Der kleine hausärztliche Kampf für das Gute
Vor Kurzem hat sich der Kabarettist Dieter Nuhr bei einem seiner Fernsehauftritte mit den Pflegekräften beschäftigt. Die Satire war nur schwer zu entdecken und eigentlich will ich gar nicht über Nuhr reden. Aber seine – nicht neue – Feststellung, dass der Pflegemangel der schlechten Bezahlung und den schlechten Arbeitsbedingungen geschuldet ist, hat mir die Steilvorlage für eine Kolumne geliefert, die ich schon immer mal schreiben wollte.
Seit Jahren frage ich mich nämlich, was eigentlich zu diesen Arbeitsbedingungen dazugehört. Mehr Gehalt, klar. Andere Arbeitszeiten, kürzere Arbeitszeiten? Mehr Pausen, mehr freie Tage, mehr Urlaub? Oder auch mehr Zeit für die Patienten sowie für die Bewohner von Altenheimen und Seniorenresidenzen?
In einem Hausarztleben gehören regelmäßige Besuche in Altersheimen zum täglichen Geschäft. Dabei erlebt man seine Patienten plötzlich in neuer Atmosphäre, bemerkt Veränderungen von Menschen, die man vielleicht schon jahrzehntelang kennt. Anfangs kamen sie mit ihren Beschwerden, Sorgen und Nöten in die Praxis, dann besuchte man sie jahrelang zu Hause und heute nun im Altenheim. Die viel zu häufige, rasante Veränderung der Persönlichkeit wird oft abgetan mit einer sich rasch entwickelnden Demenz. Erlebt man das aber immer und immer wieder, wird man stutzig.
So ging es mir, und ich begann diesem wiederkehrenden Phänomen auf den Grund zu gehen. Zur Aufklärung beigetragen haben Pflegekräfte, die als Patienten zu mir kamen. Wegen Rückenschmerzen, Schlafstörungen oder Burn-out, wegen Erschöpfungszustand oder Depression. Durch zahlreiche Gespräche mit ihnen, in der Sprechstunde und auch auf den Stationen in den Altersheimen, setzte sich für mich aus vielen Eindrücken eine Art Puzzlebild zusammen.
Und meine anfängliche Auffassung, das Problem liege allein in der schlechten Bezahlung, den Arbeitszeiten, der Arbeitsbelastung und der mangelnden Wertschätzung, veränderte sich, als ich mehr und mehr begriff, was immer wieder mit engagierten Pflegekräften geschieht. Mittlerweile kann ich dazu sogar aus Aufzeichnungen zitieren, die mir Betroffene gegeben haben, weil sie sich nichts mehr wünschen, als dass diese Missstände auch öffentlich an den Pranger gestellt werden.
Die Pflegenden schreiben zum Beispiel: „Die engagierten Mitarbeiter müssen somit nicht nur körperlich mehr arbeiten, sondern auch psychisch mehr verkraften, da sie die Belange der Bewohner zwar sehen/hören, ihnen aber nicht gerecht werden können/dürfen. Diese engagierten Mitarbeiter fühlen sich als Außenseiter, weil sie nicht am allgemeinen Klüngel teilnehmen und nicht selten von diesem Klüngel gemobbt werden.“
Was sich hier entwickelt hat, sozusagen aufgepfropft hat auf die schon bekannten Ursachen des Pflegenotstands, beschreiben mir Altenpflegekräfte als das Gefühl, die Arbeit zwar irgendwie – also etwa der Krankenakte zufolge – erledigt zu haben. Aber unter Missachtung der Persönlichkeit der/des Gepflegten. „Das tägliche Gefühl, meine Arbeit nicht ganz erledigt zu haben, hat mich über die Jahre innerlich verändert. Ich bin nicht mehr so taff und so fröhlich wie ich vorher mal war.“
Nur selten suchen Betroffene therapeutische Hilfe. Und wenn, wie können wir hier helfen? Im Einzelfall ist es immer schwierig, in letzter Konsequenz endet das Ganze in einem Arbeitsplatzwechsel. Wobei der neue Arbeitsplatz nichts mehr mit der Pflege von Menschen zu tun hat.
Genau das müsste aber verhindert werden, um den Pflegekräftemangel nicht weiter anwachsen zu lassen. Neue Gesetze und Verordnungen helfen hier nur bedingt. Gefragt sind moderierende, nicht Schuld zuweisende Gespräche. Und zwar auch unter der Regie der Hausärztin bzw. des Hausarztes. Nur Mut liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es wird zur Zufriedenheit aller funktionieren. Und es wird sich rumsprechen: Repetitio est mater studiorum.