Kommentarzur Coronakrise Maskenball
Großspurige Hilfsversprechen treffen auf den täglichen Praxisfrust. Da lobt der oberste Kassenarzt Dr. Andreas Gassen unverdrossen, die KVen hätten die Lage "bestens im Griff" und es gebe "nur wenig zu verbessern", während vor Ort die niedergelassenen Kollegen seit Wochen auf eine klare Krisenkommunikation und materielle Unterstützung durch ihre Körperschaft warten. Da wird von einer "Schutzwallfunktion" der niedergelassenen Praxen geredet, ohne dass den Lobpreisungen eine konkrete Unterstützung folgt.
Mangel an Schutzausrüstung
Beispielhaft wird das Dilemma zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei der Verteilung von Schutzmasken. Bereits bei der Bedarfsermittlung herrscht hier offensichtlich Verwirrung, wenn die zuständigen KVen laut AOK-BV für NRW 50 Millionen anfordern, während in Bayern mit höheren Infektionszahlen 15 Millionen ausreichen sollen. Über Wochen hin versprochen, scheint die KV-Bürokratie nicht in der Lage, die niedergelassenen Ärzte mit der notwendigen Ausrüstung zu versorgen. Es ist zwar nachvollziehbar, dass Notausrüstung für eine zeitlich unvorhersehbare Pandemie nicht ständig in den jetzt erforderlichen Mengen vorgehalten werden kann. Andererseits sollten die zuständigen Stellen zumindest ansatzweise durch Notfallübungen vorgewarnt bzw. die Schwachpunkte bekannt sein. So ist virologisch nicht nachvollziehbar, dass Ärzte im Bereitschaftsdienst ohne Schutzkleidung zu "Abstrichbesuchen" geschickt werden. Wenn von 70.000 bestellten Schutzmasken nur 10.000 geliefert werden, ist das bitter. Wenn diese jedoch keine Zertifizierung bekommen und deshalb im Ernstfall keinen Schutz bieten, ist das ein organisatorischer GAU. Die Reaktion der "institutionalisierten Macher" auf Kritik ist erschreckend uneinsichtig, so wie sich Gassen trotz derartiger Pannen jede Einmischung der Politik in die Selbstverwaltung als "brandgefährlich" verbittet.
Politik greift durch
Doch die Politik greift durch. Verstecken hinter leeren Wortmasken und Abtauchen geht gar nicht. Institutionen, die im Krisenmodus nicht funktionieren, entbehren ihrer zentralen Wichtigkeit. Im Krisenmodus ist "keine Zeit für Dilettanten", wie RKI-Chef Lothar Wieler die Situation brutal auf den Punkt bringt. So hat der bayerische Ministerpräsident Markus Söder offenbar die Geduld mit der hilflos agierenden KV Bayerns (KVB) verloren. Per Dekret ordnete Söder den Einsatz von Versorgungsärzten an, die ernannt vom jeweiligen Landrat oder Oberbürgermeister – den Politikern vor Ort direkt unterstellt – "die Aufrechterhaltung der ärztlichen Grundversorgung im Katastrophenfall" sichern sollen. Ausgestattet mit absolutem Weisungsrecht gegenüber der KVB entscheidet dieser Corona-Versorgungsarzt über die Einrichtung von Schwerpunktpraxen für COVID-19-Patienten "… und die Rekrutierung des hierfür erforderlichen Personals."
Das Gesundheitssystem muss robuster werden
Die Coronakrise zeigt hier augenscheinlich die Verletzlichkeiten und Abhängigkeiten. Die KVen als bürokratische Zwitterwesen einer weisungsgebundenen Körperschaft und einer Berufsständischen Interessenvertretung sind hier besonders anfällig. Der Ruf nach dem Staat wird laut, der effektiv und auf kurzem Dienstweg die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung organisiert, ohne auf Kompetenzgerangel Rücksicht zu nehmen.
Klar ist schon heute: Die Robustheit unseres Gesundheitssystems muss erhöht werden und das wird teuer. Gesundheit ist kein marktwirtschaftliches Produkt, das in einer globalisierten Welt beliebig mit möglichst billigen Preisetiketten versehen werden kann. "Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben." Ob die Briefe von der Coronafront Wirkung im bundesdeutschen Gesundheitswesen zeigen, bleibt abzuwarten.
Autor:
Hans Glatzl
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (8) Seite 35
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.