DGHO-Jahrestagung „Wir brauchen Präsenzveranstaltungen für den wissenschaftlichen Austausch“
Professor Dr. Mackensen, was ist das Besondere der diesjährigen DGHO-Jahrestagung und welche Hürden gab es im Vorfeld zu meistern?
Professor Dr. Andreas Mackensen: Die diesjährige DGHO-Jahrestagung steht unter einem ganz besonderen Stern, weil wir uns endlich einmal wieder persönlich treffen können. Das war aufgrund der Coronapandemie lange nicht möglich. Der Kongress 2020 war zunächst in Präsenz geplant und musste dann kurzfristig in ein virtuelles Format umstrukturiert werden, was für Professor Dr. Markus Manz, den damaligen Kongresspräsidenten, eine große Herausforderung darstellte.
Wir fragten uns daher vor der jetzigen Jahrestagung, ob die Veranstaltung wieder in Präsenz durchführbar ist und entschieden uns nach langen Überlegungen letztendlich für ein Hybridformat. Wir planen vor Ort mit 1.000 Teilnehmern pro Tag, zusätzlich kann man sich virtuell dazuschalten. Ich freue mich sehr, zumindest einen Teil der Kollegen wieder persönlich zu treffen.
Wo sehen Sie die Vor- und Nachteile von Präsenz- bzw. Online-Veranstaltungen?
Prof. Mackensen: Ich denke, dass wir Präsenzveranstaltungen unbedingt für den wissenschaftlichen Austausch brauchen, denn Kongresse leben davon. Die Diskussionen finden einerseits in den Sitzungssälen statt, aber auch nach den Vorträgen. Das ist etwas, was bei den virtuellen Formaten komplett fehlt. Zudem bergen Letztere die „Gefahr“, dass sich Ärzt:innen immer nur in einzelne Sitzungen einwählen und sich dann wieder ihrem Alltag widmen. Das ist vor Ort anders – hier nimmt man sich für die Kongresstage bewusst Zeit und konzentriert sich auf die Veranstaltung. Das ist für mich sehr wichtig.
Der Vorteil einer Hybridveranstaltung hingegen ist: Wir können alle mitnehmen und müssen niemanden ausschließen. Gerade bei einer begrenzten Teilnehmerzahl von 1.000 Personen pro Tag war uns das sehr wichtig. Aber genau das wird auch die Herausforderung sein: Manche Referenten sind vor Ort, andere schalten sich online dazu. Das macht die Planung etwas schwieriger.
Dr. Christoph Oing: Ich stimme Herrn Prof. Mackensen absolut zu – ein Online-Format kann die direkte Interaktion nicht ersetzen. Netzwerken sowie persönliche Gespräche und Vorstellungen sind enorm wichtig und ich freue mich daher sehr, wieder Kolleg:innen vor Ort treffen zu können.
Nichtsdestotrotz sehe ich in Onlineveranstaltungen auch Vorteile. Man kann sich zu jeder Zeit von überall dazu schalten. Gerade für junge Kolleg:innen ist das von Vorteil, weil sie, wenn sie nicht gerade ein Poster präsentieren oder einen Vortrag halten dürfen, oftmals aufgrund dienstlicher oder familiärer Verpflichtungen, z.B. mit kleinen Kindern, nicht an Kongressen teilnehmen. Durch das virtuelle Format kann man daher mitunter mehr Menschen erreichen als mit einer reinen Präsenzveranstaltung. Mit der Möglichkeit, online teilzunehmen, entfällt einiges an Reisetätigkeit. Im Hinblick auf die Umwelt sehe ich das als weiteren Pluspunkt.
Was sind Ihre Highlights der diesjährigen Jahrestagung?
Prof. Mackensen: Hier möchte ich zunächst die Plenarsitzungen erwähnen, für die wir ausgezeichnete Referent:innen gewinnen konnten. Herr Professor Dr. Stefan Wrobel wird während der Eröffnungsveranstaltung über das Projekt „Smart Hospital NRW“ referieren – also über die Transformation von bestehenden Krankenhäusern zu intelligenten Einrichtungen der Zukunft.
Ich freue mich außerdem, dass Privatdozentin Dr. Özlem Türeci zugesagt hat, über die Entwicklung von der RNA-Tumorvakzine zum Coronaimpfstoff zu berichten. Im dritten Plenarvortrag wird Professor Dr. Bernd Bodenmiller aus Zürich uns zeigen, wie mithilfe der bildgebenden Massenzytometrie Tumorgewebe auf der Ebene der einzelnen interagierenden Zelle quantifiziert und in hoch aufgelösten 3-D-Animationen visualisiert werden kann.
Dr. Oing: Für mich sind ebenfalls die diesjährigen Keynote-Speaker ein absolutes Highlight. Gerade für junge Kolleg:innen ist es spannend, so auch berufliche Werdegänge außergewöhnlicher und erfolgreicher Personen in der Hämatologie und Onkologie zu verfolgen und mehr über aktuelle Hot Topics in der onkologischen Forschung und mögliche Karriereoptionen zu erfahren. Ein Thema, das wir auch mit der Jungen DGHO adressieren.
Welche weiteren Themen werden auf dem Kongress unter anderem diskutiert?
Prof. Mackensen: Neben zahlreichen Vorträgen zu neuen Therapieentwicklungen, z.B. Immuntherapie, CAR-T-Zellen und zielgerichteten Behandlungen, wird es einige spezielle Themen geben. Eines davon ist der ärztlich assistierte Suizid. Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes im Februar haben sich dazu einige grundlegende berufsrechtliche und ethische Fragen ergeben. Diese wollen wir in einem wissenschaftlichen Symposium diskutieren, an dem unter anderem Kolleg:innen aus der Ethik und Politik teilnehmen werden. Wir konnten z.B. Renate Künast als Rednerin gewinnen. Sie wird über den Gesetzentwurf 1 – ein Gesetz zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben – referieren.
Außerdem freue ich mich, dass wir eine Session zu Behandlungsfehlern organisieren konnten. Das ist ein Thema, über das Ärzt:innen ja nicht so gerne sprechen. Drei erfahrene Kollegen werden in dieser Sitzung anhand von Fallvorstellungen über den Umgang mit Behandlungsfehlern berichten.
Auch die Digitalisierung und künstliche Intelligenz kommen auf der Jahrestagung nicht zu kurz. Themen sind hier unter anderem die Bearbeitung großer Datensätze, die Integration in die klinische Entscheidungsfindung sowie ein verbessertes Management von Nebenwirkungen durch elektronische Einbindung der Patient:innen. Zu Corona werden natürlich auch einige Referent:innen Vorträge halten, denn die Pandemie fordert uns nach wie vor heraus. Hier wollen wir vor allem medizinische, ökonomische und Versorgungsproblematiken diskutieren. Spannend sind sicherlich auch die Vorträge zu Toxizitätsmanagement, Therapiesicherheit und Interaktion von Medikamenten.
Weitere wichtige Aspekte, die auf dem Kongress besprochen werden, sind das molekulare Tumorboard und die Ausweitung der nationalen Krebszentren. Nicht zu vergessen ist die onkologische Pflege, für die es am Samstag verschiedene Vorträge geben wird. Diese werden ausschließlich online stattfinden. Speziell für Onkologinnen haben wir ein Seminar auf die Beine gestellt, in dem unter anderem Karrierechancen und die Übernahme von Führungsaufgaben diskutiert werden.
Ich denke, dass wir damit viele wichtige Aspekte der Onkologie abdecken können. Ich möchte mich ausdrücklich bei den Programmkomitees der DGHO bedanken, die maßgeblich an den Ideen und der Erstellung des Programms beteiligt waren.
Wie wichtig ist das Thema Nachwuchsmediziner in der Onkologie und wird es auf dem Kongress dazu ebenfalls Schwerpunkte geben?
Prof. Mackensen: Die Medizin, nicht nur die Onkologie, hat ein Nachwuchsproblem. Es ist sehr schwer, motivierte junge Kliniker:innen zu gewinnen, die sich für die Onkologie begeistern können. Die DGHO organisiert daher jedes Jahr eine Juniorakademie, die wir gemeinsam mit der Jungen DGHO organisieren. An der Juniorakademie nehmen rund 30 bis 40 Student:innen bzw. junge Ärzt:innen teil. Sie erhalten dort einen Überblick nicht nur über die onkologischen und hämatologischen Themen, sondern auch zu Aspekten wie Karriere an der Universität, Karriere in der Praxis oder an einem Krankenhaus, Drittmittelanträge für Forschungsprojekte, Psychoonkologie und Ethik. Die Junge DGHO hat auch für die diesjährige Jahrestagung ein Programm für junge Mediziner:innen und Student:innen zusammengestellt. Die Seminare finden am Sonntagnachmittag statt.
Dr. Oing: Neben dem von Herrn Prof. Mackensen erwähnten Studententag am Sonntagnachmittag haben wir, gemeinsam mit Kolleg:innen der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie & Medizinische Onkologie (OeGHO) Youngsters und der Schweizer Gesellschaft für Hämatologie (SGH), eine Session am Sonntagabend organisiert. Unter dem Motto „Karrierehilfen für junge Onkologinnen und Onkologen“ berichtet Dr. Sven Liebig als einer der Koordinatoren über das Mentoring-Programm der DGHO. Danach spricht Dr. Benedikt Westphalen über das Berufsbild des Clinician Scientist als spannende Karriereoption an der Schnittstelle zwischen Klinik und Forschung.
Zum Schluss referiert Professorin Dr. Anne Letsch über Karrierechancen für Frauen in der Onkologie. Prof. Letsch ist engagiert im Arbeitskreis „Frauen in der Hämatologie & Onkologie“ der DGHO und Leiterin des Onkologischen Zentrums des UKSH Campus Kiel. Frauen in Führungspositionen in der Hämatologie und Onkologie sind weiterhin deutlich in der Unterzahl. Gemeinsam wollen wir hier Karriereoptionen und die Sichtbarkeit der fachlichen Exzellenz von Hämatologinnen und Onkologinnen in den Fokus nehmen.
Was sind die Ziele der Jungen DGHO?
Dr. Oing: Der Arbeitskreis Junge DGHO besteht seit 2018 als Interessenvertretung für junge Onkolog:innen und Hämatolog:innen und hat mittlerweile 21 Mitglieder aus ganz Deutschland. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Bedürfnisse und Belange der jungen Kolleg:innen unseres Fachgebiets zu erfassen und innerhalb der Fachgesellschaft und nach außen zu vertreten. Der Arbeitskreis ist offen für alle jungen Kolleg:innen, die sich in die Arbeit innerhalb unserer Fachgesellschaft einbringen möchten.
Wir treffen uns zweimal im Jahr und besprechen verschiedene Projekte. Diese dienen dazu, junge Kolleg:innen dabei zu unterstützen, ihre Karrieren individuell zu planen, sich fortzubilden, Mentoren zu finden und die Attraktivität und Zukunftsfähigkeit unseres Fachgebiets zu sichern. Seit 2018 sind wir auch regelmäßig mit eigenen Programmbeiträgen bei den Jahrestagungen vertreten, was mich sehr freut und wozu ich herzlich einladen möchte.
Ist ein Rahmenprogramm beim diesjährigen Kongress geplant?
Prof. Mackensen: Während der Planung haben wir bewusst das Rahmenprogramm hintangestellt, da nicht klar war, ob ein solches überhaupt stattfinden kann. Ein „normales“ Rahmenprogramm, wie wir es aus Zeiten vor der Pandemie kennen, wird es nicht geben. Wir planen aber, uns an zwei Abenden außerhalb des Kongresszentrums mit den Referent:innen und Vorsitzenden in lockerer Runde zu treffen und auszutauschen.
Interview: Dr. Miriam Sonnet