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Renin-Angiotensin-Aldosteron-System Östradiol legt den Schalter um

Autor: Dr. Andrea Wülker

Unter polarisiertem Licht und mehrfach vergrößert kommen Östradiolkristalle wie ein abstraktes Kunstwerk daher. Unter polarisiertem Licht und mehrfach vergrößert kommen Östradiolkristalle wie ein abstraktes Kunstwerk daher. © iStock/jarun011; Science Photo Library / Pasieka, Alfred
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Nicht nur für die weibliche Fertilität spielt Östradiol eine wichtige Rolle. Das Hormon moduliert auch zahlreiche Körperfunktionen, die nichts mit der Fortpflanzung zu tun haben und interagiert unter anderem mit dem Renin-Angiotensin-Aldosteron-System. Das lässt sich bei postmenopausalen Frauen therapeutisch nutzen.

Mit den Wechseljahren entwickeln viele Frauen einen Bluthochdruck und andere kardiovaskuläre Erkrankungen. Eine Ursache dafür ist die nachlassende Ovarialfunktion. Denn durch den Mangel an Sexualhormonen fällt der kardiovaskuläre Bonus weg, den Frauen während ihrer reproduktiven Phase genießen.

Verantwortlich für diesen Bonus ist Östradiol (Estradiol, E2). Dieses Hormon stellt eine Verbindung zwischen weiblicher Fertilität und optimalen kardiometabolischen und Immunfunktionen her, schreibt das Team um Felice Gersh von der Arizona School of Medicine, Tucson. Denn für eine erfolgreiche Reproduktion müssen ganz verschiedene Körperfunktionen reguliert werden. Dazu zählen beispielsweise die Blutdruckkontrolle, die Regulation des intra- und extrazellulären Flüssigkeitsvolumens und effektive Reaktionen auf Traumata oder Krankheitserreger. All diese Funktionen moduliert Östradiol im weiblichen Körper, weshalb man in zahlreichen Organsystemen E2-Rezeptoren findet: beispielsweise in Gefäßen, Myokard, Muskeln, Gehirn, Nieren und Immunzellen.

Hormon bestimmt, welcher Signalweg dominiert

Ein komplexer und bisher viel zu wenig beachteter Zusammenhang existiert zwischen Östradiol und dem Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS). Das RAAS besteht aus einer Gruppe von Enzymen und Peptiden, die im gesamten Kreislauf vorliegen und die in verschiedenen Geweben exprimiert werden (beispielsweise in Gefäßen, Herz, Niere, reproduktivem System, lymphatischem Gewebe und Gehirn). Das System umfasst zwei Signalwege, einen antiinflammatorischen und einen proinflammatorischen. Welcher der beiden Signalwege gerade dominiert, wird durch Östradiol ganz wesentlich beeinflusst (s. Kasten).

Östradiol als RAAS-Regulator

Das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) besteht aus zwei miteinander verbundenen Signalwegen, einem proinflammatorischen und einem antiinflammatorischen. Beide Signalwege sind für die Regulation von Blutdruck sowie Wasser- und Elektrolythaushalt entscheidend. Weniger bekannt ist, dass das RAAS auch für eine gezielte und komplette Immunantwort verantwortlich ist, beispielsweise bei einem Trauma oder bei Exposition gegenüber Krankheitserregern. Östradiol ist ein wichtiger Botenstoff, der den „Switch“ zwischen dem proinflammatorischen und dem antiinflammatorischen Signalweg des RAAS moduliert. Liegt ausreichend Östradiol vor, ist das RAAS auf „Antiinflammation“ eingestellt. Bei einem Trauma oder beim Eindringen von Pathogenen schaltet Östradiol das System zügig auf den proinflammatorischen Signalweg um. Sobald die Gefahr vorüber ist, programmiert Östradiol das RAAS wieder auf „Antiinflammation“ um und stellt damit die Homöostase wieder her.

Wenn sich im Laufe der Wechseljahre ein Mangel an Östradiol einstellt, „hängt“ das RAAS im proinflammatorischen Signalweg „fest“ und es entwickelt sich eine chronisch persistierende geringgradige systemische Inflammation. Ab dem Alter von 60 bis 65 Jahren tragen der Östradiolmangel und die RAAS-Dysregulation bei postmenopausalen Frauen zur Entwicklung kardiovaskulärer Erkrankungen bei, sodass Herz-Kreislauf-Erkrankungen in dieser Altersgruppe ähnlich häufig gefunden werden wie bei gleichaltrigen Männern. Das Hormondefizit bewirkt bei postmenopausalen Frauen auch ein Nachlassen der Immunfunktion und eine erhöhte Sterblichkeit aufgrund von Infektionen. Verschiedene Medikamente zur Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen setzen an der Dysregulation des RAAS an und blockieren bestimmte Komponenten des proinflammatorischen Signalwegs. Allerdings bieten RAAS-modifizierende Substanzen oft keine perfekte Lösung der zugrunde liegenden physiologischen Störungen. So gibt es beispielsweise diverse Interaktionen zwischen den beiden Signalwegen: blockiert man den einen, hat das Einflüsse auf den anderen. Die Autoren plädieren daher für eine Östradiol-Ersatztherapie in physiologischer Dosierung, um bei Frauen die in der Postmenopause unvermeidliche RAAS-Regulationsstörung zu behandeln. Eine Therapie mit humanidentischen Hormonen kann ihrer Ansicht nach zusammen mit entsprechenden Lebensstilinterventionen und RAAS-modifizierenden Medikamenten eine sehr gute Strategie sein, um die Gesundheit postmenopausaler Frauen zu optimieren.

Quelle: Gersh FL et al. Mayo Clin Proc 2021; DOI: 10.1016/j.mayocp.2021.08.009