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E-Zigaretten sind keine Alternative! Zahlreiche Akteure torpedieren die Bemühungen um ein rauchfreies Deutschland

Die WHO hat Maßnahmen zur Eindämmung des Tabakkonsums definiert, doch Deutschland zählt bei deren Umsetzung zu den Schlusslichtern. Nicht zuletzt der ungebrochene Vaping-Boom trägt dazu bei.
Seit Jahren steigt hierzulande die Lungenkrebsprävalenz – bei Männern wie bei Frauen. 2019 gab es 208.000 Erkrankte, davon 44 % weiblich. Von COPD waren im selben Jahr 3,7 Mio. betroffen mit einem Frauenanteil von 49 %, berichtete Prof. Dr. Wolfram Windisch von der Lungenklinik Köln-Merheim. In den meisten Fällen steckt eine Raucherkarriere dahinter. Abgesehen von verschiedenen Tumorarten steht der Tabakkonsum mit diversen pulmonalen und kardiovaskulären Erkrankungen in Zusammenhang und spielt bei Volkskrankheiten wie Parodontitis, Magengeschwüren, Katarakt und Osteoporose eine Rolle. Seit 1990 ist das Rauchen als gesundheits- und lebensverkürzender Faktor (disability-adjusted life years, DALY) weltweit von Platz 5 an die zweite Stelle hinter Hypertonie vorgerückt.
Deutschland „glänzt“ mit höchsten Raucherquoten
„Ich frage mich, warum gibt’s das Rauchen überhaupt noch? Und warum gehen wir mit einer derartigen Ignoranz damit um?“, so der Referent. In den aktuellen Parteiprogrammen zur Bundestagswahl kämen die Schlagworte Rauchen, Nikotin oder Zigarette gar nicht vor. Auch auf Fachkongressen und Fortbildungsveranstaltungen sei Rauchen viel zu selten ein Thema. Dabei bringt es Deutschland laut DEBRA**-Studie europaweit mit auf die höchsten Raucherquoten und gilt als besonders „tabakindustriefreundlich“.
Fakt ist, dass im pneumologischen Alltag ein Raucherschaden häufig erst spät entdeckt wird. Denn als wichtiges Kriterium gilt laut GOLD eine Reduktion der FEV1. Eine Abnahme misst man aber erst im fortgeschrittenen Stadium, denn zunächst können Betroffene ihre totale Lungenkapazität sozusagen „nach oben schieben“ und somit die Vitalkapazität im Normbereich halten. Den initialen Raucherschaden gemessen an der Überblähung sieht man somit weder an der Vital- noch konsekutiv an der Einsekundenkapazität.
Viele Menschen würden das Rauchen vermutlich kritischer sehen, wenn sie wüssten, dass eine einzige Zigarette Männer 17 und Frauen sogar 22 Minuten Lebenszeit kostet, mutmaßte der Referent. Und das sei nur der Mortalitätsanteil. Rauchende seien zudem im Schnitt pro Glimmstängel 20 Minuten früher bereits krank. Addiert ergebe sich durch eine einzige Zigarette der Verlust von knapp einer Dreiviertelstunde wertvolle Lebenszeit.
Gelingt der Rauchstopp bis zum 35. Lebensjahr, „verzeiht“ der Körper den Tabakkonsum. Bei Menschen, die weiterrauchen, kommt zum normalen Sterberisiko (Hazard Ratio, HR, 1,0) die Exzessmortalität hinzu. Wer erst im Rentenalter mit dem Rauchen aufhört, hat eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit, tabakassoziiert zu versterben als aufgrund anderer Ursachen (HR > 2).
Der Umstieg von konventionellen Tabakprodukten auf E-Zigaretten ist für Prof. Windisch keine Option, auch wenn einzelne Stimmen in Ärzteschaft und Fachverbänden dafür plädieren. Die Cleverness, mit der die Tabakindustrie E-Zigaretten als gesündere Alternative darstellt, sei einzigartig. Dabei enthalten diese Produkte keinesfalls 90–95 % weniger Schadstoffe, sondern produzieren beim Erhitzen der Liquids zahlreiche chemische Substanzen, die man teils noch gar nicht kennt. „Wir sind also in einem großen Feldversuch.“ Als wie gefährlich E-Zigaretten eingestuft werden, hängt sehr davon ab, ob eine Untersuchung von der Tabakindustrie gesponsort ist oder nicht. Besteht ein starker Interessenkonflikt, erhalten die Produkte in 61% der Studien das Prädikat „harmlos“. Unabhängige Untersuchungen hingegen kommen zu 95 % zu dem Urteil, dass E-Zigaretten der Gesundheit schaden.
Tabakersatzprodukte treiben junge Menschen in die Sucht
Besonders gefährlich sind sie für junge Menschen. Denn Nikotin hemmt die Hirnreifung bei Kindern und Jugendlichen und führt umso schneller zur Abhängigkeit, je jünger die Exponierten sind. Doch durch vapende Influencer und den Vertrieb der Produkte über Süßigkeitenautomaten (oft in der Nähe von U-Bahnhöfen und Schulen) wird der Konsum erleichtert und verharmlost. Wenn 9- bis 13-Jährige auf Social Media Akteure mit E-Zigarette sehen, ist die Chance fast doppelt so hoch, dass sie selbst zu E-Zigaretten greifen, als wenn sie die Videos nicht sehen (27,4% vs. 15,5%).
Als „Gipfel“ bezeichnete es der Referent, dass sich die Hersteller mittlerweile als Nikotintherapeuten aufspielen, die Menschen aus der Abhängigkeit helfen wollen – ein Vorgang, der im Englischen als Pharmaceuticalization bezeichnet wird. Auch von anderer Seite (Zeitungen, Gesundheitsportale, sogar Behörden) gibt es positiv gemeinte Aufrufe, auf tabakfreie Produkte umzusteigen. Das führe aber eher zum Dual Use, also zum kombinierten Gebrauch von herkömmlichen Tabakerzeugnissen und E-Zigaretten mit potenzierter Toxizität.
Ein weiterer Punkt sollte nachdenklich stimmen. Wie eine amtliche deutsche Studie von 2022 gezeigt hat, entsprachen die meisten der 250 überprüften Produkte nicht den gesetzlichen Vorgaben: Die Nikotinkonzentration überstieg z. B. die erlaubten 20 mg/ml oder die Tanks fassten mehr als 2 ml. Zudem gab es Verstöße gegen die Kennzeichnungspflicht und Mängel bei der Kindersicherung. „Wir müssen davon ausgehen, dass wir viele illegale Produkte auf dem legalen Markt haben“, mahnte Prof. Windisch.
Ebenfalls interessant ist, dass Länder wie China, wo die E-Zigaretten entwickelt wurden, sie teilweise bereits wieder verbieten – zumindest den Verkauf von Produkten mit Geschmacksaromen. Auch in Europa gibt es Vorreiter: Belgien hat die Einwegprodukte als erstes EU-Land vom Markt genommen. Davon sind wir in Deutschland wohl noch Lichtjahre entfernt.
* Westdeutsche Gesellschaft für Pneumologie
** Deutsche Befragung zum Rauchverhalten
Quelle: Kongress der WdGP*