Wie gut, dass ich keine "High-Tech-Ärztin" bin

Autor: Dr. Cornelia Tauber-Bachmann

Warum Dr. Cornelia Tauber-Bachmann am liebsten Ohr und Auge am Patienten hat.

Manchmal mag ich die medizinischen Kongresse, bei denen ich nur „Handtäschchen“, d.h. fachfremde Begleitung bin, am meisten.


Dann muss ich mir keine neuen Krankheiten oder Krankheitsbezeichnungen merken, keine neuen Diagnose- und Therapieverfahren draufschaffen und schon gar keine neuen Statistiken einordnen. Mein mühsam erlerntes Pharmakotherapiewissen muss ich nicht erneut umschmeißen, weil jetzt etwas anderes „state-of-the-art“ ist. Kurzum: Als Begleitperson kann ich die Zeit genießen, mir Vorträge nach Interessens- und Spaßfaktor aussuchen oder auch gar nichts anhören. Dann ist Zeit, um das Drumherum anzuschauen – bestenfalls eine noch unbekannte Stadt zu erkunden. Und das alles ohne schlechtes Gewissen!

Als erstes wird der Patient in die Röhre geschoben

Weder mir noch meinen Patienten gegenüber. Naja, vielleicht nicht ganz ohne ... schließlich habe ich die Praxis ein paar Tage geschlossen, um meinen Mann begleiten zu können – und letztlich auch zu meinem persönlichen Vergnügen. Bekanntlich sind die Kongresshotels ja meist sehr schön gelegen und mit allen Wellness-Schikanen ausgestattet.


Und so kam es, dass ich nach langer Stadtbesichtigung mit Pflaster-Treten meine akuten Rückenschmerzen im Hotel-Whirlpool an der Massagedüse lindern wollte. Es tat gut. Ich war entspannt. Doch entfernt hörte ich die Stimme eines Mitbadenden, der in gebrochenem Englisch die Geschichte von einem gewissen Herrn Jacuzzi erzählte.


Eher unfreiwillig erfuhr ich so, dass mein redseliger Geschichtenerzähler diesen Herrn Jacuzzi zunächst in Japan eingeordnet hatte: Als „Ja-Ku-Tsi-San“ vermutlich vom Wortklang her. Aber zur Überraschung des unterhaltsamen jungen Mannes entpuppte sich besagter Herr Jacuzzi als Italiener. Ja, und der hatte einen Sohn, der an rheumatoider Arthritis litt.

Mitgefühl half früher sogar beim Erfinden

Linderung habe nun dieser Sohn Dank der Erfindung seines Vaters erfahren: Denn der konstruierte eine kommunikationsfördernde runde Familienbadewanne, in der aus mehreren Düsen sprudelndes warmes bzw. heißes Wasser strömt – und nun überall auf der Welt „Jacuzzi“ genannt wird. Die Erfindung sei umso bemerkenswerter, weil der Mann weder Arzt noch Physiotherapeut gewesen sei. Sondern einfach nur ein fürsorglicher Vater.


Und irgendwie war die Geschichte gar nicht so belanglos, wie ich anfangs dachte. Sie hatte ihren Charme. Obwohl der junge Mann sicher lieber die zwei ebenfalls im Pool befindlichen jungen Mädchen beeindrucken wollte und ich seine Bemühungen zunächst nur mütterlich-wohlwollend beobachtet hatte, konnte ich nicht umhin, mich,  plötzlich wach und aufmerksam, in die Unterhaltung einzuschalten. Es entwickelte sich ein sehr nettes Gespräch über Therapieformen, die von Angehörigen oder Freunden der Kranken entwickelt wurden. Einfach durch genaue Beobachtung, Ausprobieren und mit der Rückmeldung durch den Erkrankten. Was für ein Gegensatz zur heutigen hochtechnisierten Medizin! Wo die Patienten beklagen, dass sie anstatt zunächst einmal körperlich untersucht zu werden, gleich in „die Röhre“ geschoben werden.

Auge und Ohr am Patienten, das ist, was ich will

Und siehe da: Nach dem Besuch der gigantischen Industrieausstellung mit all den blitzenden und blinkenden „High-Tech-Geräten“, nach einigen wissenschaftlich hochstehenden, extrem spezialisierten Vorträgen, die mich als Hausärztin doch manchmal ehrfürchtig machen und mich selbst klein fühlen lassen, war ich wieder richtig mit meinem Beruf und meiner Tätigkeit zufrieden und versöhnt. Ohr und Auge am Patienten! „Hands-on“.


Der unmittelbare Kontakt, das Gespräch und vor allem das Zuhören. All das sind für mich die wesentlichen Inhalte unserer hausärztlichen Tätigkeit. Dazu gehört auch das Einbeziehen von Familie, Umgebung und den Bedingungen, in denen die Menschen leben. Und wichtig ist außerdem die Unterstützung von Selbsthilfe und Ideen – wie eben der von Herrn Jacuzzi.


Keinesfalls will ich die Bedeutung der spezialisierten Medizin kleinreden; das hieße, viele Fortschritte zu leugnen. Wir brauchen Spezialisten und auch theoretische Wissenschaftler. Aber die tägliche Betreuung und Begleitung der Menschen, kurzum das, was man unter Beziehung und Begleitung versteht, das ist doch eher meins. Und vermutlich auch Ihres. Und uns braucht es in einer von Technik beherrschten Medizin halt genauso – vielleicht sogar mehr.


PS: Eigentlich waren die Jacuzzis mehrere Brüder, die aus Italien in die USA emigriert waren und ursprünglich Pumpen bauten. Auch wenn die Geschichte vom rheuma-kranken Sohn vielleicht nicht wahr ist, dann ist sie zumindest gut erfunden.