Interview mit Pfizer Deutschland Dr. Daniel Kalanovic: „Wir gewinnen wertvolle Zeit“
Herr Dr. Kalanovic, die Bundesregierung hat eine Million Behandlungseinheiten von Paxlovid bei Pfizer bestellt. Wie viele Einheiten stehen noch zur Verfügung?
Bis Ende Juli 2022 haben wir mehr als 26,2 Millionen Behandlungszyklen in weltweit 41 Länder geliefert. In Deutschland ist das Bundesministerium für Gesundheit für die Beschaffung, die Lagerung und die Logistik von Paxlovid verantwortlich. Es arbeitet hier eng mit dem pharmazeutischen Großhandel zusammen. Zur Frage der Anzahl der abgegebenen Behandlungszyklen in Deutschland kann daher nur das Ministerium Auskunft geben.
Seit Mitte August dürfen Hausärzte bis zu fünf Therapieeinheiten je Praxis bevorraten und direkt an ihre Patienten abgeben. Wo sehen Sie den Vorteil gegenüber den bisherigen Abläufen?
Die klinische Zulassungsstudie hat gezeigt, dass die antivirale Therapie Paxlovid das Risiko einer Krankenhauseinweisung oder eines Todes gegenüber der Placebo-Vergleichsgruppe um 88 % senkt. Wie bei allen antiviralen Therapien ist der frühe Behandlungsbeginn entscheidend, spätestens innerhalb von fünf Tagen nach Auftreten der Symptome.
Das bedeutet für die Praxis: Wir müssen den Weg des Medikaments zu den Patient:innen möglichst kurz und niedrigschwellig gestalten. Das eingeführte Dispensierrecht hilft genau dabei, denn häufig sind die Hausärzt:innen erste Ansprechpartner für COVID-19-Infizierte. Gerade bei Patient:innen, die beispielsweise aufgrund von Vorerkrankungen oder ihres erhöhten Alters ein hohes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf haben, sollten die behandelnden Hausärzt:innen die individuellen Risikofaktoren meist sehr gut kennen.
Aus unserer Sicht bleiben auch die Apotheker:innen wichtige Kontaktpersonen. Sie stehen in regelmäßigem Austausch mit Ärzt:innen und Patient:innen und können mit ihrem Wissen über die zur Verfügung stehenden Therapiemöglichkeiten informieren. Es ist wünschenswert, dass diese Kontaktpunkte verstärkt auch im Vorfeld einer möglichen Infektion genutzt werden.
Welche Bedingungen müssen für die Abgabe des Medikaments in der Praxis erfüllt sein?
Zunächst einmal ist es wichtig, dass bei Auftreten von Symptomen schnellstmöglich eine Testung auf COVID-19 erfolgt. Dies kann auch ein Antigen-Schnelltest sein. Ein anschließender PCR-Test kann die Diagnose nochmals bestätigen, ist aber keine zwingende Voraussetzung für eine zügige Therapieentscheidung. Gemäß Fachinformation und aktuellen Leitlinienempfehlungen wird Paxlovid bei vulnerablen Patient:innengruppen angewendet, wenn entsprechende Symptome und ein positives Testergebnis vorliegen.
Umso besser Personen mit einem Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf bereits vor einer möglichen Infektion über ihr potenzielles Risiko informiert sind, desto schneller können sie reagieren, falls sie erkranken. Laut RKI zählt mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung ab 15 Jahren zur Risikogruppe für einen schweren COVID-19-Verlauf. Das sind rund 36,5 Mio. Menschen. Davon gelten 21,6 Mio. sogar als Hochrisikopatient:innen.
Wie lassen sich sehr früh nach einer Infektion diejenigen Patienten identifizieren, die von einer Therapie mit antiviralen Arzneimitteln zur Behandlung von COVID-19 besonders profitieren? Vor allem ältere Menschen in Pflegeeinrichtungen sind hinsichtlich schwerer Verläufe ja stark gefährdet.
Gerade Personen, denen während der COVID-19-Impfkampagne aufgrund ihrer Vorerkrankung eine höhere Priorisierung zukam, haben häufig auch ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf im Fall einer Infektion mit SARS-CoV-2. Dazu gehören ältere Erwachsene ab 60 Jahren unabhängig von einer Begleiterkrankung, aber unter anderem auch Menschen mit geschwächtem Immunsystem, mit aktiver Krebserkrankung, Herzerkrankung, chronischer Nieren- und Lungenerkrankung, starkem Übergewicht, Hypertonie und auch Diabetes.Zusätzlich können schwere Verläufe auch bei Personengruppen ohne bekannte Vorerkrankung auftreten, eine gute Übersicht liefert der epidemiologische Steckbrief zur SARS-CoV-2 und COVID-19 des RKI.
Ältere Menschen in Pflegeeinrichtungen sind besonders gefährdet, da bei ihnen oft mehrere Risikofaktoren zusammen vorliegen. Mit der neuen Regelung einer möglichen vor Ort Bevorratung auch in Pflegeeinrichtungen kann hier wertvolle Zeit bei der frühzeitigen Therapie einer SARS-CoV-2-Infektion gewonnen werden.
Wie bewerten Sie die Diskussion in den Medien um den sog. Rebound-Effekt von Paxlovid versus das Medikament als „Game-Changer“ für Risikopatienten für einen schweren Verlauf?
Das amerikanische Center for Disease Control and Prevention (CDC) vermutet, dass ein kurzzeitiges Wiederauftreten der Symptome Teil des natürlichen Verlaufes der Infektion sein kann, unabhängig von der Behandlung mit Paxlovid und unabhängig vom Impfstatus.
Diese Annahme deckt sich mit den Erkenntnissen der Zulassungsstudie (EPIC-HR-Studie). Hier war in beiden Studienarmen zu beobachten, dass eine kleine Anzahl von Teilnehmer:innen 10 bis 14 Tage nach Beginn der Behandlung im Vergleich zum Abschluss der Behandlung eine höhere Viruslast aufwies. Diese Fälle traten bei den Paxlovid- und den Placebo-Teilnehmer:innen mit 2,3 % vs. 1,7 % in ähnlicher Häufigkeit auf. Es gibt keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass eine mögliche Resistenzentwicklung Grund für den Rebound-Effekt sein könnte.
Paxlovid senkt effektiv die Viruslast sowohl für geimpfte als auch für ungeimpfte Patient:innen mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf (Quellen: EPIC-HR-Studie und EPIC SR-Studie), um das Risiko für COVID-19 assoziierte Hospitalisierungen und Todesfälle zu reduzieren. In Real-World-Studien sehen wir die antivirale Aktivität von Paxlovid auch gegen die aktuell vorherrschende Omikron-Variante (inkl. BA.5) (Quelle).
Damit ist Paxlovid aktuell eine der wichtigsten Präventionsmaßnahmen, um vor einem schweren COVID-Verlauf zu schützen. Die wichtigste Primärprävention bleibt nach wie vor das persönliche Verhalten und die Impfung.
Neben der neu geschaffenen Möglichkeit der Direktabgabe in den Hausarztpraxen könnte man auch den Tweet des Bundesgesundheitsministers zur eigenen Behandlung mit Ihrem Produkt als Unterstützung werten. Spüren Sie hierdurch Auswirkungen auf den Absatz?
Wenn bekannte Persönlichkeiten über ihre COVID-Infektion berichten und in diesem Zusammenhang ihre Paxlovid-Therapie erwähnen, unterstützt das vor allem die international gültigen Therapieempfehlungen der Expert:innen.
Gut ist, dass auf den verschiedenen politischen Ebenen die Bekämpfung von COVID-19 weiterhin sehr ernst genommen wird. Gerade mit Blick auf die kommenden Herbst- und Wintermonate ist es entscheidend, dass alle Akteure des Gesundheitswesens an einem Strang ziehen: Zum einen um die Zahl der SARS-CoV-2-Infektionen gering zu halten, zum anderen um Risikopatient:innen im Fall einer Infektion frühzeitig therapieren zu können und so eine erneute Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden.
Über die Auswirkungen auf den Absatz können wir keine Aussagen treffen, da für die Lagerung und die Distribution von Paxlovid das BMG zuständig ist.
280.000 Packungen des Medikaments drohen 2023 abzulaufen, Kritiker sprechen von einem „Ladenhüter“. Für wie wahrscheinlich halten Sie eine mögliche Verlängerung der Haltbarkeit?
Das Problem ist ja nicht Paxlovid, sondern dass die bisherigen Informations- und Verordnungswege einige Hürden für Ärzt:innen und Patient:innen hatten. Hier hat das BMG jetzt meines Erachtens effektive Maßnahmen ergriffen, so dass wir schon bald eine angemessene und damit höhere Verordnung von Paxlovid für die vulnerablen Patient:innen sehen werden.
Unabhängig davon haben wir die zur Verlängerung der Haltbarkeitsdauer von Paxlovid von 12 auf 18 Monate erforderlichen Stabilitätsdaten gesammelt und analysiert. Die Daten liegen Zulassungsbehörden auf der ganzen Welt zur Genehmigung vor – einschließlich der EMA. Bisher haben die FDA (USA), die MHRA (Großbritannien) und die TGA (Australien) die Verlängerung der Haltbarkeitsdauer von 12 auf 18 Monate genehmigt. Die EMA prüft den Antrag derzeit noch. Bei Genehmigung wird die sechsmonatige Verlängerung der Haltbarkeit voraussichtlich für alle Paxlovid-Chargen gelten, also auch für solche, die vor der Genehmigung hergestellt wurden. Zudem werden wir auch in Zukunft weiter Stabilitätsdaten sammeln, um die Haltbarkeitsdauer von Paxlovid weiter zu verlängern.
Über die Entscheidung der EMA werden wir informieren, sobald diese getroffen wurde.
Ist die Option des „Verschenkens“ noch ein Thema?
Wir haben bei Pfizer bereits im Mai bekanntgeben, dass wir alle unsere patentierten Arzneimittel und Impfstoffe, einschließlich Paxlovid und des mit BioNTech entwickelten COVID-19-Impfstoffs in 45 der ärmsten Länder der Welt zu einem nicht-gewinnorientierten Preis zur Verfügung stellen. Als Unternehmen ist es uns ein großes Anliegen, dass auch strukturschwächere Regionen mit notwendigen Medikamenten versorgt werden. Hierfür arbeiten wir eng mit unseren internationalen Partnern zusammen.
Können Sie sich beim Thema Paxlovid auch an den Erfahrungen anderer Länder orientieren?
Ich war kürzlich in den USA, um mich dort bei Kolleg:innen und Ärzt:innen über die Gründe der deutlich besseren Versorgung mit Paxlovid zu informieren. Mein Fazit dieses Besuchs ist, dass wir in Deutschland die Kriterien für den Einsatz für Paxlovid unnötig verkompliziert haben: Das CDC hat seit Beginn der Pandemie 2020 konsistent Bevölkerung und Ärzt:innen über die Risikofaktoren für einen schweren Verlauf von COVID-19 informiert. Diese Kriterien waren auch für die Studien mit Paxlovid entscheidend, haben sich in den klinischen Ergebnissen niedergeschlagen, zum Beispiel in den Subgruppen-Analysen, und sind deswegen auch nach wie vor in den USA maßgeblich: hohes Alter, chronische Erkrankungen, Krebserkrankungen, starkes Übergewicht und natürlich der Status des Impfschutzes.
Da in diesen Ländern Paxlovid früh und konsequent eingesetzt wurde, profitieren wir, wie während der COVID-19-Impfkampagne, von Real-World-Daten und Erkenntnissen aus Israel und den USA. Diese Daten bestätigen die Wirksamkeit und Sicherheit von Paxlovid in der Praxis an vielen Tausend Patient:innen (Quellen: NEJM, Oxford Academic 1, Oxford Academic 2).