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»Wir üben den Perspektivwechsel« Berliner Diabetes Gesellschaft für kollegiales Miteinander – auch in politischen Fragen

Das Treffen der Berliner Diabetes Gesellschaft fand genau an dem Wochenende nach US-Wahl und Ampel-Aus statt. Wie wurde der Polit-Krimi intern diskutiert?
Dr. Barbara Sawitzky-Rose: Wir waren an dem Freitag alle noch ein bisschen in Schockstarre. Das Ampel-Aus bedeutet eventuell ja auch, dass Gesetzesentwürfe, die wir lange hin und her gewälzt haben, in dieser Form nicht mehr kommen. Die Stimmung schlug aber sehr schnell konstruktiv und konzentriert auf den Diabetes um. Es war eine große Ernsthaftigkeit spürbar, unsere gute Arbeit weiter fortzuführen.
Der Krankenhausreform hat der Bundesrat inzwischen zugestimmt. Was sagen Sie dazu?
Dr. Sawitzky-Rose: Bekanntlich bemängeln wir an dem Gesetzentwurf, dass die Diabetologie darin nicht vorkommt, nur die Endokrinologie. Hier gibt es vor allem ein Verständnisproblem: In der Realität findet man kaum mehr Endokrinolog*innen, die sich in die Niederungen der Behandlung des DFS begeben. Das ist jedoch eine der großen Domänen der Diabetologie, sodass der Gesetzentwurf an dieser Stelle nicht im Sinne einer guten Versorgung von Menschen mit Diabetes sein kann. Dass es eine Reform geben muss, ist uns aber bewusst.
Was wollen Sie auf Landesebene bewirken?
Dr. Sawitzky-Rose: Sowohl auf Senatsebene als auch bei Ärztekammer und KV wollen wir die Diabetologie in Berlin sichtbar machen. Bei unserem Treffen berichtete etwa Dr. Angela Weber-Albl, die uns Diabetolog*innen im Weiterbildungsausschuss Innere Medizin I der Berliner Ärztekammer vertritt, dass die Versorgungsrealität in Bezug auf wesentliche Kerngebiete der ambulanten und stationären Diabetologie mit komplexem und zeitintensivem Behandlungsbedarf noch nicht ausreichend verstanden wird. Wir wollen lauter werden, um die wichtigen Behandlungsstrukturen für Menschen mit Diabetes zu erhalten. Auf KV-Ebene gibt es mit Dr. Iris Dötsch und Dr. Uwe Häußler zwei starke Stimmen, die schon viel bewirkt haben. Als Versorgungsdomäne der Diabetologie müssen, wie gesagt, die Behandlung des DFS, aber auch die aufwändige Versorgung von schwangeren Frauen mit Diabetes und von Menschen mit Typ-1-Diabetes mit AID-Systemen wahrgenommen werden. Hier wollen wir in unserer eigenen Kammervertretung mehr Aufmerksamkeit auf die drohenden Versorgungslücken und die umfänglichen Versorgungsstrukturen richten, die wir anbieten und damit Menschen mit Diabetes einen sogenannten Safe Space bieten.
Welche Erwartungen gibt es noch ans Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG)?
Dr. Sawitzky-Rose: Wir gehen davon aus, dass im ambulanten Sektor beim GVSG die Kuh vom Eis ist – durch unsere Petition mit über 90.000 Unterschriften und der intensiven Arbeit des Bundesverbandes der niedergelassenen Diabetolog*innen. Dem Bundesgesundheitsministerium wurde dadurch klar: Es hat uns einfach vergessen. Die Hoffnung ist jetzt groß, dass wir unsere diabetologische Arbeit wie bisher fortführen können.
Was wurde in den Workshops diskutiert?
Dr. Sawitzky-Rose: Da gab es mehrere Themen und Fragestellungen, wie etwa: Wie können wir auf die Krankenkassen zugehen, um eine angemessene Vergütung für die sehr aufwändige Behandlung von Frauen in der Schwangerschaft mit Diabetes zu erzielen. Wie die Arbeit der Diabetesberater*innen stärken? Am Ende arbeitete jede Gruppe eine To-do-Liste aus. Für deren Umsetzung haben wir uns konkrete Termine gesetzt. Wir wollen dranbleiben und etwas in Bewegung bringen.
Berlin ist Bundesland und Großstadt. Wurden bei Ihrem Treffen auch Themen vom Land mitgedacht?
Dr. Sawitzky-Rose: Berlin ist kein Flächenland und trotzdem machen wir uns Gedanken, wie wir langfristig die Versorgung von Menschen mit Diabetes und einem häuslichen Pflegebedarf gewährleisten können. Hier hatte ein junger Kollege die Idee, analog zur Spezialisierten Ambulanten Palliativversorugung (SAPV), diabetologisch geschulte Teams mit Diabetesberater*innen und Wundassistent*innen aufzubauen, um dem ‚Wildwuchs’ unqualifizierter Pflegedienste entgegenzuwirken, die mit überteuerten Wundauflagen hohe Gewinne erzielen, ohne den Patient*innen damit einen Vorteil in der Wundheilung zu verschaffen. Eine spannende Vision für uns in Berlin ist derzeit, eine spezialisierte ambulante Versorgung von Menschen mit DFS ins Leben zu rufen – mit einem Pool unabhängiger Ärzt*innen.
Was haben Sie von dem Treffen als Impulse mitgenommen?
Dr. Sawitzky-Rose: Meine persönliche Take-Home-Message war: Wir brauchen auch dringend die gute Versorgung von Menschen mit Diabetes in den Kliniken. Es gibt in Berlin fünf Kliniken, die für die Behandlung des DFS zertifiziert sind, und in die wir niedergelassenen Diabetolog*innen unsere Patient*innen vorzugsweise einweisen, wenn eine ambulante Behandlung an ihre Grenzen stößt. Es sollte in einer Stadt wie Berlin jedoch nicht die Aufgabe der Universitätsklinik sein, sich um die langwierige und häufig auch immer wiederkehrende Therapie des DFS zu kümmern. Wir wollen deshalb den Perspektivwechsel aufweichen, der häufig noch zwischen ambulanter und stationärer Therapie besteht, Nach dem Motto: Aufeinander eingehen und füreinander einstehen.
Vor allem brauchen wir mehr Diabetesversorgungsdaten. Nur wenn wir den Kassen aktuelle Daten dazu vorlegen können, dass z. B. mit einer Behandlung des Gestationsdiabetes die Zahl an intrauterinem Fruchttod reduziert werden kann, haben wir eine gute Verhandlungsbasis. Um diese Daten vorlegen zu können, wollen noch mehr Praxen bei GestDiab mitmachen, dem deutschlandweit einzigartigen Register zu Diabetes und Schwangerschaft.
Quelle: Interview mit Dr. Barbara Sawitzky-Rose