Hausärzte international Müssen Hausärzte neidisch über die Grenzen blicken

Kolumnen Autor: Raimund Schmid

Um es gleich vorweg zu sagen: Ergebnisse von Studien zwischen einzelnen Ländern darüber, wie zufrieden Patienten oder speziell auch Ärzte mit der Gesundheitsversorgung sind, sind nur bedingt vergleichbar. Für die Querschnittsstudie des US-Commonwealth Fund mit 9 776 Haus- und Kinderärzten aus 11 Ländern trifft dies natürlich auch zu.

Zeitmangel macht unzufrieden

Dennoch sind die Angaben der hierzulande beteiligten 755 Haus- und 103 Kinder- und Jugendärzte zum Teil so eindeutig, dass selbst statistische Bereinigungen die zum Teil höchst ernüchternden Erkenntnisse kaum übertünchen können. So geben hierzulande 14 bzw. 31 % der befragten hausärztlich tätigen Ärzte an, mit ihrer Arbeit sehr unzufrieden bzw. etwas unzufrieden zu sein. Das ist international ein einsamer Spitzenwert, der nicht einmal von den USA (4 % sehr unzufrieden, 28 % etwas unzufrieden) getoppt werden kann. Verantwortliche Gesundheitspolitiker sollten sich da schon fragen, was z. B. in Norwegen oder den Niederlanden anders läuft. In diesen Ländern sind nur 1 % der Ärzte sehr unzufrieden und 11 % etwas unzufrieden. Dagegen sind in Norwegen viermal so viele Mediziner mit der eigenen ärztlichen Tätigkeit sehr zufrieden (36 %, in Deutschland nur 9 %). Gerade einmal 54 % der deutschen Hausärzte sind mit ihrer ärztlichen Tätigkeit noch zufrieden, wohingegen es in den meisten Ländern mehr als 80 % sind. Ein Schlüssel hierfür könnte sein, dass fast jeder zweite Arzt der Primärversorgung meint, zu wenig Zeit für den einzelnen Patienten aufbringen zu können. Kein Wunder also, dass auch nur 23 % das Gesundheitssystem hierzulande für gut halten, 22 % sehen trotz dauerhafter Gesundheitsreformen eklatante Mängel. In Australien, Kanada, Großbritannien, den Niederlanden, Norwegen und Neuseeland geben jeweils nur je 2 % der Ärzte an, so gravierende Defizite zu erkennen, dass neue Reformen in Gang gesetzt werden sollten.

Überversorgung – Priorisierung – Rationierung

Und schließlich glauben 60 % der deutschen und niederländischen Hausärzte, dass ihre Patienten deutlich überversorgt sind und zu viel Medizin erhalten. Angefangen mit einem Übermaß an Vorsorgeuntersuchungen für schwangere Frauen bis hin zur völlig unkoordinierten Versorgung geriatrischer Patienten, die von einer Stelle zur anderen hin und her geschoben werden. In Neuseeland sehen gerade mal 6 % der Ärzte eine Überversorgung, in Großbritannien 13 und in Australien 15 %. Hier freilich kann man den Spieß auch umdrehen. Während hierzulande 18 % der Befragten glauben, viel zu wenig Medizin anbieten zu können, sind das in Neuseeland stattliche 39 %, in Schweden 30 % (Stichwort Priorisierung) und in Großbritannien immer noch 24 % (Stichwort Rationierung).Fazit: Ärzte in der Primärversorgung sehen sich und ihre Patienten hierzulande in keiner Weise als primär gut versorgt an. Diese Erkenntnisse sind eine Steilvorlage für die nächste anstehende Gesundheitsreform. Dabei könnte man gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Wenn mehr Zeit pro Patient zur Verfügung stünde, wären die Hausärzte mit sich und dem System eher im Reinen und könnten sich dann unter anderem auch besser dem wohl immer dringlicheren Problem der Überversorgung stellen, meint

Ihr Raimund Schmid


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (16) Seite 31
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.