Ernährungsstörung bei Tumorerkrankung Nicht immer nur auf den Appetit achten

Autor: Alexandra Simbrich

Bei Tumorpatient:innen tritt häufig auch eine Ernährungsstörung auf. Die Therapie sollte individuell nach Differenzierung der Art von Ernährungsstörung festgelegt werden. Bei Tumorpatient:innen tritt häufig auch eine Ernährungsstörung auf. Die Therapie sollte individuell nach Differenzierung der Art von Ernährungsstörung festgelegt werden. © lumenphotos – stock.adobe.com

Bei einer Tumorerkrankung kommt es häufig zu Ernährungsstörungen. Die Ursachen dafür sind vielfältig, zudem führen verschiedene Phasen der Erkrankung zu einem unterschiedlichen Bedarf. Tumorpatienten sollten daher regelmäßig auf Ernährungsstörungen gescreent und entsprechend begleitet werden.

Bereits vor der Diagnosestellung sind bis zu 50 % aller Tumorpatienten von Ernährungs­störungen, Appetitlosigkeit oder einem Verlust des Körpergewichts betroffen, erläutert Dr. Jann­ ­Arends, Klinik für Innere Medizin I, Universität Freiburg. Übergewichtige Patienten mit einer Tumor­erkrankung bilden keine Ausnahme, da es trotz Adipositas zu einem übermäßigen Verlust an Muskelmasse kommen kann. Diese sarkopene Adipositas ist sogar häufig und mitunter gefährlich, da sie aufgrund der bestehenden Fettreserven oberflächlich als guter bis akzeptabler Ernährungszustand beurteilt werden könnte. Auch chirurgische oder medikamentöse Therapien haben mitunter einen Einfluss auf den Appetit sowie auf die Nahrungsaufnahme und -verdauung (s. Tabelle).

Ernährungsstörungen, die mit einer Krebserkrankung oder deren Therapie einhergehen

tumorassoziiert

therapieassoziiert

  • Anorexie

  • Geruchs- und Geschmacksstörung

  • Dysphagie

  • gastrointestinale Stenosen, Motilitätsstörung, Fisteln

  • Verlust von Gewicht bzw. Muskelmasse

  • Minderung der Immunkompetenz

  • Katabolie, Insulinresistenz

  • Anorexie

  • Geruchs- und Geschmacksstörung

  • Xerostomie

  • Übelkeit, Erbrechen

  • Malabsorption, Diarrhö

  • Obstipation

  • Organresektionen, Kurzdarm, Stomata

Appetitverlust und Schmerzen als mögliche Faktoren

Für die korrekte Einordnung typischer Ernährungs- und Stoffwechselprobleme hilft es zunächst, sich an den Unterschieden in Nahrungsaufnahme, körperlicher Aktivität und metabolischem Grundmuster zu orientieren: Faktoren wie eine unzureichende Nahrungsaufnahme, Appetitverlust oder chronische Schmerzen können – bei gleichbleibender körperlicher Aktivität – zu einer unzureichenden Energiezufuhr und damit zu einer ketotischen Stoffwechsellage führen. Letztlich kommt es bei dieser Unter- oder Mangelernährung vom Hungertyp zu einem Verlust von Körpergewicht und Muskelmasse. Im Gegensatz dazu kann es ohne Beeinträchtigung der Nahrungsaufnahme oder des Stoffwechsels zu einer Sarkopenie kommen. Dies ist der Fall, wenn eine anhaltende körperliche Inaktivität dazu führt, dass sich der Anteil der Muskelmasse in der fünften Perzentile einer Referenzpopulation wiederfindet. Doch nicht immer entwickelt sich eine Sarkopenie isoliert: Ist die Tumor­erkrankung fortgeschritten, kommt es mitunter zusätzlich zu einer mangelnden Nahrungsaufnahme und einem proinflammatorischen katabolen Stoffwechsel. Besonders bedrohlich ist laut Dr. Arends die für eine Kachexie typische Kombination von Gewichts- und Muskelverlust mit einer chronisch aktivierten sys­temischen Inflammation, gut messbar anhand von C-reaktivem Protein oder Albumin. 

Wichtig sind klare Strukturen und Zuständigkeiten

Zur Differenzierung der Ernährungsstörung können Patienten über ein validiertes Tool gescreent und im nächsten Schritt weiter dia­gnostisch abgeklärt werden. Wichtig hierbei sind definierte Strukturen und Zuständigkeiten: Wenn klar ist, wer das Screening durchführt, wer die Befunde auswertet und wer die Therapie einleitet, kann eine Ernährungsstörung erfolgreich erkannt und behandelt werden. Die Behandlungsansätze sind unterschiedlich: Die Therapie der Mangelernährung vom Hungertyp zielt auf einen Ausgleich des Fehlbedarfs von Energie und Nährstoffen ab, während bei der alleinigen Sarkopenie beim regelmäßigen Kraft- und Ausdauertraining angesetzt wird. Demgegenüber ist die Behandlung der Kachexie komplex und erfordert die Kooperation verschiedener Disziplinen, um die Nahrungszufuhr und die körperliche Aktivität zu fördern und den Stoffwechsel zu stabilisieren. 

So lange wie möglich auf normalem Wege ernähren

Die Zufuhr von zusätzlicher Energie oder Nahrung richtet sich nach dem individuellen Bedarf und sollte so lange wie möglich auf normalem Wege erfolgen. Ergänzend kann man zur Kostwahl oder Energieanreicherung der Mahlzeiten beraten. Ist es den Patienten auf normalem Wege nicht möglich, ausreichende Kost zu sich zu nehmen, sollte man mit Trinknahrung supplementieren oder letztlich auf eine enterale oder par­enterale Ernährung zurückgreifen (s. Kasten).

Eskalierende Stufen der Betreuung bei drohender Mangelernährung

  • Ernährungsberatung in Bezug auf die Kostwahl und die Verteilung der Mahlzeiten

  • Maßnahmen zur Steigerung des Appetits

  • Beratung zu regelmäßiger Bewegung

  • Anreicherung von Speisen mit Proteinen und Fetten

  • Anbieten von und Beratung zur Einnahme von bilanzierten Trinknahrungen

  • ggf. zusätzlich enterale Sondenernährung

  • ggf. zusätzlich parenterale Ernährung

Für den Benefit von Nahrungs­ergänzungsmitteln bei Tumor­erkrankungen gibt es derzeit keine Daten. Der Bedarf an Mikronährstoffen und Spurenelementen ist mit dem von Gesunden vergleichbar und sollte entsprechend gedeckt oder bei Mangelzuständen ausgeglichen werden. Ernährungskonzepte wie Fasten und andere hypokalorische Kostformen sind wissenschaftlich noch nicht ausreichend untersucht. Eine unkontrolliert durchgeführte ketogene Diät kann gar zu weiterem Gewichtsverlust führen.

Bei unheilbarer Erkrankung sollte einem Gewichtsverlust entgegengewirkt werden, etwa durch Hinzunahme von Trinknahrung. Eine individualisierte Beratung kann helfen, die Wünsche der Betroffenen und die ernährungstherapeutischen Möglichkeiten aufeinander abzustimmen. Am Lebensende steht anstelle der Ernährungsbetreuung die Symptomlinderung im Fokus.

Quelle: Arends J. Innere Medizin 2023; 64: 10-18; DOI: 10.1007/s00108-022-01456-z