Diabetesmüll Patient*innen sehen vor allem die Industrie in der Verantwortung
Den gesamten Monat Februar hindurch hat Susanne Thiemann ihren Diabetesmüll gesammelt. Die 60-jährige Münsteranerin lebt seit 22 Jahren mit Typ-1-Diabetes und gehört seit gut drei Jahren zur Looper-Community – sprich jenen Menschen mit Diabetes, die regulär erhältliche Insulinpumpen und CGM-Systeme per selbstprogrammierter Smartphone-App zu einem AID-System Marke Eigenbau kombinieren. Mit ihrem „Loop“ als solchem ist sie zufrieden. Doch sie stört sich an den Müllmengen, die durch die vielen Einwegprodukte und die dazugehörigen Verpackungen anfallen. Ein ganzer Berg aus Kunststoff (Setzhilfen, Schläuche), beschichtetem Papier (Alkoholtupfer), Glas (Insulinampullen) und Papier (Kartons, Beipackzettel, mehrsprachige Bedienungsanleitungen) türmt sich da Monat für Monat auf.
Bei den einzelnen Komponenten handelt es sich um Materialien, die man eigentlich separat entsorgen müsste. „Ich würde meinen Diabetesmüll konsequent trennen, wenn die Materialien denn klar gekennzeichnet wären“, sagt Thiemann. Doch während man mittlerweile auf nahezu jeder Lebensmittelverpackung Hinweise zur korrekten Entsorgung findet, sucht man dergleichen bei den Bausteinen einer modernen Diabetestherapie vergeblich.
Niemand möchte wieder Glasspritzen auskochen
Auch die schiere Masse der Einwegkomponenten findet Thiemann bedenklich: „Die Dexcom-Setzhilfe etwa kommt ja als halbes Ufo daher! Es ist schade, dass gerade die führenden Anbieter so bei der Nachhaltigkeit versagen.“
Die wachsenden Müllmengen haben in erster Linie mit dem medizinisch-technischen Fortschritt zu tun, der Menschen mit Diabetes in den vergangenen Jahrzehnten Insulinpumpen, CGM-Systeme, Smartpens und AID-Systeme beschert hat. Die Vorzüge dieser Innovationen möchte wohl kaum jemand missen: „Ich möchte nicht zurück in die Zeit, als Menschen mit Diabetes ihre Glasspritzen auskochen mussten – auch wenn das aus ökologischer Sicht vermutlich nachhaltiger war“, betont Thiemann.
Mit dieser Haltung steht die Looperin nicht allein da: Viele Menschen mit Diabetes haben zumindest ein mulmiges Gefühl angesichts der wachsenden Müllmengen, die mit ihrer Diabetestherapie einhergehen. Doch ökologische Nachhaltigkeit ist nicht das entscheidende Kriterium, wenn es um die Wahl von Diabetesutensilien geht. Dies zeigt der jüngst erschienene D.U.T-Report 2022 ebenso wie eine Facebook-Umfrage unter Menschen mit Typ-1-Diabetes (siehe Sprechblasen).
Auf manche wirkt das Stichwort „Diabetesmüll“ sogar regelrecht polarisierend, wie Thiemann erleben musste, als sie Bilder des Abfallhaufens eines Monats auf Instagram postete: „Vielen Menschen wird im Alltag schon oft genug ein schlechtes Gewissen wegen ihres Diabetes eingeredet, da möchten sie sich nicht auch noch für ihren Müll rechtfertigen müssen“, vermutet Thiemann. Zumal sich Einwegprodukte aus Gründen der Produktsicherheit und Hygiene auch nur begrenzt durch Mehrwegalternativen ersetzen lassen.
Dennoch könnten sich die Hersteller aus Patientensicht deutlich mehr für die Müllvermeidung einsetzen: Sie sollten genaue Entsorgungshinweise auf ihren Produktkomponenten anbringen, mehrfach verwendbare oder zumindest deutlich kleinere Setzhilfen und Applikatoren anbieten und benutzte Einwegprodukte zurücknehmen.
Umstieg von Einwegpens auf Mehrwegpens reduziert Müll
Doch auch die Kompatibilität von Pumpenzubehör könnte Patient*innen dabei helfen, ihr Müllaufkommen zu verringern. „Aktuell ist man festgelegt auf genau das Zubehör, das zur eigenen Insulinpumpe passt, aber ggf. viel mehr Müll macht als andere Produkte“, kritisiert Thiemann, „es wäre gut, wenn man die einzelnen Komponenten frei konfigurieren und dann z.B. Zubehör auswählen könnte, das weniger Müll produziert. Das wäre nebenbei auch in Bezug auf andere Faktoren wie Pflastergröße oder Hautverträglichkeit ein echter Pluspunkt.“ Manche der Ideen zur Vermeidung von Diabetesmüll – etwa den Umstieg von Einweg- auf Mehrwegpens in der intensivierten Insulintherapie (ICT) – können sie zusammen mit ihrer Diabetespraxis recht einfach selbst umsetzen. In anderen Punkten dagegen ist in erster Linie die Industrie gefragt.