Naturheilkunde und Esoterik nicht vermischen
Kürzlich war ich in einem Café in Frankfurt, etwas abseits von den Menschenmengen, die anlässlich der internationalen Automobilausstellung IAA durch die Innenstadt strömten. Das Café war klein, mit Zweiertischen und einem Regal an der Wand, auf dem sich Zeitungen und Zeitschriften häuften und zur gemütlichen Lektüre bei einer guten Tasse Kaffee – von Cappuccino bis Melange – einluden. So wie ich es halt mag.
Ganz oben auf dem Bord lag eine nicht mehr ganz frische Ausgabe eines bekannten deutschen Nachrichtenmagazins mit der Titelschlagzeile „Die Wahrheit über sanfte Medizin“, Untertitel: „Jeder zweite Deutsche vertraut auf alternative Heilmethoden. Ein Fehler?“
Da ich als Ärztin mit dem Zusatztitel Naturheilverfahren per se keine ablehnende Meinung zu diesem Thema habe und ich mir den sonnigen Nachmittag nicht mit Ärger verderben wollte, durchforstete ich die anderen ausliegenden Gazetten. Die meisten beschäftigten sich jedoch mit dem Endspurt des Bundestagswahlkampfs, aber darauf hatte ich auch keine Lust. Und da frau ja die Argumente der Gegner kennen sollte, nahm ich mir also pflichtbewusst den „Sanfte-Medizin-Artikel“ vor.
Gleich zu Beginn des Beitrags wurde eine Patientin zitiert, die bei einer Heilerin ihr Knie besprechen ließ. Dann eine Frau mit wohl funktionellen Magenbeschwerden, die als Therapie ein merkwürdiges Ritual mit einem Glas Wasser und einem Blatt orangefarbenem Papier durchführen sollte.
Dass ihr das auf die Dauer zu blöd wurde, zumal der Erfolg ausblieb, ist ihr nicht zu verdenken. Immerhin war die zweite Patientin bei einer Heilpraktikerin gelandet und nicht bei einer selbsternannten Heilerin. Und ihre Magenprobleme waren wohl bereits mit herkömmlicher medizinischer Diagnostik abgeklärt.
»Doppelblindstudien sind nicht die ganze Medizin«
Nach diesen Beispielen folgte in dem Beitrag die übliche Diskussion um Studien in der Homöopathie, deren Ergebnisse – zugegebenermaßen – sehr unterschiedlich sind. Und die Schlussfolgerungen daraus ebenfalls. Von den zitierten Wissenschaftlern wurde der Doppelblind-Versuch als einzig wahrer Goldstandard propagiert.
Doch ein Doppelblind-Versuch ist allenfalls mit homöopathischen Komplexmitteln möglich, die indikationsbezogen verordnet werden, nicht aber mit Einzelmitteln, das heißt homöopathischen Zubereitungen, die nur einen Arzneistoff enthalten. Gerade der homöopathische Therapeut wählt nach verschiedenen Kriterien, etwa Beschwerdebild, Modalitäten, körperlichen Merkmalen und Patientenkonstitution, das Arzneimittel aus. Soweit nichts Neues!
Aber was ist eigentlich schlimm daran, wenn ein Patient durch ein Naturheilmittel oder eine naturheilkundliche Maßnahme bzw. ein Homöopathikum ohne gravierende potentielle Nebenwirkungen eine Linderung seiner (funktionellen) Beschwerden erfährt?
Problem dieser Berichterstattung war mal wieder: Naturheilkunde und Esoterik werden in „einen Topf geworfen“. Ärzte und Politiker, die sich den sogenannten wissenschaftlichen Argumentationen – und dem Doppelblind-Versuch als einzig relevantem Kriterium – widersetzten, wurden als aggressiv gereizte grüne Ideologen dargestellt.
Andere Politiker reagierten eher diplomatisch zurückhaltend oder versuchten sich „raus zu halten“. Eine sachliche Diskussion kann so leider nicht in Gang kommen! Ja, und leider wurde auch wieder exemplarisch ein privatärztliches Vorgehen angeprangert: So hatte ein Privatarzt bei einer Patientin viele unhaltbare Diagnosen ohne entsprechende Untersuchungen gestellt – und all diese Krankheiten wollte er dann natürlich auch heilen. Beispiele derartiger Praktiken sind uns sicher allen bekannt. Jeder Berufsstand hat seine schwarzen Schafe. Und diese ihre Kunden.
»Darf die Homöopathie etwa nicht heilen?«
Was aber alle Betroffenen einhellig berichten, ist, dass die „sanften Heiler“ sich sehr viel Zeit für ihre Patienten beziehungsweise Klienten genommen haben. Die fühlten sich wiederum ernst genommen und mit ihren Beschwerden akzeptiert. Leider wird dies den Heilern und Therapeuten in diesem Artikel als besonders perfider Kundenfang unterstellt.
Aber ist das nicht ein wesentliches Kriterium der therapeutischen Tätigkeit? Ernst nehmen, erst mal annehmen! Und im Fall der „Heiler“ wird das Gespräch im Gegensatz zum Hausarzt honoriert. Mit der anschließenden Beschreibung von einzelnen Naturheilverfahren in der Zeitschrift war ich dann wieder einigermaßen versöhnt und auch mit dem Kommentar eines wohl bekannten Kollegen – nicht zuletzt vom medizinischen Kabarett.
Aber einen Verdacht werde ich einfach nicht los: Wenn 50 % der Deutschen wollen, dass Naturheilverfahren von den Krankenkassen bezahlt werden, wird dann nicht öffentlich etwas schlecht geredet, was nicht bezahlt werden soll – oder nicht bezahlbar ist?