Stoffe. Allerdings können Kleinkinder die harten Samen kaum aufbeißen, sie werden meist unzerkaut ausgespien oder nach Verschlucken unverändert ausgeschieden. Ab drei zerbissenen Samen sollte Aktivkohle gegeben werden. Die Ingestion von Nadeln sollte immer als gefährlich eingestuft werden.
Beim Gefleckten Aronstab (Arum maculatum) reicht der mechanische Druck beim Kauen aus, um aufgrund der nadelförmigen Kristalle aus Kalziumoxalat schmerzhafte Haut- und Schleimhautläsionen mit Histaminfreisetzung auszulösen. Nach Verschlucken ist mit vermehrtem Speichelfluss, Erbrechen und abdominellen Koliken zu rechnen. Kühle Getränke lindern die Schmerzen, die Augenbeteiligung erfordert eine Spülung mit lauwarmem Wasser. Droht ein Glottisödem, sind systemische Steroide indiziert.
Atropin- oder scopolaminhaltige Pflanzen wie Tollkirsche (Atropa), Stechapfel (Datura), Bilsenkraut (Hyoscyamus) und Engelstrompete (Brugmansia) lösen ein anticholinerges Vergiftungsbild aus. Sie werden vor allem von Jugendlichen als Drogen missbraucht. Nach kurzer Latenz kann die Gabe von Aktivkohle angezeigt sein, Patienten sollten kardial überwacht werden. Bei ausgeprägten peripheren Beschwerden hilft Neostigmin, bei ausgeprägten ZNS-Symptomen Physostigmin.
Insbesondere Kleinkinder neigen zum Verzehr potenziell giftiger Pilze. Giftinformationszentren halten Listen von Pilzsachverständigen bereit, die beim Identifizieren der Pilze helfen können.
Quelle: Nordmeyer SD et al. Monatsschr Kinderheilkd 2022; 170: 613-620; DOI: 10.1007/s00112-022-01520-w