Orthopädische Auffälligkeiten Verwächst sich das noch?
Orthopädische Fehlstellungen bei Kindern erfordern meist keine Behandlung: In 70 % der Fälle reichen eine Aufklärung der Eltern sowie gegebenenfalls Kontrolltermine aus. Rund 20 % der jungen Patienten können konservativ behandelt werden. Nur etwa 10 % benötigen operative Maßnahmen wie eine Wachstumslenkung, berichten Dr. Anna-Katharina Doepfer und Dr. Meike Meißner vom Osteologie-Schwerpunktzentrum orthoGroup in Hamburg. Dies sind die fünf häufigsten orthopädischen Gründe, die in der Praxis entdeckt werden.
Hüftdysplasie
Die Sonografie zum Dysplasienachweis (s. Abb. 1)wird normalerweise im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung U3 durchgeführt. Bei Risikofaktoren wie Geburt in Beckenendlage oder positiver Familienanamnese wird sie schon vor der 4. bis 5. Lebenswoche empfohlen. Betroffene Kinder sollten möglichst frühzeitig behandelt werden, weil die Nachreifungsfähigkeit in den ersten sechs bis zwölf Wochen besonders groß ist. Häufig genügt schon das Tragen einer speziellen Bandage oder Schiene. Im Fall einer Nachreifungstherapie sind regelmäßige Kontrollen bis zum Abschluss des Wachstums nötig, darunter eine Röntgenuntersuchung nach Laufbeginn.
Knick-Senk-Füße
Zwischen dem ersten und sechsten Lebensjahr sind Knick-Senk-Füße (siehe Abb. 2) physiologisch. Ein flexibler, schmerzfreier Knick-Senk-Fuß bedarf daher in diesem Alter keiner Therapie. Ein sichtbares Längsgewölbe entwickelt sich erst langsam ab dem zweiten bis dritten Lebensjahr. Die Beweglichkeit des Fußes lässt sich im Stand auf den Zehenspitzen beurteilen. Bei einer flexiblen Deformität kommt es zur Aufrichtung des Fersenvalgus und Längsgewölbes. Bei kleineren Kindern lässt sich das Gewölbe auch im Sitzen mit unbelasteten Füßen oder im Stand bei angehobener Großzehe erkennen. Ist eine Verkürzung der Wadenmuskeln ausgeschlossen, braucht es keine weitere Diagnostik.
Eine gezielte Kräftigung der Muskulatur ist wichtig für die Fußentwicklung. Kinder sollten daher möglichst viel barfuß gehen, ab und zu Gegenstände mit den Zehen aufheben sowie Slalom oder Achtertouren laufen. Einlagen sind den Autorinnen zufolge nur bei symptomatischen Knick-Senk-Füßen erforderlich. Eine Operation kommt erst bei refraktären Beschwerden ab dem zehnten Lebensjahr in Betracht.
Werden in der Untersuchung ein angehobener lateraler Fußrand und eine kranial hochgezogene Ferse sichtbar, deutet das auf einen relativ steil stehenden Talus hin. Zur Abklärung dient eine Röntgendiagnostik, bei der auch auf Verwachsungen zwischen den Fußwurzelknochen zu achten ist. Entsprechende Veränderungen und Symptome erfordern eine Operation.
Genua valga oder vara
Laufanfänger zeigen meist eine varische Beinachse, die sich bis zum Erreichen des zweiten Lebensjahrs zurückbilden sollte. Danach entwickelt sich eine valgische Beinachse (s. Abb. 3), die sich in der Regel mit acht bis zehn Jahren begradigt hat. Eine länger bestehende Varus- oder Valgusstellung muss genauer abgeklärt werden. Gegebenenfalls ist eine operative Bremsung der Wachstumsfuge (temporäre Epiphyseodese) indiziert, um eine verfrühte Arthrose durch einseitige Belastung zu verhindern. Bei einer starken oder einseitigen Abweichung der Beinachse müssen bereits im frühen Alter sekundäre Ursachen wie Skelettdysplasien, metabolische Störungen (z.B. Rachitis) sowie Fehlstellungen nach einer Fraktur ausgeschlossen werden.
Knie- und Hüftschmerzen
Bei Kleinkindern im Alter von etwa drei Jahren kommt es nach Infektionen häufig zu einer Coxitis fugax. Der „Hüftschnupfen“ zeigt sich durch eine eingeschränkte Beweglichkeit, vielfach mit Abduktionshemmung. Sonografisch fällt ein geringer Erguss im Hüftgelenk auf. Wichtig ist die Abgrenzung von einer bakteriellen Arthritis: Sie geht häufig mit einem verminderten Allgemeinzustand und erhöhten Entzündungsparametern einher; schon im Verdachtsfall ist eine sofortige stationäre Einweisung indiziert. Die Coxitis fugax hingegen spricht gut auf Schonung und NSAR an. Differenzialdiagnostisch sollten rheumatologische Erkrankungen und ein Morbus Perthes (idiopathische aseptische Nekrose des Caput femoris) ausgeschlossen werden.
Wenn Jugendliche plötzlich oder zunehmend ein Bein nicht mehr belasten, ist an eine Epiphyseolysis capitis femoris zu denken. Typisch sind Schmerzen im Bereich von Leiste, Knie und Oberschenkel. Bei passiver Flexion im Hüftgelenk kommt es häufig zu einer Außenrotations- und Abduktionsbewegung (Drehmann-Zeichen) oder die Betroffenen klagen über starke Schmerzen. Eine Röntgenuntersuchung ist obligat. Wegen des Hüftkopfnekroserisikos ist eine schnelle Operation nötig.
Skoliose
Bei Mädchen zeigt sich die Skoliose oft während des Wachstumsschubs vor der Menarche. Beim Vornüberbeugen fallen ein Rippenbuckel (v.a. rechts) und ein Lendenwulst (v.a. links) sowie Becken- oder Schultertiefstände auf. Eine Röntgenuntersuchung bestätigt den Verdacht und ermöglicht eine Einschätzung des Schweregrads. Therapeutisch sind meist krankengymnastische Übungen empfohlen, je nach Ausmaß der Verkrümmung aber eventuell auch eine Korsetttherapie oder sogar eine OP.
Quelle Text und Abb.: Doepfer AK, Meißner M. Hamburger Ärzteblatt 2022; 76: 42-43