Junge Erwachsene mit Krebs Die Dunkelziffer von Benachteiligung und Diskriminierung ist hoch

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Der Hausbau ist meist mit einer Kreditaufnahme verbunden. Eine Krebsdiagnose kann sich dabei als hohe Hürde erweisen. Der Hausbau ist meist mit einer Kreditaufnahme verbunden. Eine Krebsdiagnose kann sich dabei als hohe Hürde erweisen. © weerachai – stock.adobe.com

Seit Jahr und Tag ist es üblich, dass Versicherer Fragen zur Gesundheit potenzieller Kund:innen stellen, damit bei Abschluss eines Vertrages Risiken ausgeschlossen sind oder sich zumindest in Grenzen halten. An Krebs Erkrankte sind hier im Nachteil. Junge Betroffene fordern deshalb ein „Recht auf Vergessenwerden“.

Etwa 16.500 junge Erwachsene im Alter von 18 bis 39 Jahren erkranken pro Jahr neu an Krebs. Viele von ihnen sehen sich während oder nach der Erkrankung mit Problemen bei Verträgen verschiedenster Art konfrontiert. So berichten in einer Online-Umfrage der Stiftung Junge Erwachsene mit Krebs (DSfjEmK) z. B. 40% der Auskunftgebenden über Benachteiligungen im Bereich Versicherungen. Der Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung ist demnach nicht oder nur zu sehr schlechten Konditionen möglich. Aber auch Verbeamtungen werden abgelehnt, es gibt Schwierigkeiten bei Krankenversicherungen und Krediten oder bei dem Wunsch nach einer Adoption.

Betroffen sind Menschen mit aktiver Krebserkrankung ebenso wie mit einer bereits lange überwundenen Krebserkrankung. Aber auch Personen mit speziellen genetischen (Erb-)Eigenschaften im Zusammenhang mit Krebs bis hin zu entsprechenden Erkenntnissen bei Verwandten haben diese Probleme.

Der Kampf nach dem Kampf gegen Krebs

Patientin Lisa: „Ich habe gegen meine Krankheit und für mein Leben gekämpft. Danach Benachteiligung in Form fehlender Möglichkeiten zu erfahren, wie beim Abschluss einer Absicherung für meine Familie, fühlte sich wie ein weiterer Kampf und eine Abstempelung als Erkrankte an.“

Probleme auch bei Adoption und bei Verbeamtungen

Wie viele Personen betroffen sind, ist nicht bekannt. Die Dunkelziffer bei Benachteiligungen und Diskriminierungen ist schätzungsweise hoch, berichten die Autor:innen. Ungerechte Behandlungen und Diskriminierungserfahrungen würden nicht selten „ausgeblendet“. Die Betroffenen suchten die „Fehler“ bei sich selbst oder versuchten, Probleme durch besondere Anstrengung zu überwinden, statt sich gegen Diskriminierungen zu wehren.

Die gemeinnützige Stiftung fordert deshalb ein offizielles „Recht auf Vergessenwerden – Keine Benachteiligungen von jungen Erwachsenen mit Krebs mehr zulassen “. Verstärkt wird die Forderung von der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO), welche die Stiftungsgründung 2014 einleitete.

Stärkung der EU-Initiative „Right to be Forgotten“

Die Fachgesellschaft machte gemeinsam mit der DSfjEmK schon mehrmals die Benachteiligung junger Krebskranker öffentlich. In der Gesundheitspolitischen Schriftenreihe der DGHO wurde bereits „Krebs und Kinderwunsch“ sowie „Krebs und Armut“ thematisiert. Im aktuellen Band 22 steht das Recht auf Vergessenwerden der Erkrankung im Fokus.

Versicherungen oder Banken sollten nach einer gewissen Zeit der Heilungsbewährung die frühere Krebserkrankung nicht mehr berücksichtigen dürfen, verlangt Prof. Dr. med. Inken Hilgendorf, Kuratoriumsvorsitzende der DSfjEmK und Sektionsleiterin für Stammzelltransplantation am Universitätsklinikum Jena, in Richtung Politik. Ähnliche Regelungen müssten auch im Bereich der Verbeamtung und Adoption geschaffen werden: „Unser Ziel ist es, sowohl die Laien- als auch die Fachöffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren, den notwendigen gesundheitspolitischen Diskurs anzustoßen und damit die leider immer noch bestehenden Benachteiligungen von jungen Erwachsenen mit Krebs abzubauen.“

Die Uneinheitlichkeit ist „total paradox“

Miriam, zum Zeitpunkt der Diagnose 30 Jahre, Brustkrebs, selbstständig:

„Auf der einen Seite hängt Betroffenen die Krebserkrankung noch über die fünf Jahre der Heilbewährungszeit hinaus nach und man hat Nachteile beim Abschluss von Versicherungen oder auf der Arbeit. Auf der anderen Seite laufen die Schwerbehindertenausweise fünf Jahre nach der Krebserkrankung ab, oder werden noch früher überprüft und heruntergestuft. Diese Uneinheitlichkeit, wann man wieder als ‚gesund‘ oder noch ‚krank‘ bzw. ‚gefährdet‘ gilt, ist total paradox.“ 

Die Stiftung verstärkt mit ihrem Drängen zugleich die europäische Initiative „Right to be Forgotten“. Laut Schätzungen der Europäischen Kommission gibt es in Europa über 12 Millionen Krebsüberlebende, darunter etwa 300.000 nach Krebserkrankungen im Kindesalter.

Die EU-Richtlinie 2023/2225 über Verbraucherkredite könnte Besserung bringen. Könnte, denn bisher wurde der Richtlinienentwurf zwar 2009 im EU-Parlament verabschiedet, er wird jedoch seitdem verhandelt. Diese geplante Richtlinie ist laut DGHO für Krebspatient:innen von Bedeutung, weil sie mit dem Begriff der „Behinderung“ Schutz einschließen würde, der im Gegensatz zu bisherigen Richtlinien breite Bereiche des Lebens umfasst. Das würde bspw. für den Zugang zu sozialem Schutz gelten, soweit er die Sozialversicherung einschließlich gesetzlicher Zusatzrentensysteme, Sozialhilfe, Sozialwohnungen und Gesundheitsversorgung abdeckt.

Die Richtlinie würde auch Fragen des Familienrechts einschließen. Das beträfe dann auch die Rechte zu Adoption und Gesetze über reproduktive Rechte.

Medical-Tribune-Bericht