Terminvergabe durch Krankenkassen „Ärzte sind keine Befehlsempfänger“
Sollten Krankenkassen Termine in Arztpraxen vergeben? Was zunächst abwegig klingt, könnte Teil des Gesundheits-Digitalagentur-Gesetzes (GDAG) werden. Der Bundesrat hat entsprechende Pläne in seiner Sitzung am 27. September per Stellungnahme in den Gesetzgebungsprozess eingebracht.
Das Gremium bittet die Regierung darum, zu prüfen, ob Krankenkassen befähigt werden sollten, ihren Versicherten auf telefonische Anfrage hin digital Termine in Praxen zu vermitteln. Um das zu ermöglichen, sollen die Kassen freie Kontingente der Praxen sichten können; es wäre denkbar, sie etwa in die Terminservicestelle 116 117 einzubinden. Die Länderkammer hofft, mit dieser Maßnahme die Benachteiligung von Versicherten zu reduzieren, die keinen Zugang zu digitalen Terminbuchungsplattformen haben.
Tagesaktuelles Verzeichnis freier Termine gefordert
Der GKV-Spitzenverband hat die Idee bereits im Juni in einem Positionspapier ausformuliert. Er fordert darin ein zentrales und tagesaktuelles Verzeichnis, an das Vertragsärztinnen und -ärzte einen Teil ihrer freien Termine melden müssen. Auch Informationen zu Sprechzeiten, medizinischen Schwerpunkten und Weiterbildungen sollen dort hinterlegt sein. Zugriff darauf hätten Krankenkassen, KVen und privatwirtschaftliche Anbieter.
Die Krankenkassen halten die Maßnahme für notwendig, damit Termine diskriminierungsfrei und datenschutzkonform vereinbart werden. Man wolle eine Bevorzugung von Privatversicherten unterbinden. Damit nicht genug: Der Verband spricht sich für eine grundsätzliche Flexibilisierung der Sprechzeiten aus. „Die derzeit üblichen Praxisöffnungszeiten entsprechen weder den Bedürfnissen der Versicherten noch den medizinischen Erfordernissen“, heißt es im Papier. Insbesondere für Berufstätige stünde nur ein kleines Zeitfenster zur Verfügung.
Die ärztlichen Berufsverbände warnen vor dem Vorhaben. So appelliert der Hartmannbund an die Regierungsfraktionen, die Terminvergabe nicht in eine „Kassenleistung“ zu überführen. „Wenn nun auch noch die Reste an Selbstbestimmung und Selbstorganisation der Kolleginnen und Kollegen infrage gestellt werden, indem wir ihnen am Ende des Tages mehr oder weniger fremdgesteuert Patientinnen und Patienten in die Praxen schicken, dann wird die Lust zur Niederlassung weiterhin massiv sinken“, argumentiert die stellvertretende Vorsitzende des Hartmannbundes, Prof. Dr. Anke Lesinski-Schiedat.
Der Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie prognostiziert, die Maßnahme werde die Wartezeiten auf Facharzttermine verlängern. Denn durch eine zentrale Terminvergabe würden die Kapazitäten der Praxen ungesteuert belegt, eine medizinische Voreinschätzung durch Allgemeinmediziner oder Fachärzte bleibe dringend erforderlich. Zudem liege die No-show-Rate bei digital vereinbarten Terminen bei 20 bis 30 %. „Die Probleme im Gesundheitssystem lösen wir nur durch mehr medizinische Expertise zur Vermeidung von Fehlsteuerung. Mehr Planwirtschaft zur Beseitigung von Mangel – das kann die Lösung nicht sein!“, so Dr. Burkhard Lembeck, Präsident des Berufsverbands. „Ärzte sind keine Befehlsempfänger.“
Sinnvoller wäre seiner Meinung nach ein Ende der Budgetierung. Der GKV-Spitzenverband hat diese in seinem Positionspapier als weiterhin notwendig benannt, um Versicherte vor den „wirtschaftlichen Eigeninteressen“ der Vertragsärzteschaft zu bewahren und eine Über- oder Fehlversorgung zu verhindern.
Tipps des Virchowbunds zur Terminvergabe
Auch der Virchowbund, der Berufsverband der Niedergelassenen, sträubt sich massiv gegen eine Terminvergabe durch Krankenkassen. „Das macht aus dem Vertragsarzt einen Staatsmediziner“, so der Bundesvorsitzende Dr. Dirk Heinrich. Unabhängig davon gibt der Verband auf seiner Homepage Tipps für eine reibungslosere Terminvergabe in Arztpraxen:
- Termindauer nicht für jede Person identisch planen, sondern differenziert nach Anliegen. Für gebrechliche Personen mehr Zeit einrechnen, ebenso für Vorsorgeuntersuchungen.
- Mit dem Team festlegen: Wie viele Termine pro Tag sollten für „Notfälle“ frei bleiben? Wie viele Folgetermine werden direkt innerhalb der nächsten Tage nötig sein? Um dies herauszufinden, empfiehlt der Virchowbund, einige Wochen eine Strichliste zu führen.
- Akuttermine auf 5 Minuten beschränken.
- Termine mit hohem Gesprächsbedarf ans Ende des Arbeitstags legen.
- Patientinnen und Patienten ein bis zwei Tage vor dem Termin per Telefon oder Textnachricht erinnern.
Damit Praxen einordnen können, ob eine Online-Terminplattform für sie nützlich ist, fasst der Virchowbund Studien von Stiftung Warentest und Docrelations aus dem Jahr 2021 zusammen.
Selektivverträgeals Lösungsvorschlag
Als Alternativlösung verweist Dr. Lembeck auf die Haus- und Facharztverträge in Baden-Württemberg. Für über eine Million gesetzlich Versicherter existierten dort keine überlangen Wartezeiten auf Facharzttermine, da die Koordination durch hausärztliche Praxen erfolge und Fachärztinnen und Fachärzte keine Kontingentierung kennen würden.
Ob die Regelung zur Termineinsicht durch Krankenkassen letztlich wirklich kommt, ist offen. Die Bundesregierung kann den Vorschlag nach der geforderten Prüfung verwerfen, zudem hat der Gesetzesentwurf zum GDAG noch das parlamentarische Verfahren im Bundestag vor sich. Ein Termin für die erste Lesung ist nicht bekannt (Stand: 7. Oktober).
Auch an anderer Stelle befasst sich der Kabinettsentwurf mit der Optimierung der Terminvergabe. So sollen KBV und GKV-Spitzenverband Anforderungen an digitale Terminbuchungsplattformen vereinbaren. Insbesondere geregelt werden sollen technische Anforderungen, Barrierefreiheit und Datenschutz. Außerdem wird ein Ausschluss einer vergütungsorientierten Terminvergabe angestrebt. Gleiches gilt für eine kommerzielle Drittnutzung des Terminbuchungsprozesses und eine Datenweitergabe zu Marketingzwecken.
Die KBV hat bereits Zweifel daran angemeldet, ob sie all diese Punkte sinnvoll ausarbeiten kann. Man habe keine Möglichkeit, den Datenschutz diverser Anbieter zu überwachen. „Die KBV und die KVen sind nicht die Bundesdatenschützerin“, stellt das Führungstrio der Körperschaft in einem Statement klar. Auch die Finanzierungsfrage sei ungeklärt. Es handele sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nicht aus den Finanzmitteln der Niedergelassenen gestemmt werden dürfe.
Medical-Tribune-Bericht