Nahtod-Erfahrungen mehr als esoterischer Hokuspokus

Autor: Dr. Anja Braunwarth, Foto: fotolia

"Das gab‘s doch früher nicht, die machen sich nur wichtig, da sind bestimmt Drogen im Spiel" – Kritikpunkte an Berichten über Nahtoderlebnisse gibt es reichlich. Aber die Hinweise auf wissenschaftliche Haltbarkeit mehren sich.

"Den meisten Kollegen brauche ich mit dem Thema erst gar nicht zu kommen", schilderte Professor Dr. med. Walter van Laack seine Erfahrungen. Der niedergelassene Orthopäde aus Herzogenrath beschäftigt sich seit Jahrzehnten wissenschaftlich und fachübergreifend mit Nahtoderfahrungen, die von den meisten Forschern noch als esoterischer Hokuspokus abgetan werden. "Viele Vorurteile lassen sich aber in der Tat wissenschaftlich widerlegen", erklärte der Mediziner.

Vorwurf der Wichtigtuerei lässt sich leicht entkräften

Er präsentierte zunächst die Ergebnisse einer Studie an 617 Patienten, die sich mit der Verteilung der erlebten Dinge beschäftigte. Drei Viertel der Teilnehmer (76 %) berichteten über Gefühle von Liebe, Freude und Frieden, 57 % erzählten, dass sie von jemandem begrüßt wurden – meist einem Verstorbenen und oft jemand, den man gar nicht mehr gekannt hat, z.B. einem Großelternteil. 47 % gaben an, den Körper verlassen zu haben. Den gern zitierten "Rückblick aufs Leben" schilderten dagegen nur 14 %. Wenn es dazu kam, nahmen sie aktiv daran teil. Praktisch alle Befragten verloren durch die Erfahrung die Angst vor dem Tod.

Der Vorwurf, die Menschen wollten sich nur wichtig machen, lässt sich leicht entkräften, sagte Prof. van Laack. Denn statt damit hausieren zu gehen, sprechen viele Betroffene gar nicht darüber – vor allem aus Angst, nicht ernst genommen zu werden. Und die These, dass Nahtoderlebnisse die Erfindung moderner Sterbeforscher wie Dr. Elisabeth Kübler-Ross seien, wies der Kollege mit einem kleinen Exkurs in die Geschichte zurück. Schon in Schriften des Buddhismus, des Islams und auch des Christentums finden sich seiner Aussage nach Zitate, die auf Nahtoderlebnisse hindeuten. Hinweise darauf, dass dahinter tatsächlich physiologische Vorgänge stecken, lieferten zum Beispiel Kampfpiloten.

Kampfpiloten im
 Training erleben ähnliche Dinge

Die meisten Piloten werden durch den Sauerstoffmangel während ihrer Trainingseinheiten in Beschleunigungszentrifugen ohnmächtig. Während dieser Bewusstlosigkeit erleben sie ganz ähnliche Phänomene wie klinisch Tote, z.B. verlassen sie scheinbar auch ihren Körper, fühlen sich sehr glücklich oder treffen Bekannte wieder. Und das berühmte helle Licht am Ende des Tunnels nehmen viele ebenfalls wahr.

Für diese Erscheinung gibt es laut Prof. van Laack eine recht einfache Erklärung: Die reduzierte Sauerstoffversorgung im Gehirn führt dazu, dass  Neurone beginnen, unkontrolliert zu feuern. Da es auf der Netzhaut zentral mehr Neurone gibt, mutet das erzeugte Bild wie ein Tunnel mit hellem Mittelpunkt an.

Selbst wenn Nahtoderlebnisse anerkannt werden, heißt es oft: Das sind nur Halluzinationen. Doch dagegen sprechen mehrere Fakten. Zum einen treten Halluzinationen in der Regeln bei psychischen Krankheiten wie Psychosen auf. Die meisten Menschen, die über sterbeassoziierte Phänomene berichten, sind aber psychisch gesund, betonte der Referent. Außerdem setzen die Halluzinationen ein intaktes Gehirn mit funktionierenden Sinnesorganen voraus. Nahtoderfahrungen dagegen machen auch Patienten mit Null-Linien-EEGs, Blinde können während dieses Erlebnisses sehen oder Taube hören.

Delir und Drogenkonsum als Ursache ausgeschlossen

Könnte es sich dann nicht vieleicht um ein Delir aufgrund von Sauerstoffmangel handeln? Nein, sagte Prof. van Laack. Menschen im Delir sind immer desorientiert, ruhelos, haben später kaum Erinnerungen daran. Außerdem erleben sie alles passiv und verbinden damit keine positiven Gefühle.

Dann bleiben ja eigentlich nur noch Drogen übrig – auch völlig falsch, meinte der Mediziner. Manche Substanzen können zwar theoretisch ausschnittsweise nahtod-ähnliche Erlebnisse hervorrufen, tun es aber selten. Außerdem erkennen die Konsumenten, dass die Erfahrungen nicht real sind. Ausnahmen bilden Horrortrips, die dann aber so gar nichts Friedliches haben. Und am Ende des Rausches sind sämtliche damit verbundenen Gefühle wie weggeblasen, während der Beinahe-Tod ein Leben lang tiefe Emotionen hinterlässt.

Kurz nach klinischem Tod Gammawellen im EEG

Jüngere tierexperimentelle Untersuchungen lassen Prof. van Laack hoffen, dass man den Ursprüngen des Phänomens nun näher kommt. EEG-Aufzeichnungen an Ratten ergaben, dass es 20 bis 30 Sekunden nach deren klinischem Tod zu einer Aktivität von Gammawellen kam, die etwa 20 Sekunden lang anhielt.

Die Wellen kennzeichnen normalerweise einen Zustand höchster Konzentration. Es könnte also sein, dass Nahtoderfahrungen durch einen "nachtödlichen Hirnaktivitätsschwall" ausgelöst werden, als würde das Gehirn wie eine Festplatte alle Daten rausfeuern, vermutete Prof. van Laack. Das erklärt natürlich nicht die spirituellen Inhalte der Erlebnisse, doch leider könne man die Ratten nicht nach ihren Empfindungen befragen.

Aber es gibt auch erste Befunde in menschlichen EEGs, die spezifische Muster im Zusammenhang mit Nahtoderlebnissen, beispielsweise bei Erinnerungen daran, zeigen. Es ist sicher lohnenswert, diese Forschungen weiter zu verfolgen, so das Fazit des Experten.


Quelle: Deutscher Schmerz- und Palliativtag