Vorsorgekoloskopie Nutzen oder schaden die NordICC-Ergebnisse der Darmkrebsfrüherkennung?
Die NordICC-Studie ist die erste publizierte RCT zu den Langzeitfolgen der Screening-Koloskopie, erinnerte Prof. Dr. Hermann Brenner vom DKFZ in Heidelberg.1 Über zehn Jahre hinweg führte eine einmalige Koloskopie zu einer signifikanten Senkung der Darmkrebsfälle um 18 % (intention to screen) beziehungsweise 31 % (adjusted per protocol). Betrachtet man wiederum die CRC-bedingte Mortalität der tatsächlich Untersuchten, beträgt die Reduktion 50 %, obwohl der Effekt für die gesamte Interventionsgruppe nicht signifikant ausfiel.
„Damit ist der RCT-Nachweis für die Senkung der Darmkrebsinzidenz erbracht, aber die Risikoreduktion war doch deutlich niedriger als zuvor erwartet“, resümierte der Experte. Dies erklärt er sich damit, dass nur 42 % die angebotene Untersuchung tatsächlich in Anspruch nahmen. Darüber hinaus erhielten wahrscheinlich mehr als 20 % der Kontrollgruppe während der Nachbeobachtungszeit eine diagnostische Koloskopie.
„Man muss wirklich zwischen den prävalenten und den inzidenten Fällen differenzieren, was in der Studie nicht gemacht wurde“, fuhr der Kollege fort. Bei denjenigen, die das Vorsorgeangebot wahrnahmen, diagnostizierten Ärzt:innen in dem Jahrzehnt 102 Kolorektalkarzinome. 62 davon fielen schon im Screening auf, waren also zu Studienbeginn vorhanden und konnten nicht mehr verhindert werden. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass in der Interventionsgruppe 52 Malignome weniger als erwartet auftraten, habe die Vorsorgekoloskopie bei den Nutzer:innen 57 % der inzidenten Fälle verhütet. Darüber hinaus entdeckten Fachleute bereits bestehende Tumoren etwa drei Jahre früher.
In Deutschland sei die CRC-Inzidenz in der Bevölkerung seit Einführung des Früherkennungsprogramms um circa 30 % gesunken. Würde die Vorsorge breiter genutzt, insbesondere auch von schwer erreichbaren Risikogruppen, hält Prof. Brenner auch eine Halbierung wie in den Vereinigten Staaten für möglich. Er mahnte: „Das sollten wir auch dringlich anstreben, weil uns angesichts der demografischen Entwicklung sonst nach zuletzt sinkenden Zahlen wieder eine deutliche Zunahme der absoluten Fälle erwartet.“
Fakten zu NordICC
- Stichprobe von 94.959 Personen zwischen 55 und 64 Jahren; keine vorherige Darmkrebserkrankung oder -früherkennung
- Rekrutierung 2009–2014 in Polen, Norwegen, Schweden und den Niederlanden
- 1:2 randomisiert: Angebot Vorsorgekoloskopie vs. Usual Care
- Verknüpfung mit nationalen Krebs- und Mortalitätsregistern
- primäre Endpunkte: CRC-Inzidenz und -Mortalität nach 10/15 Jahren
PD Dr. Christian Pox, St.Joseph-Stift, Bremen, enttäuschten die Resultate hingegen.2 Nach den bisherigen Intention-to-Screen-Daten aus NordICC müssen Mediziner:innen 455 Berechtigte einladen, um einen Darmkrebsfall zu verhindern. Der internistische Onkologe verwies darauf, dass die Studienergebnisse bereits dazu verwendet werden, die Darmkrebsfrüherkennung als unwirksam zu diskreditieren. Er schilderte: „Natürlich bedeutet das nicht, dass die Koloskopie nichts bringt, aber das muss man dann erklären, weil die ersten Daten schon ernüchternd sind.“
Die Ergebnisse unterstrichen auf jeden Fall die Bedeutung der Teilnahmerate. In einer niederländischen Studie mit mehr als 30.000 Personen akzeptierten 24 % eine einmalige Koloskopie und 31 % eine Sigmoidoskopie. Andererseits führten 73 % der betreffenden Subgruppe viermal einen Stuhltest (FIT) durch. Von Letzteren erhielten 19 % ein positives Ergebnis und 13 % eine Koloskopie zur Abklärung. „Wenn man die Teilnahme berücksichtigt, muss man sagen, dass der viermalige FIT mehr fortgeschrittene Neoplasien entdeckt hat als die Sigmoidoskopie oder die Koloskopie“, schloss Dr. Pox zugespitzt. Insgesamt stagnieren die Teilnahmeraten der Vorsorgekoloskopie in Deutschland bei etwa 20 %. Der Experte ist sich auch nicht sicher, inwiefern das jetzige Einladungsverfahren etwas daran ändern kann.
„Natürlich ist es so, dass die NordICC-Studie die Möglichkeit einer Primärprävention bestätigt, das Ausmaß ist aber sehr unklar“, schlussfolgerte der Kollege. Man müsse das 15-Jahres-Follow-Up und weitere Studien abwarten. Da die Teilnahmerate an der Vorsorgekoloskopie momentan nicht ausreiche, benötige man eine Alternative, namentlich FIT. Pragmatisch könnte sich der Referent beispielsweise vorstellen, dass denjenigen ein solcher Test zugesandt wird, die bis zu einem festgelegten Alter nicht am Screening teilgenommen haben.
Quellen:
1. Brenner H. DKK 2024; Vortrag „Pro: NordICC hilft bei der Implementierung und Durchführung von Vorsorgeprogrammen“
2. Pox C. DKK 2024; Vortrag „Kontra: NordICC verhindert die Implementierung und Durchführung von Vorsorgeprogrammen“