Stalking: Die Mehrheit der Täter ist voll straffähig
Zu Beginn seiner Arbeit vor knapp 20 Jahren wurde er für seine Forschung noch belächelt, erinnerte sich Professor Dr. Harald Dreßing, Leiter der Forensischen Psychiatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim. Um die Jahrtausendwende war Stalking ein Thema, auf das sich hierzulande meist nur die Boulevardpresse stürzte. Geforscht und publiziert hatten damals vor allem die Kollegen im angelsächsischen Raum. Mittlerweile ist Stalking auch in Deutschland in der Forschung angekommen. Zahlreiche Bücher, Publikationen und sogar eine eigene Leitlinie gibt es mittlerweile, was nicht zuletzt an der Arbeit des Experten liegt.
Trotzdem sehen sich Ärzte noch immer mit einigen Hürden konfrontiert, wenn sie es mit Stalkingopfern zu tun haben – oder den Tätern. So fehlt bis dato eine allgemeine Definition, was man unter Stalking genau versteht. Allen Begriffserklärungen ist aber gemein, dass sie eine subjektive Komponente des Opfers einbeziehen: dessen Angst. Prof. Dreßing und seine Kollegen verstehen unter Stalking ein Verhaltensmuster, bei dem ein Täter einen anderen Menschen verfolgt, belästigt, häufig auch bedroht. Unter Umständen kommt es zu körperlicher Gewalt bis hin zum Mord. Das Opfer fühlt sich durch den Täter bedrängt und verängstigt. Wie lange die genannten Verhaltensweisen anhalten müssen, um als Stalking bezeichnet werden zu können, ist bislang nicht einheitlich definiert.
Es sind verschiedene Typen von Tätern beschrieben
Nicht nur für die Strafverfolgung, sondern auch für die Forschung ist das Wissen relevant, wer stalkt. Gibt es eine Typologie von Tätern, d.h. bestimmte Charaktereigenschaften, die ggf. eine Prognose erlauben, wie wahrscheinlich es zu Gewalt kommt? Die zahlreichen Einteilungen setzen unterschiedliche Schwerpunkte, erklärte Prof. Dreßing weiter. Mal steht die Motivation des Stalkers im Vordergrund (Liebe, Versöhnung vs. Hass, Wut), mal die Täter-Opfer-Beziehung (Intimpartner, Promi, Kollege, Nachbar) oder psychopathologische Aspekte (psychotisch?). Bei alledem sei es jedoch wichtig, sich bewusst zu machen, dass die meisten Stalker nicht psychisch krank sind – und damit voll straffähig.
Eine Sache des Strafrechts
- zurückgewiesene Stalker, die mit Abstand die größte Gruppe der Täter bilden. Meist handelt es sich um Expartner des Opfers, die den ehemaligen Partner zurückwollen.
- beziehungssuchende Stalker, die häufig unter „Liebeswahn“ leiden und das Feedback, das ihnen ihr Opfer gibt, ignorieren oder uminterpretieren („Sie/Er hat zwar Nein gesagt, dabei aber gezwinkert, ist also doch interessiert.“).
- inkompetente Stalker, die nicht wissen, wie man eine Beziehung führt, gering sozial und u.U. intellektuell inkompetent sind. Laut Prof. Dreßing seien diese oft harmlos.
- rachsüchtige Stalker, bei denen das Opfer stellvertretend für ein Unrecht steht, das man ihm angetan hat. Diese Täter fühlen sich dazu berechtigt, zu stalken.
- beutelüsterne Stalker, die die kleinste, aber mit Abstand gefährlichste Gruppe bilden. Sie sind bereit zu Straftaten bis hin zum Mord.
Über 80 % der Gewalttaten gehen Drohungen voraus
Ärzte sollten wachsam bleiben und bei ihren Patienten auf Hinweise im Verhalten, o.g. Symptome und ganz konkrete Äußerungen (z.B. über Belästigungen) achten. Hausärzte, die ihre Patienten häufig sehr genau und seit Jahren kennen, können dies in aller Regel besser leisten als Fachkollegen. In keinem Fall dürfen die Augen verschlossen oder Ängste von Betroffenen heruntergespielt werden, mahnte der Experte. Denn über 80 % der Gewaltanwendungen gehen Drohungen voraus. Bei Expartnern ist in mehr als der Hälfte der Stalking-Fälle Gewalt im Spiel.1 Mullen PE et al. Am J Psychiatry 1999; 156: 1244-1249; DOI: 10.1176/ajp.156.8.1244
Quelle: DGPPN-Kongress 2020 – digital (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde)