Berufsbild Was tut der Hausarzt?

Kolumnen Autor: Gernot Rüter

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Bekanntlich hat das Fach Allgemeinmedizin ein Nachwuchsproblem. Auf Ursachensuche fällt ein merkwürdiges Paradox auf: Einerseits wird die hausärztliche Arbeit immer wieder mit leichten, sogenannten Bagatellerkrankungen assoziiert. Gemäß Äußerungen aus der „Politik“ scheinen Husten, Schnupfen und Fußpilz den hausärztlichen Alltag auszumachen. Im Gespräch mit Studierenden bietet sich oft ein genau umgekehrtes Bild: Furcht vor Überforderung, vor Komplexität, vor Unsicherheit lässt eher den Weg in ein Fach mit begrenzter Methodik und weniger Heterogenität anstreben. Offenbar ist den Protagonisten der Allgemeinmedizin nicht gut gelungen zu kommunizieren, was Hausärzte tun.

Dieser Tage übernehme ich im Pflegeheim die Betreuung eines über 90-jährigen Patienten mit Harnblasenkrebs. Nun sind die Behandlungsoptionen: Blasenentfernung, Bestrahlung/Chemotherapie oder auch Nichtstun mit der Tochter zu besprechen, die ihrerseits äußert, überfordert zu sein. Der Patient selbst ist nicht mehr hinreichend urteilsfähig. Nichtstun war von den behandelnden Urologen nicht erwogen worden!

Und da ist der Fall einer Akademikerin, die an Parkinson erkrankt ist. Sie kann den Lebensbedürfnissen des Partners nicht mehr entsprechen. Eine mehrfache Kränkung ist aufzufangen, denn die Krankheit schreitet fort, die Ehe zerbricht, das Alter erscheint einsam.

Die Aufgaben des Hausarztes sind vielfältig:

  • (Weiter)leben trotz und mit Krankheit in jedem Lebensalter zu ermöglichen.
  • 80–90 % der Patientenprobleme auf seiner Behandlungsebene zu betreuen und zu behandeln.
  • Bedrohliche Verläufe zu erkennen und die Einbeziehung des richtigen spezialistischen Niveaus zu bahnen.
  • Chronisch Kranke und unheilbare Patienten individuell in einem Leben zu begleiten, das neben Leid und Krankheit auch Freude, Lachen, Hoffnung und Zuversicht beinhalten soll (Salutogenese).
  • Risikoaufklärung und Beratung zur Risikominimierung sowie Früherkennung zu betreiben.
  • Überdiagnostik und Übertherapie zu verhindern und so möglichen Schaden vom Patienten abzuwenden (Quartärprävention).
  • Lebenskrisen körperlicher, psychischer und sozialer Art zu begleiten, Lösungen mit den Betroffenen zu suchen und bei deren Verwirklichung zu helfen.

Für diese Aufgaben bedarf es des „chronischen Arztes“, denn sie sind nur zu leisten, wenn es vielfältige Ebenen des Vertrauens zueinander und des Umgangs miteinander gibt („erlebte Anamnese“). Und es braucht ein nachhaltiges Honorar – auch als ein Zeichen gesellschaftlicher Wertschätzung. Erst wenn die letzte Hausarztpraxis geschlossen hat, wird man merken, dass ein Gesundheitssystem ohne Generalisten für Krankheiten, die aber gleichzeitig Spezialisten für den einzelnen Menschen sind, weder funktionieren noch bezahlt werden kann.


Autor:
Facharzt für Allgemeinmedizin, Chirotherapie - Palliativmedizin
71726 Benningen

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2015; 37 (16) Seite 3
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf doctors.today publiziert.