Auf dem Weg in die Bananenrepublik
Es war sogar der abendlichen Tagesschau eine Meldung wert. Angesichts der schweren Grippewelle, die Frankreich im Januar heimgesucht hatte, waren im illustrierenden Film bemitleidenswerte Patienten im Krankenbett auf den Klinikfluren zu sehen. 150 der 850 öffentlichen Krankenhäuser hätten ihre Kapazitätsgrenze erreicht, hieß es da: Die Lage sei äußerst angespannt, die Grippewelle offenbare Schwächen im Gesundheitssystem. Erinnert Sie das an einen Bericht eines Ihrer Patienten, der mit Apoplex-Verdacht erst mal vier Stunden auf dem Gang einer deutschen Uniklinik auf Behandlung wartet? Gibt’s nicht im Zeitalter moderner Stroke-Units, sagen Sie? Willkommen in der Realität eines evolutionär sich rückentwickelnden deutschen Gesundheitssystems!
Oder glauben Sie noch, dass uns die besorgniserregenden französischen Verhältnisse gänzlich fern sind? Auch hierzulande stöhnt das Gesundheitswesen im Würgegriff von Privatisierung und Sparwahn. So steht zu befürchten, dass man auch in Deutschland nicht einmal in der Lage wäre, eine banale Grippeepidemie zu überstehen. Es wurde mittlerweile so viel eingespart, dass das gnadenlos ausgedünnte Personal mit einer derartigen Situation hoffnungslos überfordert wäre. So hat vor einigen Tagen – wieder einmal – eine Krankenschwester eines größeren Klinikums, Jana Langer, ihrem Ärger in den sozialen Medien qua Brandbrief an die Kanzlerin Luft gemacht. Kurz zusammengefasst beinhaltet der Brief die Aussage: Werden Sie nicht krank.
"Willkommen in der Realität eines sich rückentwickelnden Gesundheitssystems"
Schon gar nicht so krank, dass eine Klinikeinweisung notwendig wird. Und wenn Sie doch so krank werden, vermeiden Sie unbedingt eine Einweisung am Abend, in der Nacht, am Wochenende oder an einem Feiertag – zumindest, wenn Ihnen suizidale Gedanken fernliegen. Denn ein Klinikaufenthalt kann zur tödlichen Falle werden. Aufgelistet wird Bekanntes vom Patienten als Kostenfaktor, Bürokratisierung, sich selbst überlassenes Personal, das eine professionelle, menschenwürdige medizinische Versorgung und Pflege nicht mehr gewährleisten kann. Und angeprangert der fehlende Wille der politisch Verantwortlichen zu Reformen.
Es gibt deutlich zu wenige Kranken- und Altenpfleger, um die Versorgung der immer älter werdenden Bevölkerung zu übernehmen. Laut Bundesagentur für Arbeit kommen derzeit auf hundert freie Stellen nur knapp fünfzig Bewerber. Und die Lücke wird größer: Wirtschaftsforschungsinstitute schätzen, dass bis zum Jahr 2025 deutlich mehr als 100 000 examinierte Pfleger fehlen werden. Entsprechend gibt die Regierung regelmäßig Absichtserklärungen aus, die Arbeitsbedingungen müssten sich verbessern, damit Pflege zum attraktiven Beruf werde. An der Umsetzung hapert es jedoch nach wie vor.
"Sich nachts, am Wochenende oder feiertags einweisen zu lassen ist Selbstmord"
Viele Krankenpfleger und -schwestern klagen über die massiv gestiegene Arbeitsbelastung. Und das hat Folgen, denn das Risiko für das Personal, gefährliche Fehler zu begehen, steigt dadurch erheblich. Besonders nachts sind viele Stationen in den Kliniken extrem schlecht besetzt. Einer Erhebung der Gewerkschaft Verdi zufolge fehlen in Deutschlands Krankenhäusern schon derzeit rund 70 000 Pflegekräfte. Außerdem sparen die zahlengetriebenen Klinikmanager selbst bei der Hygiene. Es gibt Kliniken, da bleiben der Putzkraft gerade einmal drei Minuten zum Saubermachen eines Zimmers. Dabei sollte gerade das in Zeiten multiresistenter Erreger besonders wichtig sein.
Wenn in manchen Landstrichen Schwangere eine Stunde bis zur nächsten Entbindungsstation brauchen, drängt sich die Befürchtung auf, dass wir gesundheitspolitisch auf dem Weg in die Bananenrepublik sind. Andernorts macht man es besser. Laut einer europäischen Vergleichsstudie versorgt eine Pflegekraft in deutschen Kliniken im Schnitt mehr als zehn Patienten. In Schweden sind es dagegen nur sechs, in Holland fünf und in Norwegen nicht einmal vier. Selbst in Polen ist der Personalschlüssel besser als in deutschen Spitälern!
"Selbst in Polen ist der Personalschlüssel besser als bei uns!"
Die freie Marktwirtschaft als Wirtschaftssystem hat sich gegenüber anderen Systemen bewährt – aber nur die soziale Marktwirtschaft kann gleichzeitig deren Nachteile wie zerstörerischer Wettbewerb, Ballung wirtschaftlicher Macht oder unsoziale Auswirkungen von Marktprozessen (z.B. im Gesundheitswesen) vermeiden. Erinnern wir uns an Ludwig Erhard und fordern wir das ein, was wir selbst leben möchten: größtmöglichen Wohlstand bei bestmöglicher sozialer Absicherung.