Endoskopie mit 90? Spiegelung ist nach individueller Abwägung auch im hohen Alter effektiv und sicher
Leiden geriatrische Patientinnen und Patienten unter Symptomen wie Dysphagie, Anämie oder Durchfall oder soll eine Kontrolle nach Barrett-Ösophagus-OP erfolgen, kann eine Endoskopie sinnvoll sein. Auch die Früherkennungs-/Vorsorgekoloskopie ist nicht ausgeschlossen: In der aktuellen Leitlinie gibt es dafür wegen der steigenden Lebenserwartung keine obere Altersgrenze, betonte Prof. Dr. Stefan von Delius, Medizinische Klinik 2 am Klinikum Rosenheim.
Allerdings wurden für diese Maßnahme höhere Komplikationsraten im Alter berichtet. Nach einer Metaanalyse kommt es bei über 80-Jährigen im Rahmen der Darmspiegelung zu mehr multiplen gastrointestinalen Komplikationen, insbesondere zu Perforationen. Eine Zunahme von Blutungen führte Prof. von Delius auf die wahrscheinlich größere Zahl von abgetragenen Polypen zurück. Ansonsten ließ sich bei Ösophagogastroskopie, endoskopischem Ultraschall, endoskopischer retrograder Cholangiopankreatikografie (ERCP), Kapselendoskopie oder Enteroskopie kein grundsätzlich erhöhtes Risiko für ältere Menschen ermitteln.
Definiert werden geriatrische Patientinnen und Patienten durch ein Alter über 80 Jahre oder eine geriatrietypische Multimorbidität im höheren Lebensalter. Besonders relevant im Zusammenhang mit gastroenterologischen endoskopischen Maßnahmen sind nach Meinung des Referenten:
- Sturzneigung und Schwindel
- kognitive Defizite
- Störungen im Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt
- herabgesetzte Belastbarkeit
- starke Seh- und Hörminderungen
- Medikationsprobleme
- erhöhtes Komplikationsrisiko
Viele geriatrische Patientinnen und Patienten sind antikoaguliert. Ob und wie lange eine Einnahmepause vor der Endoskopie erfolgt, muss nach Abwägung von Blutungsrisiko und Thromboembolierisiko entschieden werden. Prof. von Delius führt bei niedrigem Blutungsrisiko Magenspiegelungen mit Biopsien auch unter laufender Antikoagulation durch. SGLT2-Inhibitoren sollten vor der Endoskopie unbedingt drei Tage lang, Metformin nur am Eingriffstag pausiert werden. Bei insulinpflichtigem Diabetes riet er dazu, periprozedural ein kurz wirksames Insulin zu verwenden.
Der Ablauf der Magen- oder Darmspiegelung sollte die Besonderheiten im geriatrischen Profil berücksichtigen. Für die Aufklärung ist es bedeutsam, ob kognitive Einschränkungen oder Seh- und Hörbehinderungen vorliegen und ob es einen gesetzlichen Betreuer gibt. Prof. von Delius schlug außerdem vor, von der Aufnahme an ein Patientenarmband zur korrekten Identifikation zu platzieren. Er plädierte dafür, bei Bedarf die Betroffenen stationär aufzunehmen, auch wenn die Kostenerstattung dafür problematisch ist.
Vor dem Eingriff empfahl er ein Team-Time-out, in dem
- der Patient/die Patientin identifiziert wird (Name, Geburtsdatum),
- man die Klassifikation des Anästhesierisikos, individuelle Gefährdungen und besondere Medikamente bespricht,
- die Vollständigkeit der Dokumente inklusive der Einverständniserklärung geprüft wird,
- man den durchzuführende Eingriff und etwaige Besonderheiten durchgeht,
- die Vollständigkeit der Instrumente kontrolliert wird.
Bei Störungen im Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt wie auch bei bestehender Sturzneigung und Schwindel bergen schon die Nüchternphase und das Abführen ein relevantes Risiko. Prof. von Delius gab den Tipp, geriatrische Patientinnen und Patienten vormittags zu endoskopieren, um die Nüchternphase möglichst kurz zu halten. Das Abführen erfolgt am besten tagsüber, gegebenenfalls steht ein Toilettenstuhl neben dem Bett bereit. „In Einzelfällen nehmen wir sogar pflegende Angehörige mit ins Krankenhaus auf“, berichtete der Kollege.
Auch bei älteren Menschen sollte ein Split-Dosis-Regime verwendet werden. Polyethylenglykol-basierte Substanzen (Makrogol) eignen sich bei älteren Menschen trotz der höheren Trinkmenge besser als osmotische Laxanzien, die zu zusätzlichen Elektrolytverschiebungen führen können. Es muss bei geriatrischen Patientinnen und Patienten mit einer höheren Rate an Restverschmutzungen gerechnet werden, erklärte Prof. von Delius. Für eine Koloskopie hoher Qualität sorgt dann die Spülpumpe, die für ihn sowieso integraler Bestandteil der Endoskopieeinheit ist.
Auch die Sedierung stellt für ältere Menschen ein potenzielles Risiko dar. Propofol ist aber auch bei über 80-Jährigen sicher anwendbar, sollte jedoch langsam begonnen und deutlich niedriger dosiert werden als bei Jüngeren. Midazolam dagegen ist kein gutes Medikament für die Sedierung alter und multimorbider Menschen, betonte der Gastroenterologe. Es kann zu Atemdepression und Verwirrtheitszuständen führen sowie paradoxe Reaktionen hervorrufen.
Quelle: Viszeralmedizin 2024