Richtig eingesetzt ist der Placeboeffekt ein mächtiger Verbündeter

Autor: Michael Brendler

Endlich konnte sich der Placeboeffekt von seinen Vorurteilen befreien. Endlich konnte sich der Placeboeffekt von seinen Vorurteilen befreien. © iStock.com/Tutye

Einst galt der Placeboeffekt als Verkaufstrick von Quacksalbern. Inzwischen hat man seine Mechanismen gründlich studiert und weiß ihn schulmedizinisch zu nutzen.

Lange war der Placeboeffekt unerwünscht. Dies änderte sich erst Ende der 1970er-Jahre als gezeigt wurde, dass sich durch Gabe von Opioidantagonisten eine Placeboanalgesie verhindern lässt. Die positive Reaktion auf ein Scheinmedikament musste also ebenfalls über das endogene System vermittelt sein. „Damit wurde das Phänomen schlagartig auf dem Boden physiologischer Tatsachen verortet“, schreiben Diplompsychologe Dr. Björn Horing und Professor Dr. Christian Büchel vom Institut für Systemische Neurowissenschaften am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

Positive Erwartung macht Therapie wirksamer

Dass die bewusste Wahrnehmung eine große Rolle bei der Wirksamkeit einer Therapie spielt, zeigte 2001 eine Studie an frisch Operierten. Alle hingen nach dem Eingriff am Schmerzperfusor, doch nur 50 % von ihnen erfuhren, wann die Infusion tatsächlich startete. Das Ergebnis war beeindruckend, die Informierten klagten über deutlich weniger Beschwerden.

In den letzten Jahren hat die Wissenschaft den Placeboeffekt gründlicher studiert und gelernt, dass er sich manipulieren lässt. Eine wirksame Therapie, so weiß man heute, ist abhängig von den individuellen Erwartungen des Patienten und dem Behandlungskontext. So schaffen z.B. gute Vorerfahrungen beste Voraussetzungen für eine positive Haltung und verstärken so den Effekt der folgenden Therapie. Frühere negative Erfahrungen bewirken hingegen das Gegenteil.

Zudem hat man herausgefunden, dass Placebos nicht nur neuronale, sondern auch immunologische Parameter beeinflussen und dass Placeboeffekte allein schon durch das Beobachten anderer entstehen können. Bei Kindern und Tieren beeinflusst beispielsweise das Verhalten relevanter Bezugspersonen die Wirkung einer Placebogabe.

Abhängig ist der Placeboeffekt auch vom Arzt: Je zugewandter und empathischer er sich dem Kranken gegenüber zeigt, desto mehr wird das Placebo ihm ein enger Verbündeter sein. Es kann allerdings durchaus zum Nocebo mutieren, etwa wenn der Arzt die Nebenwirkungen eines Medikaments zu stark betont und damit deren Auftreten geradezu heraufbeschwört. Verschweigen darf man mögliche Nebenwirkungen deswegen aber nicht.

Theoretisch lässt sich der Mensch sogar gänzlich auf Scheinmedikamente konditionieren. Die Angelegenheit impliziert allerdings ein ethisches Problem. Es ist nicht vertretbar, einem Patienten ohne dessen Einwilligung ein nur vermeintlich wirksames Medikament zu verabreichen, schreiben die Autoren. Das käme einer Täuschung gleich und würde damit einem der Grundpfeiler der Medizinethik zuwiderlaufen, der Selbstbestimmtheit des Kranken.

Placebos einstreuen, Medikamente einsparen

Zwar gibt es erste Hinweise, dass ein Placebo bei Reizdarmkranken sogar wirkt, wenn man es als solches angekündigt hat. Allerdings wäre es verfrüht, aus diesen Studien konkrete Schlüsse zu ziehen. Dennoch sind Scheintherapien vielseitig einsetzbar. So deutet sich u.a. an, dass man Medikamentendosen reduzieren kann, wenn man intermittierend Placebos einstreut. Vor allem bei nebenwirkungsstarken Substanzen ließe sich die Belastung durch diese „Konditionierung des Effektes“ reduzieren.

In der Praxis hat sich der Nutzen der Pseudowirkung durchaus rumgesprochen, immerhin setzen laut Umfragen 46 % der deutschen Allgemeinärzte Placebos ein. Allerdings ist auch eine Mehrheit der Patienten dazu bereit, sich gelegentlich über die Wirkung einer Behandlung täuschen zu lassen.

Quelle: Horing B, Büchel C. Hamburger Ärzteblatt 2018; 72: 12-16