Krebserkrankung Geldsorgen gefährden die Genesung
Einkommensverluste durch eingeschränkte Arbeitsfähigkeit und gleichzeitige Mehraufwendungen, die gestemmt werden müssen: Der Zusammenhang zwischen Krebserkrankung und Armut liegt auf der Hand – erst recht bei langer Überlebenszeit bzw. Chronifizierung der Erkrankung. Belegt werden kann diese Aussage unter anderem mit der SEC-Studie*, einem europäischen Survey mit 2.507 Teilnehmenden. Die Studie zeigte unter anderem Einkommensverluste bei 56 % der an Krebs erkrankten Teilnehmer und krebsbedingte Ausgaben bei 86 %. Davon am stärksten betroffen waren Geschiedene, Selbstständige, Jüngere sowie Patienten und Patientinnen mit Kindern.
Außerdem ist die Studie zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Viertel der Betroffenen schon in den ersten Monaten nach einer Krebsdiagnose unter finanziellen Einbußen leidet. In erster Linie dafür verantwortlich sind Mehrbelastungen durch Zuzahlungen. Dieses Phänomen tritt in verschiedenen Ländern unterschiedlich auf. So gibt es in Deutschland zunächst die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sowie Sozialleistungen, die einen Teil des Problems auffangen. Zur ganzen Wucht der Belastungen kommt es hier also erst später.
Was sehr früh auftreten kann, ist aber – abhängig von der individuellen Situation, der Persönlichkeit und den Lebensbedingungen – die Sorge vor einem finanziellen Abstieg, berichtet Prof. Dr. Michael Schlander, einer der maßgeblich an der Studie Beteiligten.
Auch eine weitere Zahl in diesem Zusammenhang ist für Prof. Schlander sehr bemerkenswert: 16 % der Menschen mit Krebsdiagnose haben aus Angst vor der finanziellen Belastung eine Behandlung aufgeschoben. „Das hat uns in der Tat überrascht. Wir wissen, dass es das Phänomen gibt, aber wir haben nicht damit gerechnet, dass es so häufig ist“, sagt Prof. Schlander.
Das deutsche System führt zu Benachteiligung von Ärmeren
Im europäischen Vergleich stehe Deutschland keinesfalls gut da. „Wir sind bestenfalls Mittelmaß. Und was den Verzicht auf medikamentöse Therapien angeht, sogar überdurchschnittlich schlecht.“ Ursache hierfür sei wahrscheinlich das Phänomen der Zuzahlungen. Das sei auch eine der möglichen Erklärungen dafür, dass Patienten, die in einer schlechteren sozioökonomischen Ausgangssituation sind, eine schlechtere Prognose ihrer Krebserkrankung später haben.
Und wie wirken sich finanzielle Sorgen auf den Gesundungsprozess aus? Der Gesundheitsökonom und Mediziner Prof. Schlander unterstreicht, dass finanzielle Sorgen als negative Stressoren wirken. Man könne maladaptive Copingstrategien beobachten, wie etwa das Aufschieben oder den Verzicht auf Therapien oder das Nicht-Abholen verschriebener Medikamente.
Letztendlich gebe es eine Fülle von Faktoren, zu denen z.B. auch das soziale Umfeld gehört. Im Zusammenspiel führen sie dazu, dass man tatsächlich damit rechnen müsse, dass finanziell schlechter gestellte Menschen im Lauf ihrer Krebserkrankung ein erhöhtes Mortalitätsrisiko haben.
Die Risikogruppen können die wenigsten überraschen: Es sind zunächst jene Patienten, die bereits einen schlechteren sozioökonomischen Status mitbringen, also Menschen mit einem niedrigen Einkommen, die in der Mortalitätsrate auffallen. Genauso gehören Personen mit niedrigem Bildungsgrad zur Risikogruppe, zudem Selbstständige sowie Patienten mit Kindern. Ein weiterer Parameter, der unerwartet sein mag, ist jüngeres Alter, insbesondere bei Selbstständigen.
Damit sich Menschen nach einer Diagnose ganz auf ihre Gesundung konzentrieren können und sich nicht um ihre Existenz Sorgen machen müssen, so Prof. Schlander, müsse ernsthaft darüber nachgedacht werden, welche Belastungen man den Patienten zusätzlich aufbürde. Man müsse hinterfragen, ob das heutige Zuzahlungssystem sachgerecht ist. Die Funktion von Zuzahlungen sei ja, einen gewissen Steuerungseffekt zu haben. Aus ökonomischer Sicht ist das ein vernünftiger Gedanke – „im Zusammenhang mit einer Krebserkrankung ist das System der Zuzahlungen aber möglicherweise völlig deplatziert“, so der Ökonom.
Bei einer Krebserkrankung bestehe eine absolute Notwendigkeit für eine Vielfalt von Therapien, die allesamt mit Zuzahlungen, Anreisekosten zur Behandlung und ggf. Aufwand von betreuenden Personen verbunden seien. „Hier müsste man sehr genau nachdenken, ob man nicht Entlastung schaffen kann, indem man Ausnahmetatbestände sehr viel großzügiger definiert“, sagt Prof. Schlander.
Die Laborparameter seien nicht das entscheidende Kriterium für den Erfolg der medizinischen Versorgung. In der Diskussion um den Patient Reported Outcome sei jetzt eine Erweiterung um die sozioökonomische Dimension unbedingt angezeigt.
* Im Rahmen der OECI Health Economics Working Group vom niederländischen NKI in Kooperation mit der DKFZ-Gesundheitsökonomie initiierte „Socioeconomic Impact of Cancer“-Studie
Quelle: Kongressbericht Deutscher Krebskongress 2024
aktualisiert am 10.04.2024 um 17.48 Uhr