Fehlzeitenrekord Die Folgen von Husten, Schnupfen, Heiserkeit
Neben Fachkräftemangel und Energiekrise stellen die krankheitsbedingten Jobausfälle für Unternehmen und Institutionen eine große Herausforderung dar, stellt die KKH Kaufmännische Krankenkasse fest. Sie registriert für 2023: Jedes Mitglied war durchschnittlich zweimal krankgeschrieben – ein Plus von 14 % gegenüber dem Vorjahr. Auch die Fehlzeiten bewegen sich mit 2.392 Tagen pro 100 Versicherte auf höchstem Niveau. „An jedem Tag des vergangenen Jahres waren 6,6 % der Beschäftigten krankgeschrieben“, meldet die KKH.
Wie schon 2022 fehlten auch 2023 fast drei Viertel aller Beschäftigten mindestens einen Tag krankheitsbedingt am Arbeitsplatz, berichtet die IKK classic. „Insgesamt waren Arbeitnehmer durchschnittlich 26,5 Tage krankgeschrieben.“
Arbeiten gehen oder länger im Bett bleiben?
Die sog. Bettkantenentscheidung – mit Schniefnase arbeiten gehen oder lieber krankmelden – fällt bei 59 % der Beschäftigten zugunsten der Krankmeldung aus. 10 % tun dies häufig, 23 % manchmal und 26 % selten. 36 % sagen von sich, gesund immer dem Job nachzugehen. Das berichtet die Pronova BKK aufgrund einer repräsentativen Online-Befragung von 1.200 Arbeitnehmern im November 2023.
Laut Umfrage gehen heute deutlich weniger Arbeitnehmer mit leichten Infekten zur Arbeit als vor der Coronapandemie. Während dies 2018 noch 50 % gemacht haben, waren es 2023 nur 34 %. Zudem schleppten sich weniger Arbeitnehmer mit Rückenschmerzen zur Arbeit; die Anzahl der Betroffenen sank seit 2018 um elf Prozentpunkte auf 46 %. Doch nach wie vor kuriere nicht einmal jeder Dritte seine Erkrankung bis zur vollständigen Genesung aus, berichtet die BKK. Bei Erkrankungen der Atemwege und ansteckenden Infekten warteten 23 % bzw. 19 % nur, bis die schlimmsten Symptome vorbei seien. Besorgniserregend sei, dass 12 % der Befragten mit positivem Coronatest und mildem Verlauf an ihren Arbeitsplatz zurückkehrten.
Die Techniker Krankenkasse (TK) meldet 19,4 krankheitsbedingte Fehltage je Erwerbsperson – ein neuer Höchststand in Folge nach 2022. Hauptgrund seien Krankschreibungen aufgrund von Erkältungskrankheiten wie grippale Infekte, Bronchitis oder Grippe. Die 5,11 AU-Tage machen mehr als ein Viertel aller Fehltage aus. Auf Platz zwei der häufigsten Gründe für eine AU rangieren laut TK psychische Erkrankungen mit durchschnittlich 3,6 Tagen je Erwerbsperson, gefolgt von Muskelskeletterkrankungen wie Rückenschmerzen mit 2,8 Fehltagen.
„Der hohe Krankenstand hat starke Auswirkungen auf die Arbeitswelt“, betont Antje Judick, Arbeitspsychologin bei der KKH. Es sei wichtig, sich weiter zu schützen, etwa durch Hygieneregeln, Schutzimpfungen oder vermehrte Arbeit im Homeoffice. Das gelte nicht nur wegen des Ansteckungsrisikos bei Atemwegs- oder Magen-Darm-Infekten.
Genauere Statistik dank eAU
Nach Berechnungen des GKV-Spitzenverbandes haben Arbeitgeber 2023 knapp 82 Mio. eAU abgerufen. Pro Monat waren das durchschnittlich 6,8 Mio. Allerdings verschicken die Ärzte im Schnitt monatlich 9,5 Mio. eAU an die Krankenkassen. Der GKV-Verband erklärt die Differenz damit, dass einige Arbeitgeber noch immer eine Krankmeldung auf Papier von ihren Mitarbeitern verlangen.
Die Kassenvertretung weist zudem auf eine Besonderheit hin: Bis zur Einführung der eAU konnte die Gesamtzahl der Krankmeldungen nur grob geschätzt werden. Es gab eine Dunkelziffer, weil Arbeitnehmer insbesondere bei kurzen und akuten Erkrankungen teilweise keinen Nachweis ihrer Krankmeldung bei der Kasse einreichten. In den Statistiken fehlten diese. Jetzt zeigt sich: Die Zahl der bisher kalkulierten 70 bis 80 Mio. Bescheinigungen pro Jahr wurde schon 2023 übertroffen. „Die Gesamtsumme der eAU im ersten Jahr des Regelbetriebs bildet daher den Ausgangspunkt für exaktere Vergleiche und Auswertungen in künftigen Jahren.“
Kapazitäten ausloten und das Stressniveau ermitteln
Häufige und lange Arbeitsausfälle bedeuteten für die verbliebenen gesunden Kollegen eine starke Zusatzbelastung, denn sie müssen die liegen gebliebene Arbeit auffangen. Das kann zu einem Dominoeffekt mit Überlastung, Erschöpfung und weiteren Krankmeldungen führen, so Judick. Führungskräfte sollten frühzeitig mit der Anpassung von Zeitplänen und der Priorisierung von Aufgaben reagieren. In Mitarbeitergesprächen gilt es, die Kapazitäten so gut wie möglich auszuloten und das Stressniveau zu ermitteln.
„Der Faktor Krankenstand kommt für Deutschland zur Unzeit, da unsere Wirtschaft im Vergleich zu den anderen Industrienationen ohnehin schwächelt“, kommentiert Dr. Claus Michelsen, Geschäftsführer Wirtschaftspolitik beim Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa). Krankheitsbedingte Ausfälle könnten nicht mehr ohne Weiteres mit Überstunden und Umstrukturierungen aufgefangen werden. Laut Statistischem Bundesamt schrumpfte die deutsche Wirtschaftsleistung 2023 um 0,3 %. „Dazu trug auch der sehr hohe Krankenstand bei“, so Volkswirt Dr. Michelsen.
Nach einer Analyse des vfa führten die Arbeitsausfälle zu beträchtlichen Produktionseinbußen, insbesondere in den wichtigen Wirtschaftszweigen Fahrzeugbau, Maschinenbau, Metall, Elektro, Pharma und Chemie. „Ohne die überdurchschnittlichen Krankheitstage wäre die deutsche Wirtschaft um knapp 0,5 % gewachsen“, schreibt der Verband. Doch in realer Rechnung seien 26 Mrd. Euro beim Bruttoinlandsprodukt verloren gegangen. Der Gesamtverlust aufgrund des hohen Krankenstands in den Jahren 2022 und 2023 belaufe sich auf preisbereinigt über 50 Mrd. Euro. „Dies hat reale Konsequenzen für den Wohlstand des Landes“, erklärt der vfa. „Die Einnahmen der Krankenversicherung in den vergangenen beiden Jahren hätten um gut 5 Mrd. Euro und die der Steuer um 15 Mrd. Euro höher ausfallen können.“
Ein Effekt, als ob es 350.000 Beschäftigte weniger gäbe
Der Verband warnt: „Würde der in den vergangenen zwei Jahren beobachtete Krankenstand die neue Normalität darstellen, stünde der deutschen Volkswirtschaft Arbeitskraft im Umfang von umgerechnet gut 350.000 Beschäftigten weniger zur Verfügung.“ Deshalb seien Investitionen in Gesundheit und Präventionsmaßnahmen wichtig.
Über die Ursachen des außergewöhnlichen Krankenstands gebe es keine abschließenden Erkenntnisse, räumt der vfa ein. Auffällig ist aber, dass 2020 und 2021 die Grippewellen ausblieben, weil während der Pandemie soziale Kontakte reduziert wurden und mehr auf Hygiene geachtet wurde. Zum Jahreswechsel 21/22 schlug die Omikronwelle zu, ab Herbst 2022 pushte das gehäufte Auftreten von Atemwegserkrankungen die AU-Zahlen.
Quelle: Medical-Tribune-Bericht