Diagnostik und Therapie von Wunden Wie KI die Diagnostik und Therapie von Wunden bereichern kann

KI_Dermatologie Autor: Nina Arndt

Die KI-Diagnostik hat in der Wundversorgung vielversprechende Fortschritte gemacht. Die KI-Diagnostik hat in der Wundversorgung vielversprechende Fortschritte gemacht. © IRINA – stock.adobe.com

Die KI-Diagnostik hat in der Wundversorgung vielversprechende Fortschritte gemacht. Erste Modelle erkennen Hautulzera mit hoher Treffsicherheit. Doch es gibt Herausforderungen: Datenmenge und -qualität, Bias sowie erklärbare Ergebnisse sind entscheidend.

Ulzerierte Vasculitis allergica, Pyoderma gangraenosum  oder doch ein Ekthyma? Die Diagnosestellung ist oft nicht trivial, wie Dr. Manuel Krieter vom Klinikum Nürnberg an einem Fallbeispiel zeigte. Ein 49-Jähriger litt an kleineren Ulzerationen mit lividem, teilweise unterminiertem Randsaum an den unteren Extremitäten sowie an Petechien im Abdominalbereich und an den Armen. Erst im dritten Anlauf gelang dem Team die Diagnose: Ekthyma mit Begleitvaskulitis.

Wären die Fehldiagnosen mithilfe einer KI vermeidbar gewesen? Ein Kollege aus dem Auditorium reagierte skeptisch. Dr. Krieter und Dr. Maurice Moelleken vom Universitätsklinikum Essen erklärten, welche Möglichkeiten sich durch KI in der Wunddiagnostik und -versorgung bieten.

Wunddiagnostik

Zu den simpleren Anwendungen von KI in der Wunddiagnostik zählen binäre Klassifikationssysteme: ein Modell, das beispielsweise zwischen einem Ulcus cruris venosum und einem postoperativen Ulcus cruris unterscheidet. Das ist eine recht einfache Anwendung, merkte Dr. Moelleken an, aber die Architektur solcher Modelle lässt sich erweitern. Langfristig soll es multidimensionale Systeme geben, die anhand von Fotos verschiedene Wundtypen erkennen, so Dr. Krieter. Davon sei man aber noch weit entfernt.

Im Rahmen einer Promotionsarbeit am Uniklinikum Essen habe man bereits eine KI-Anwendung so erweitert, dass diese zwischen vier Wundtypen unterscheiden kann: Ulcus cruris venosum, postoperatives Ulcus, Pyoderma gangraenosum und Necrobiosis lipoidica. Die Ergebnisse der Arbeit sind vielversprechend, so Dr. Moelleken. Die Anwendung erkannte in 19 von 20 Fällen eine Necrobiosis lipoidica und mit einer Rate von 100 % die übrigen Krankheitsbilder.

Wunde statt Socke erkennen – was ein gutes KI-Modell ausmacht

Ein Foto zeigt einen Unterschenkel mit einer tiefen, nässenden Wunde, die Hose ist hochgekrempelt, eine Socke liegt im Hintergrund. Die KI-Anwendung kommt zu dem Schluss: Ulcus cruris venosum. Doch hat sie die Diagnose wirklich anhand der Wunde gestellt oder war womöglich die Socke für die Entscheidung ausschlaggebend? Um ein zuverlässiges System zu schaffen, sind gute Trainingsdatensätze und Kontrollmechanismen erforderlich, erklärte Dr. Krieter.

Frei verfügbare künstliche neuronale Netzwerke (convolutional neural networks) bieten eine Grundstruktur, die man trainieren und anschließend validieren kann. Die dafür notwendigen Datensätze stellen jedoch oft ein Problem dar, da viele Fotos nötig sind. Um die Datenmenge zu erhöhen, werden die Bilder daher gedreht, verzerrt, gespiegelt, aufgehellt oder abgedunkelt. Zudem müssen die Fotos eine gewisse Qualität haben und den Datenschutzregeln entsprechen, betonte der Referent.

Manche Datensätze bringen auch einen Bias mit sich, sodass die Diagnose nicht wegen der Wunde selbst gestellt wird, sondern aufgrund von Faktoren wie einer Socke im Hintergrund. Daher muss man KI-Modelle vor Überanpassungen schützen. Dabei helfen u. a. Dropout-Layers: Einzelne Knoten in neuronalen Netzen werden bei verschiedenen Trainingsläufen so ausgeschlossen, als ob sie gar nicht Teil der Netzarchitektur wären.

Nützlich ist zudem ein Grad-CAM (Gradient-weighted Class Activation Mapping). Es lässt erkennen, wo die KI für ihre Analyse hinschaut. Wundbereiche werden beispielsweise farblich abgrenzt. Die Informationen können außerdem in einem Erklärbarkeits-Score berücksichtigt werden. Dieser gibt Auskunft darüber, wie nachvollziehbar die Ergebnisse der KI sind und wie sehr man ihr vertrauen kann.

Ebenfalls gute Ergebnisse erzielte ein Modell zur Beurteilung von Verbrennungswunden: Zuverlässig identifizierte es die betroffenen Bereiche und bestimmte die Verbrennungsgrade. Die Anwendung wurde zudem in eine App integriert, in die Betroffene Fotos ihrer Wunde hochladen können. Basierend auf dem ermittelten Schweregrad bietet die App zudem Empfehlungen zu Erste-Hilfe-Maßnahmen.

Prognoseabschätzung

Auch zur Prophylaxe und Prognose setzt man KI inzwischen ein, erklärte Dr. Krieter, beispielsweise beim neuropathischen Fußulkus. Durch die Analyse von klinischen Bildern und Infrarotaufnahmen der Fußsohle mithilfe einer KI-Anwendung ließen sich Risikobereiche identifizieren, die besonders anfällig für neue Ulzerationen waren.

Kompressionstherapie

Für die Kompressionsversorgung stehen u. a. Kompressionsstrümpfe sowie Mehrkomponenten- und medizinisch adaptive Kompressionssysteme zur Verfügung. Die genaue Volumenreduktion kann man aber meist nur grob abschätzen, so Dr. Moelleken. Es fehle an digitalen Parametern, die anzeigen, ob eine adäquate Entstauung erreicht wurde.

Einen möglichen Ansatz bietet ein KI-System mit Zugriff auf die Handykamera der Patientin oder des Patienten. Anhand der gewonnenen Informationen beurteilt es, ob die Kompressionstherapie wirklich zu einer Volumenreduktion geführt hat. Damit könnte sich die Beurteilung in Zukunft objektiver gestalten, erklärte Dr. Moelleken.

Antibakterielle Therapie

Im Falle einer Wundinfektion braucht es eine adäquate Antibiose. Dazu ist zunächst eine mikrobiologische Analyse nötig – und die kann bis zu 72 Stunden dauern. 

Verschiedene Forschergruppen arbeiten daher an einer elektronischen Nase. Dabei handelt es sich um einen nicht-invasiven Sensor, der bestimmte Stoffwechselprodukte der Bakterien – sogenannte flüchtige organische Verbindungen – misst und analysiert. Den Sensor hält man entweder direkt über die Wunde oder man lässt einen Abstrich analysieren. Letzteres hat den Vorteil, dass Eigengerüche des Betroffenen nicht interferieren.

Das Gemisch an Stoffwechselprodukten ist bakterienspezifisch, sodass man direkt zwischen verschiedenen Arten wie S. aureus und P. aeruginosa unterscheiden könnte. Auch eine Abgrenzung von methicillinsensiblen und methicillinresistenten Staphylokokkenarten erhoffe man sich, ergänzte der Referent.

Diese Projekte lassen sich vielleicht eines Tages zu einem Gesamtkonzept zusammenführen, z. B. in Form eines intelligenten Wundverbands, erklärte Dr. Moelleken. Dieser analysiere dann, ob die Wunde gut heilt, Infektionen erfolgreich behandelt wurden und ob ein Arztbesuch nötig ist. Das sei aber noch Zukunftsmusik. Es brauche noch sehr viel mehr Forschung, betonte der Referent abschließend.

Quelle: Kongressbericht - Wundkongress 2024