Forschung in der Hausarztpraxis Sinnvoll, möglich, überfällig?

Kolumnen Autor: Jutta Bleidorn

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Ich bin gern mit meiner Praxis bei Forschungsprojekten dabei. Macht Spaß, und ich helfe mit, dass die Versorgung vorankommt, so die Aussage eines Hausarztes, der an verschiedenen Projekten eines universitären Instituts für Allgemeinmedizin teilgenommen hat. Motiviert und engagiert in der Forschung dabei – mit welchem Ziel?

Hausärztliche Versorgung abbilden, Fragen aus der Praxis beantworten, Patientenversorgung weiterentwickeln, Versorgungskontext berücksichtigen – das will allgemeinmedizinische Forschung, und das gelingt nur im hausärztlichen Umfeld. Hier können pragmatische Studien stattfinden, die auch multimorbide Patienten und Pflegeheimbewohner einschließen, Entscheidungen im Niedrig-Prävalenz-Bereich berücksichtigen und die Effektivität von neuen Maßnahmen im Alltag prüfen. Zielgruppenorientierte und unabhängige (!) Forschung mit vielseitigen Methoden wird zunehmend als eine der Grundlagen für adäquate hausärztliche Versorgung wahrgenommen.

Forschung in der Primärversorgung ist vielfältig – und birgt so manchen Benefit. Schon die Teilnahme an einer Umfrage oder einem Interview ist ein Beitrag zu praxisrelevanter Forschung. Die Durchführung von Interventionsstudien in der Praxis erweist sich als lohnend, wenn das Team profitiert und die eigenen Kompetenzen durch die getestete Behandlungsstrategie erweitert werden. Und: Lohnend ist Forschung auch dann, wenn Hausärztinnen und Hausärzte als Kooperationspartner beteiligt sind an der Entwicklung von Forschungsideen und deren Umsetzung. Sinnvoll ist Forschung in der Hausarztpraxis, das steht außer Frage.

Schwieriger ist es mit der Frage: Ist Forschung in der Hausarztpraxis möglich? Nicht jeder teilt die Meinung des eingangs zitierten Hausarztes, geht doch die Teilnahme an Forschungsprojekten meist mit zusätzlichem Aufwand einher. Zu ohnehin schon reichlich vorhandener Bürokratie und zunehmendem Patientenaufkommen auch noch Fragebögen ausfüllen, Schulungen besuchen, Patientinnen und Patienten von der Studienteilnahme überzeugen, eine neue diagnostische oder therapeutische Maßnahme durchführen, Daten dokumentieren – das ist in unserem Primärversorgungssystem nicht vorgesehen, Studienhonorare gleichen den Aufwand nicht aus, intrinsische Motivation ist zentral. Ja, möglich ist Forschung – doch mit Einschränkungen.

Forschungsbedarf ist reichlich vorhanden. Einiges ist schon erreicht, an vielen Standorten werden Forschungsprojekte in und mit Hausarztpraxen durchgeführt. Luft nach oben bleibt; in der Primärversorgung und darüber hinaus. Translationale Forschung ist in aller Munde, und die geht über "from bench to bedside" hinaus in die breite ambulante Versorgung. Es ist

Zeit, ein neues Selbstverständnis von Forschung in der Primärversorgung zu schaffen!



Fachärztin für Allgemeinmedizin
Direktorin des Instituts für Allgemeinmedizin des Universitätsklinikums Jena
07743 Jena

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (17) Seite 5
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.