Arzneimittelskandal: Ministerin schmeißt entnervt hin
Es ist noch nicht lange her, dass nach zähen Verhandlungen ein Bottroper Apotheker wegen massenhaft gestreckter Krebsmedikamente zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde, schon erschüttert ein neuer Arzneiskandal die Menschen. Wieder geht es um Onkologika.
Das TV-Politmagazin „Kontraste“ hatte im Juli berichtet, wie eine organisierte Bande Krebsmedikamente aus Griechenland schmuggelte und nach Deutschland importierte. Von abenteuerlichen Lagerungen und Transporten war die Rede. Im Fokus stand der Brandenburger Pharmahändler Lunapharm. Der Apotheker Dr. Franz Stadler erklärte im Bericht: „Das sind sehr sensible Wirkstoffe, und die müssen in der Regel zwischen zwei und acht Grad gelagert werden. Ist das längere Zeit unterbrochen, fangen diese Proteine an zu klumpen, sich zu verändern und es geht Wirkung verloren. Und das ist für den Patienten eine total schlechte Nachricht.“
Verantwortlich für die Überwachung des unter Verdacht stehenden Pharmagroßhandels ist das Brandenburger Landesamt für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit (LAVG). Doch obwohl die griechischen Ermittler die Brandenburger Aufsicht informierte, reagierte das LAVG nicht.
Pharmahändler wird Betriebserlaubnis entzogen
Auch die Brandenburger Gesundheitsministerin Diana Golze (Die Linke) schwieg lange. Erst nach massiver Kritik gestand sie öffentlich Fehler ein. Lunapharm wurden die Betriebserlaubnis sowie die Herstellungs- und Großhandelserlaubnis für Medikamente entzogen. Eine Liste zu den betroffenen Medikamenten wurde veröffentlicht und über eine Hotline können sich Bürger jetzt informieren.
Im eigenen Haus räumte die Ministerin außerdem auf. Die Arzneimittelaufsicht wurde der bisher zuständigen Abteilung entzogen, gegen einen Mitarbeiter wurde Strafanzeige erstattet und ein Verbot zur Führung der Dienstgeschäfte erteilt. Weitere Schritte gegen Beschäftigte des LAVG behält sich das Ministerium vor.
Golze berief eine Aufklärungs-Taskforce ins Leben, der u.a. Professor Dr. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), und Professor Dr. Martin Schulz, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Apotheker, angehörten. Im August legten die Experten ihren Bericht vor, worauf Golze, die zuvor mehrfach zum Rücktritt gedrängt wurde, ihr Amt entnervt niederlegte. Sie ziehe damit die Konsequenzen aus dem Pharmaskandal, erklärte sie angesichts festgestellter struktureller und organisatorischer Mängel im Haus. Gesundheitliche Folgen für Patientinnen und Patienten könnten weder bestätigt noch ausgeschlossen werden, sagte sie.
Da besonders hochpreisige Krebsmedikamente mit ihren hohen Gewinnspannen Kriminelle anzögen, „sollte man tatsächlich Re-Importe und den Parallelvertrieb dieser Wirkstoffgruppe verbieten“, erklärte Prof. Ludwig später im Interview mit der „Welt“. Dies sei eine der Lehren aus dem Lunapharm-Fall. „So kann es nicht bleiben“, bestätigte der Präsident des Apothekerverbandes ABDA, Friedemann Schmidt. „Die Politik hat viel zu lange nur zugeschaut und muss jetzt endlich handeln.“ Er fordert unter anderem, die Aufsicht massiv aufzustocken.
Das sieht auch die Industrie so. Professor Dr. Hagen Pfundner, Vorstand der Roche Pharma AG, verweist auf die Initiative securPharm, mit der Arzneimittelhersteller, Großhandel sowie Apotheken für eine weitere, kostenintensive Absicherung der Lieferkette sorgen, sowie auf das hauseigene System „Track & Trace First Customer“, mit dem sich Produktwege über eine Seriennummer nachvollziehen lassen. „Die Maßnahmen der Hersteller bleiben jedoch wirkungslos, wenn Politik und Behörden nicht flankierend unterstützen.“
Auch eine hessische Firma im Fokus der Ermittler
Neben Brandenburg ist, wie bisher bekannt, auch Berlin in Sachen Lunapharm betroffen. Vier hauptstädtische Apotheken waren beliefert worden. Die Empfänger der betroffenen Arzneimittel wurden informiert. Wie „Kontraste“ in einem Nachbericht öffentlich machte, haben sich bisherige Ermittlungen der Landesbehörden jedoch nur auf den Zeitraum 2015 bis 2017 bezogen. Lunapharm könnte aber bereits seit Gründung 2013 und mindestens bis März 2018 von einer griechischen Apotheke Krebsmedikamente bezogen haben, wie Dokumente zeigen.
Als Mittler in Verdacht steht die hessische Firma Rheingold Pharma-Medica Deutschland Ltd.. Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat ihre Ermittlungen ausgeweitet. Abhörprotokolle griechischer Ermittler deuten auf ein europaweites Netzwerk hin, das in den Handel mit gefälschten und gestohlenen Medikamenten verwickelt sein soll.