Personalisierte Krebsmedizin Jetzt wird’s persönlich

Autor: Dr. Melanie Söchtig

Molekularpathologische Untersuchungen helfen spezifische Resistenz­mechanismen zu detektieren, um die Behandlung gegebenenfalls daran anpassen zu können. Molekularpathologische Untersuchungen helfen spezifische Resistenz­mechanismen zu detektieren, um die Behandlung gegebenenfalls daran anpassen zu können. © SciePro – stock.adobe.com

Am Beispiel des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms wird deutlich, welche Erfolge sich mit einer personalisierten Krebsmedizin erzielen lassen. Für die praktische Umsetzung ist es zunächst erforderlich, bestimmte Treibermutationen nachzuweisen.

In Deutschland sind derzeit rund 20 verschiedene Substanzen für eine zielgerichtete Therapie des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms zugelassen. Bereits heute kommen etwa 40 % der NSCLC-Patienten aufgrund der molekulargenetischen Beschaffenheit ihres Tumors für mindestens eine dieser Behandlungsoptionen infrage – Tendenz steigend. Doch in welchen Fällen ist eine Testung tatsächlich sinnvoll? Und wie geht es weiter, wenn Patienten keine der als Angriffspunkt benötigten Treibermutationen aufweisen? Alle Patienten mit NSCLC und Indikation für eine palliative Systemtherapie sollten eine molekularpathologische Diagnostik erhalten, schreiben Dr. ­Felix ­Saalfeld vom Klinikum der Technischen Universität Dresden und Kollegen in einer Übersichtsarbeit. 

Ausdrücklich empfehlen sie eine genetische Testung auch für Patienten, deren Tumor sich nicht zweifelsfrei einem „klassischen“ NSCLC (Adeno- bzw. Plattenepithelkarzinom) oder SCLC zuordnen lässt. Dies betrifft beispielsweise undifferenzierte pulmonale Karzinome, großzellig-neuroendokrine und SCLC bei Patienten ohne nennenswerten Zigarettenkonsum. 
Hauptbestandteil der molekulargenetischen Testung ist eine Gen­panel-Sequenzierung in jenen Bereichen des Genoms, die beim NSCLC häufig Mutationen aufweisen. Zusätzlich können immunhisto­chemische Tests und/oder eine Fluo­reszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) sinnvoll sein, um z.B. die PD-L1-Expression auf den Tumorzellen oder bestimmte Genfusionen zu überprüfen.

Bei Sequenzierung künftige Zielgene einschließen

Die Sequenzierung sollte zumindest alle Gene abdecken, für die bei Vorliegen einer Veränderung (d.h. Mutation, Fusion oder Amplifikation) eine zielgerichtete Therapie zur Verfügung steht. Da grundsätzlich auch eine Behandlung im Rahmen klinischer Studien oder mit Off-Label-Therapien möglich ist, bietet es sich an, die Tes­tung um potenzielle künftige Therapieziele zu erweitern.

Häufige Treibermutationen, für die es in Deutschland derzeit zielgerichtete Erstlinientherapien gibt, sind EGFR, ALK, ROS1, RET, BRAF-V600 und NTRK. In der Zweitlinie besteht die Möglichkeit, auch KRAS-G12C, MET und HER2 als Angriffspunkte zu nutzen – teilweise nur im Rahmen von Studien bzw. off label.

Molekularpathologische Untersuchungen helfen nicht nur bei der Entscheidung, wann welche Behandlung durchgeführt werden soll. Sie können auch nach Einleitung einer zielgerichteten Therapie sinnvoll sein, um spezifische Resistenz­mechanismen zu detektieren und die Strategie ggf. daran auszurichten.

Nicht bei allen Patienten mit ­NSCLC lässt sich im Rahmen der molekularpathologischen Diagnostik eine Treibermutation feststellen, für die eine Therapieoption zur Verfügung steht. In diesen Fällen ist eine Behandlung, die auf Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICI) basiert, empfehlenswert. Dazu zählen v.a. gegen PD-1 oder PD-L1 gerichtete Antikörper. Mögliche Kontraindikationen wie eine schwerwiegende Auto­immunerkrankung sind im Vorfeld der ICI-Therapie auszuschließen, betonen die Autoren. Eine Zulassung besteht für rund zehn verschiedene ICI-Regime in der Erstlinienbehandlung des NSCLC. 

Immuncheckpoint-Inhibitoren ggf. mit Chemo kombinieren

Allerdings gibt es nur einen einzigen validierten Biomarker zur Stratifizierung, nämlich die PD-L1-Expression. Bei einer Expression von mindestens 50 % auf den Tumorzellen kann eine ICI-Monotherapie initiiert werden. Ist sie niedriger, sollte man den ICI mit einer platinbasierten Chemotherapie kombinieren. Von einer rundum personalisierten Immuntherapie kann also noch nicht die Rede sein, betonen Dr. Saalfeld und Kollegen.

Um NSCLC-Patienten eine qualitativ hochwertige und zugleich wohnortnahe Versorgung zu ermöglichen, setzen die Autoren auf eine zentrale molekularpathologische Tes­tung, aber eine dezentrale Behandlung. Sie verweisen auf das nationale Netzwerk Genomische Medizin Lungenkrebs (nNGM). Regionale Zentren, die diesem Zusammenschluss angehören, führen eine Mindestzahl an Analysen durch und nehmen zur Qualitätssicherung an netzwerkweiten Ringversuchen teil. Innerhalb des nNGM werden Testergebnisse und klinische Informationen zu durchgeführten Therapien gesammelt, von Experten begutachtet und ggf. für die MuriPedia-Datenbank aufbereitet.

Quelle: Saalfeld FC et al. Dtsch Med Wochenschr 2023; 148: 1166-1173; DOI: 10.1055/a-1935-1939