1A-Award für „50 Jahre Baby-Notarztwagen“ Pionier bei Spezialtransporten für Neugeborene: Björn Steiger Stiftung ausgezeichnet
Wie fing denn eigentlich alles an?
Thomas Pflanz: Noch Anfang der 1970er-Jahre wurden die Frühchen in herkömmlichen Rettungswagen zur besseren Versorgung in Spezialkliniken transportiert. Dabei sollten sie eigentlich überhaupt nicht transportiert werden, weil die Gefahren für das Baby zu groß sind – zum Beispiel durch starke Erschütterungen.
Und dann änderte eine Idee alles ...
Genau. Die Kinderärzte des Olgahospitals und der Städtischen Kinderkliniken Stuttgart waren die Initiatoren des ersten Baby-Notarztwagens in Deutschland. Die gemeinnützige Björn Steiger Stiftung übernahm mit dem Deutschen Roten Kreuz die Umsetzung – so wurde am 25. Juni 1974 das erste Modell offiziell eingeweiht.
Welche medizinischen Ausstattungen und Technologien sind für den Transport von Früh- und Neugeborenen besonders wichtig?
Das Herzstück des Baby-Notarztwagens ist der Transportinkubator. Dieser hält die Temperatur, Luftfeuchtigkeit und viele weitere wichtige Parameter stabil. Weiterhin sorgt er für eine sichere Umgebung im Zusammenspiel mit dem Rückhaltesystem.
Wie wird sichergestellt, dass die Babys so schonend wie möglich transportiert werden?
Ein Schwingtisch unter dem Transportinkubator mildert die Schwingungen, die trotz der speziellen Dämpfung des Fahrzeuges auftreten können. Der Baby-Notarztwagen verfügt außerdem über eine spezielle Akustikdämmung samt einer Lautstärkemessung, da Babys auch sehr empfindlich auf Lärm reagieren.
Wie hat sich der Baby-Notarztwagen im Laufe der letzten 50 Jahre weiterentwickelt?
Früher war der Baby-Notarztwagen ein ausgebauter Kombi, so wie alle anderen Krankenwagen auch. Heute werden Mercedes Sprinter mit einem Gesamtgewicht von 5,5 Tonnen verwendet. Die ganzen technischen Weiterentwicklungen kamen in Zusammenarbeit mit zahlreichen Fachkräften aus der Medizin zustande.
Wie viele Einsätze fahren die Baby-Notarztwagen pro Jahr, und wie hat sich das über die Jahre entwickelt?
Das hängt von der Größe des Perinatalzentrums ab. In Leipzig beispielsweise fahren wir seit 2017 konstant zwischen 150 bis 200 Einsätze, in Halle und Chemnitz sind es nur um die 100. Früher, als die Entbindungskliniken und Kinderkliniken noch getrennt waren, gab es ein Vielfaches an Einsätzen.
Welche Finanzierungsmöglichkeiten gibt es für die Baby-Notarztwagen, und wie werden die Einsätze finanziert?
In Deutschland existieren 16 Rettungsdienstgesetze. Diese schreiben vor, welche Rettungsmittel vorgehalten werden müssen. In Hessen wurde der Baby-Notarztwagen über eine Privatinitiative ins Gesetz eingeklagt – dort werden nun aktuell fünf Fahrzeuge von den Krankenkassen refinanziert.
Und wie wird das in den anderen Bundesländern geregelt?
In den anderen Bundesländern werden diese Fahrzeuge – soweit vorhanden – als Rettungswagen abgerechnet. Der Satz ist aber um ein Vielfaches geringer. Daher sind Spenden und Patenschaften absolut unerlässlich für den Betrieb eines Baby-Notarztwagens.
Was kostet eigentlich ein neuer Baby-Notarztwagen?
Die maßgeschneiderte Ausrüstung hat auch ihren Preis: 300.000 Euro pro Wagen muss man schon kalkulieren. Bei der Björn Steiger Stiftung wird ein neuer Baby-Notarztwagen ausschließlich durch Spenden und Sponsoren finanziert.
Wie viele Baby-Notarztwagen gibt es aktuell in Deutschland, und wie ist ihre Verteilung?
In Deutschland fahren derzeit etwa zehn echte Baby-Notarztwagen. Andere sind herkömmliche Rettungswagen, tragen aber die Aufschrift „Baby-Notarztwagen“.
Werden die Fahrzeuge bundesweit oder nur in bestimmten Regionen eingesetzt?
Baby-Notarztwagen können nur in Regionen eingesetzt werden, in denen ein Perinatalzentrum der Klassifizierung „Level-1“ vor Ort ist.
Welche Rolle spielte die Björn Steiger Stiftung in der Entwicklung der Notfallmedizin für Neugeborene?
Die Stiftung war an vielen Errungenschaften der modernen Medizin beteiligt. Beim Thema Baby-Notarztwagen waren wir die ersten, die die überzeugenden Studien aus Skandinavien umgesetzt haben.
Wie sieht die Zukunft des Baby-Notarztwagen-Projekts aus, und welche Visionen verfolgt die Björn Steiger Stiftung?
Aktuell befinden sich sechs neue Baby-Notarztwagen in Planung. Weiterhin modifizieren wir die Schwingungssysteme auf die neuen elektrohydraulischen Fahrtragen der Rettungsdienste.
Was passiert mit einem Baby-Notarztwagen, wenn er außer Dienst gestellt wird?
Fahrzeuge, die außer Dienst gestellt werden, übergeben wir unseren Repräsentanten. Damit können sie diese komplexe Thematik der Bevölkerung noch näherbringen. Es ist immer sehr überzeugend, wenn man so etwas hautnah erleben kann.
Gab es Überlegungen, Einsätze per App oder digitalem Storytelling zugänglich zu machen, um Unterstützer in Echtzeit an den Erfolgen teilhaben zu lassen? Ein digitaler „Live-Blog“ könnte beispielsweise Spender und Unterstützer intensiver einbeziehen …
Ein klares Nein! Der Schutz der Privatsphäre der Neugeborenen steht an oberster Stelle.
Erhält man auch Dankesbotschaften nach einem Einsatz?
Natürlich, ein Beispiel: „Da haben uns ganz viele Engel begleitet. Der Baby-Notarztwagen war damals auch mit dafür verantwortlich, dass unsere Tochter überhaupt überlebt hat.“ Das schrieb uns die Mutter eines Frühchens, das vor sieben Jahren kurz nach der Geburt operiert und in eine Spezialklinik gefahren werden musste.
Gibt es einen speziell benannten „Schutzengel“ oder ein Symbol, das die Baby-Notarztwagen-Teams begleitet?
Seit 2012 ist die fünfte Generation des Baby-Notarztwagens mit dem Namen Felix, benannt nach dem Schutzpatron für Schwangere und Kleinkinder, Felix von Cantalice, auf Deutschlands Straßen unterwegs und hat allein im Jahr 2023 mehr als 300 Frühchen schonend in Spezialkliniken transportiert.
Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung mit dem 1A-Award?
Der Preis ist eine große Bestätigung für alle, die sich um die Baby-Notarztwagen verdient gemacht haben, und das teilweise seit 50 Jahren. Zugleich ist er eine echte Motivation, mit demselben Elan weiterzumachen.
Interview: MT
Die Preisträger
Joachim von Beesten ist Geschäftsführer für Forschung, Innovation und Sonderfahrzeuge bei der Björn Steiger Stiftung. Sein Kollege Thomas Pflanz kümmert sich seit 2010 um die Baby-Notarztwagen.