Die neuen Leibärzte: Dres. Google und Apple

Autor: Michael Reischmann, Foto: thinkstock, fotolia/Prykhodov, fotolia/pandpstock001

Videokonsultationen, Gesundheits-Apps, Expertensysteme, soziale Netzwerke. Die Facetten der "digitalen Medizin" gewinnen an Bedeutung – auf Kongressen, in Studien, im Alltag. Ein neuer großer Markt entsteht. Und die Frage an die Ärzte lautet stets: Wie sollen sie damit umgehen?

Dr. Markus Müschenich ist ein viel gefragter Mann. Der Kinderarzt, der heute als Unternehmer in Berlin Start-ups beim Markteintritt ins Gesundheitswesen unterstützt, ist als Vorstand des Bundesverbands Internetmedizin Kenner wie Visionär in Sachen digitaler Medizin.

Auch auf dem Internistenkongress in Mannheim konnte er seine Zuhörer in den Bann schlagen. Denn diese hatten alle ein Smartphone in der Tasche und konnten die Argumentation des Arztes gut nachvollziehen: Das Smartphone ist als ständiger Begleiter im Alltag des Patienten präsent. Es liefert ihm Informationen, ermöglicht Kommunikation, registriert und verknüpft seine Daten und wertet sie aus.

Videobesprechungen und die App auf Rezept gibt es schon

Diese (Selbst-)Betreuung im Alltag können Praxen und Krankenhäuser nicht leisten. Hier dringen neue Player vor – die Hersteller von Hard- und Software. Die Zeitschrift "Forbes" hat im letzten Jahr als wichtigstes Unternehmen im Gesundheitswesen die Firma Apple genannt, erzählt Dr. Müschenich. Auch Google ist hier aktiv. IT-Anbieter fungieren als "Co-Leibarzt", das Internet wird zu einem neuen Behandlungsort, prophezeit Dr. Müschenich.

Er bemerkt wie Arztgruppen frühere Widerstände aufgeben und nun selbst den Krankenkassen Verträge zu Video­sprechstunden und -konsilen anbieten, etwa in der Dermatologie, Pädiatrie oder Psychotherapie. Kassen geben auch Geld für elektronische Angebote aus; die Barmer GEK bezahlt z.B. eine "App auf Rezept" für Kinder mit einer funktionellen Sehschwäche (Amblyopie).

Digitale Tagebücher für Schwangere, Menschen mit Depressionen oder Migränegeplagte bieten neue Möglichkeiten, Gesundheitsdaten zu erheben und Patienten zu lenken. Durch Selbstbeobachtung/-messung, das Zusammenführen großer Datenbestände und deren Auswertung auf Muster können neue Erkenntnisse gewonnen werden, z.B. unter welchen Umständen es gehäuft zu Migräneattacken kommt.

Hebt die deutsche E-Health-Rakete jetzt ab?

Dr. Müschenichs Prognose für Dia­betiker lautet, dass sie in fünf bis zehn Jahren keine Broteinheiten, Blutzucker- oder Insulinwerte mehr in ihre Applikationen eingeben müssen, weil diese automatisch enthalten sein werden, da alles miteinander vernetzt ist. "Das Management der Krankheit wird einfacher werden."

Dass die digitale Medizin derzeit ein gern diskutiertes Thema ist, liegt auch daran, dass der Gesetzgeber mit dem E-Health-Gesetz mehr Druck beim Aufbau der Telematik-Infrastruktur macht und dass der Innovationsfonds Geld für Versorgungsmodelle ausschütten wird, bei denen Telemedizin, Telematik und E-Health eine Rolle spielen.

Warum die "E-Health-Rakete" dennoch bislang in Deutschland nicht abgehoben hat? Professor Dr. Arno Elmer könnte Dutzende Gründe anführen, z.B. "fehlender Handlungs- und Leidensdruck".

Der Betriebswirt, Wirtschaftsinformatiker und Jurist muss es wissen. Schließlich war er bis Mitte vergangenen Jahres Hauptgeschäftsführer bei der Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte (gematik). Die rechtlichen und technischen Voraussetzungen seien längst vorhanden bzw. evaluiert, sagt er. Doch offenbar mangele es am Willen zur Kooperation und Vernetzung.

Keine komplizierten Lösungen für die Praxis! "Die Digitalisierung kann den Arzt nicht ersetzen", sagt Prof. Elmer. Der Arzt könne allerdings zum "Enabler" werden, etwa bei Apps für ältere Patienten, die mithilfe tragbarer Geräte länger zu Hause betreut werden können. Allerdings, so betont er auch, muss es für den Arzt einfach und attraktiv sein, solche Angebote in seine Praxisabläufe einzubinden.


Quelle: Kongressbericht DGIM 2016