Brustkrebs Selbst mit metastasierter Erkrankung können Patient:innen heute noch viele Jahre bei guter Gesundheit verbringen.

Expertenrunde Brustkrebs 2023 Autor: Günter Löffelmann

Prof. Dr. Nadia Harbeck spricht im Interview über die aktuelle Versorgungslage von Brustkrebspatient:innen in Deutschland. Prof. Dr. Nadia Harbeck spricht im Interview über die aktuelle Versorgungslage von Brustkrebspatient:innen in Deutschland. © Dmitry Kovalchuk – stock.adobe.com

Wie steht es um die Versorgung von Brustkrebspatientinnen in Deutschland? Die Medical Tribune sprach mit Prof. Dr. Nadia Harbeck über strukturelle Voraussetzungen, moderne Behandlungskonzepte und bürokratische Hürden beim Zugang zu Diagnostik und Therapie.

Frau Prof. Harbeck, in einer aktuellen Auswertung der deutschen WiZen-Studie lebten Brustkrebspatient:innen signifikant länger, wenn sie in zertifizierten statt in nicht-zertifizierten Zentren erstbehandelt wurden. Gleichzeitig erhielt aber ein gutes Drittel der Betroffenen die Therapie in nichtzertifizierten Einrichtungen. Wie bewerten Sie dies?

Prof. Harbeck: Man darf aus diesen Ergebnissen nicht schließen, dass jede Person, die in einem nichtzertifizierten Zentrum behandelt wird, automatisch eine schlechtere Prognose hat. Und es gibt ja auch Gründe, warum sich manche Patient:innen für eine Einrichtung entscheiden, die nicht zertifiziert ist – Wohnortnähe, Komorbiditäten, die es gar nicht erlauben, bestimmte Therapien in Anspruch zu nehmen usw. Dennoch trete ich ganz entschieden dafür ein, dass die Behandlung – wann immer möglich - in einem zertifizierten Zentrum erfolgt. Wir verfügen mittlerweile bundesweit über rund 250 solcher Einrichtungen, da sollte eigentlich immer eine in Wohnortnähe sein.

Was zeichnet die zertifizierten Zentren aus?

Prof. Harbeck: Wir müssen jedes Jahr nachweisen, dass wir bei der Indikationsstellung und bei der Ergebnisqualität wirklich top sind. Ein weiteres wesentliches Merkmal ist, dass wir die Expert:innen zu den Betroffenen bringen.

Das bedeutet zum Beispiel …

Prof. Harbeck: Das heißt, dass wir die Betroffenen an die Hand nehmen und sicher durch die Erkrankung bringen. Ich sehe immer wieder Patient:innen, die sagen: „Ich habe mich alleingelassen gefühlt, musste mir alle Informationen selbst suchen!“ Das geht anders. Ich hatte vor Kurzem eine sehr junge Patientin, bei der wir neben der optimalen Krebstherapie auch die Familienplanung berücksichtigen mussten. Wir haben ihr noch am ersten Tag einen Termin im Kinderwunschzentrum vermittelt. Wenig später kam eine Patientin zu uns, der hat vor der Chemo niemand gesagt, dass sie ihre Eizellen einfrieren lassen kann. So etwas darf einfach nicht passieren.

Gibt es Defizite in der Brustkrebsversorgung, mit denen auch zertifizierte Zentren zu kämpfen haben?

Prof. Harbeck: Durchaus! Es ist mir etwa nicht erklärlich, warum das Brust-MRT nicht Kassenleistung ist. Wir brauchen es nicht bei allen  Patient:innen, aber wenn wir es z.B. zur OP-Planung brauchen, müssen es die Patient:innen selbst zahlen – eine Zumutung, MRT vom Knie oder anderen Gelenken werden ja auch bezahlt. Und es gibt nach wie vor Hürden, wenn wir therapeutische Innovationen rasch zu den Patient:innen bringen wollen. Vor Kurzem wurde beispielsweise ein Medikament zugelassen, das nach vorheriger positiver Testung auf eine ESR1-Mutation eingesetzt werden kann. Zu dieser Testung gibt es aber noch keine Abrechnungsziffer. Für Patient:innen, denen wir es verordnen wollen, müssen wir jetzt im nächsten halben Jahr immer eine Kostenübernahme bei den Krankenkassen beantragen. Ähnlich ist die Situation bei nicht zugelassenen neuen Untersuchungs- und Behandlungsverfahren, die nach dem sogenannten Nikolausurteil des Bundesverfassungsgerichts durch die GKV erstattet werden müssen. Der Anspruch ist einklagbar, aber zunächst müssen wir aufwendig um die Kostenübernahme kämpfen. Da geht viel Zeit verloren, die wir lieber in die Betreuung der Patient:innen investieren würden. Und manche Patient:innen erleben den Erfolg ihrer Klage dann leider auch nicht mehr.

Was schlagen Sie vor?

Prof. Harbeck: Man könnte beispielsweise ein System etablieren, in dem zwei Zentren unabhängig voneinander prüfen, ob bestimmte Voraussetzungen für eine Verordnung erfüllt sind. Wenn das der Fall ist, sollte die Kostenübernahme automatisch erfolgen.

Bleiben wir bei den Innovationen – woran arbeiten Sie gerade?

Prof. Harbeck: Wir sind in Deutschland auf einem sehr guten Niveau, was die bildgebende Diagnostik anbelangt, vom Ultraschall über die Mammografie bis hin zur PET-CT. Und wir entwickeln nun Konzepte, bei denen wir diese Diagnostik auf innovative Weise mit der Therapie verzahnen und zur Therapiesteuerung nutzen. In einem gerade abgeschlossenen Projekt haben wir gezeigt, dass man im PET-CT mit Tracern für die molekulare Diagnostik östrogenrezeptorpositive Tumorzellen nachweisen kann und dass Patient:innen, deren Metastasen hochgradig positiv sind, von einer alleinigen Antihormontherapie profitieren können, also keine zusätzlichen Medikamente benötigen. So können wir Übertherapien vermeiden. Weiter gehen wir dazu über, den Erfolg einer Therapie zu dokumentieren, während sie läuft, und je nach Ergebnis zu eskalieren oder zu deeskalieren. Wir tun das z.B. im Rahmen einer neoadjuvanten Chemotherapie oder – wenn Patient:innen ein hormonrezeptorpositives Karzinom haben – einer kurzen präoperativen Antihormontherapie. Im OP- Präparat sehen wir, ob der Tumor anspricht, ob etwa die Proliferationsrate unter der präoperativen Antihormontherapie auf 10 Prozent oder weniger gesunken ist. Und daraus können wir schließen, wie wir therapeutisch weitermachen. Frau Prof. Nitz und ich haben dafür den Deutschen Krebspreis 2023 erhalten. Ich sehe darin einen Trend, bei dem man nur mithalten kann, wenn man über ein eng ko­operierendes interdisziplinäres Netzwerk aus Gynäkologen, Onkologen, Chirurgen, Pathologen, Radiologen, Strahlentherapeuten etc. verfügt. 

Im Rahmen der Expert:innenrunde wurde deutlich, dass es ein großes Potenzial für eine Vision Zero beim Brustkrebs gibt. Welches Signal geht von der Veranstaltung aus? 

Prof. Harbeck: Wir haben gezeigt, was wir beim Brustkrebs bereits erreicht haben, aber auch, wie groß die aktuellen Fortschritte sind und wo wir noch besser werden können. Und es geht darum, Vertrauen in das zu schaffen, was wir tun. Veranstaltungen, wie die Expert:innenrunde Brustkrebs, sind dazu hervorragend geeignet – auch weil wir damit immer wieder neue Zielgruppen erreichen. Eine der Botschaften ist: Patient:innen können selbst im metastasierten Stadium heute noch viele Jahre leben. Sie sind ganz normal in die Gesellschaft integriert, gehen arbeiten, haben eine Familie. Sie nehmen halt Krebsmedikamente. Und das ist doch ein unglaublicher Fortschritt, dass man mit der Erkrankung heute so leben kann.

Interview: Günter Löffelmann

Prof. Dr. Nadia Harbeck, Leitung Brustzentrum und Onkologische Tagesklinik der Frauenklinik,
LMU Klinikum München Prof. Dr. Nadia Harbeck, Leitung Brustzentrum und Onkologische Tagesklinik der Frauenklinik, LMU Klinikum München © zVg