Deutscher Ärztetag Erstaunliche Unkenntnis über die hausärztliche Versorgung

Gesundheitspolitik , Kolumnen Autor: Raimund Schmid

Da haben sich KBV und Bundesärztekammer (BÄK) bei ihren jüngsten Vollversammlungen anlässlich des Deutschen Ärztetages bei ihren Debatten um die hausärztliche Versorgung wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. So kann sich z. B. die Vertreterversammlung der KBV in Zeiten des Ärztemangels gerade einmal dazu aufraffen, Delegationen von ärztlichen Leistungen prüfen zu wollen. Von einer anderswo längst üblichen Substitution bestimmter ärztlicher Leistungen auch durch akademisierte Gesundheitsberufe will man erst gar nichts wissen. Die Vernetzung soll – immerhin unter Einbindung hausärztlicher Kompetenz – vorangetrieben werden, gegebenenfalls sogar mit einem GKV-Hausarzttarif. Na, geht doch!

Den Vogel haben aber die Delegierten des Deutschen Ärztetags abgeschossen. Sie forderten die BÄK auf, ein Konzept für eine Versorgung durch ein hausarztgeleitetes interprofessionelles Versorgungsteam auszuarbeiten. Damit will man dem demographischen Wandel und der weiteren Verbreitung chronischer Krankheiten gerecht werden. Donnerwetter, kann man da nur sagen, welch ein Weitblick im Jahr 2017!





Und wie will der Ärztetag die Sicherstellung der flächendeckenden wohnortnahen Versorgung durch Hausärzte gewährleisten? Achtung, anschnallen, denn jetzt folgt ein Kracher nach dem anderen:



  • Durch eine Erhöhung der Zahl abgeschlossener Weiterbildungen im Fach Allgemeinmedizin, die derzeit bei etwa 1.100 bis 1.300 deutlich zu niedrig liegt. Wer hätte das gedacht!
  • Durch die Einbindung anderer Berufsgruppen in die Praxisteams. Welch eine sensationelle Erkenntnis! Noch nie etwas von VERAH®, Agnes, Armin oder anderen Modellen gehört, bei denen genau das seit langem geschieht?
  • Durch die Weiterentwicklung interprofessioneller, sektorübergreifender Versorgungsstrukturen. Da liegt sicher noch einiges im Argen, doch auch hier sind mit den Facharztverträgen und den Versorgungslandschaften im Rahmen der HzV schon die ersten Weichen gestellt.
  • Durch Integration von E-Health-Strukturen in die Versorgung. Da ist der Fortschritt in der Tat eine Schnecke, doch auch hier will nun der Hausärzteverband mit einer webbasierten App für Vollversorgungsverträge in der hausärztlichen Versorgung vorpreschen.
  • Durch die Förderung der Gesundheitskompetenz der Patienten und ihres sozialen Umfeldes. Selbst hier gibt es bereits viele innovative Ansätze, z. B. die erfolgreiche aktive Einbindung von Patienten im "Gesunden Kinzigtal".

Erstaunliche Unkenntnis

Und schließlich sollen laut Ärztetag die Vergütungsstrukturen an die veränderten Versorgungskonzepte angepasst werden. Donnerwetter zum zweiten! Das ist längst passiert. Und zwar nicht nur in den Selektivverträgen, die den Hausärzten im Schnitt 30 % mehr an Honorar einbringen, sondern auch in den Kollektivverträgen, die mit ihren Honorarleistungen ebenfalls nachziehen mussten.

Es ist schon erstaunlich, dass viele Delegierte des Deutschen Ärztetages davon – und ganz generell von der hausärztlichen Versorgung an der Basis – offenbar noch nichts gehört haben. Vielleicht hätten sich die Delegierten in einer kleinen Sondersitzung vorab erst einmal damit befassen sollen. Dann hätten sie den Ärzten an der Basis, den Hausarzt-Patienten und vor allem sich selbst mit solchen "Leitgedanken" eine dicke Blamage ersparen können, meint

Ihr

Raimund Schmid


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2017; 39 (12) Seite 34
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.

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