Abnormes Sex-Verhalten durch Hirnschäden?

Was steckt dahinter, wenn sich ein Mensch an Windeln erregt, obszönen Anrufen oder gar an der Vorstellung von Sex mit Leichen? Böse Laster, die mit Willensstärke zu besiegen sind, glaubte man im 19. Jahrhundert. Psychogene Störung, dachte Freud. Heute weiß man, dass auch Organisches eine wichtige Rolle spielt.

Die Paraphilien umfassen eine breite Palette von sexuell abweichendem Verhalten. Beispiele hierfür reichen von Fetischismus, Exhibitionismus oder Sadismus bis Scatologie (obszöne Anrufe), Klysmaphilie (Klistierspritzen) oder Nekrophilie (Unzucht mit Leichen). Definitionsgemäß besteht eine Paraphilie, wenn eine Person über mindestens sechs Monate immer wieder intensive sexuelle Fantasien oder dranghafte Bedürfnisse verspürt, die sich auf folgende Items beziehen:

  • nichtmenschliche Objekte
  • das Leiden bzw. die Demütigung der eigenen Person oder eines Partners
  • Kinder oder andere nicht einwilligende bzw. nicht einwilligungsfähige Personen

Eine sexuelle Abweichung kann sich auf das Objekt oder auf die Handlung beziehen. Manchmal wird sogar die eigene Person zum Sexualobjekt: Autonekrophile z.B. erregt es, wenn sie sich vorstellen, als Leiche von anderen begehrt zu werden. Sarg und Leichenhemd als Requisiten schmücken diese Illusionen aus.

Schon Affen präsentieren den Phallus

Schon seit den frühesten Anfängen der Psychoanalyse ringt man darum, zu begreifen, wie Paraphilien entstehen, schreibt Dr. Thomas Knecht von der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen im "Schweizer Medizinischen Forum". Sind es frühkindliche Erfahrungen, spielen stammesgeschichtliche Aspekte eine Rolle, genetische Belastung oder organisches Leiden? Eine Autorengruppe ermittelte 1970 verschiedene Risikofaktoren wie uneheliche Geburt, fehlende Vaterfigur, frühe sexuelle Handlungen mit Erwachsenen und viel Autoerotik in der Pubertät (prädominante Masturbation) als Risikofaktoren für Paraphilien.

Der bekannte Verhaltensforscher Eibl-Eibesfeldt erklärt Sadismus/Masochismus auf phylogenetischer Basis: Die stammesgeschichtlich alten Reptilien kennen als "Sexvorspiel" nur Kampf und Unterwerfung - Zärtlichkeiten (Schnäbeln, Küssen etc.) sind relativ neue Errungenschaften. Andererseits stehen selbst bei höheren männlichen Säugetieren Aggression (Kampf) und Sexualität (Kopulation) eng beieinander. Beim Menschen ist das archaischere Sexverhalten oft mit Frühreife und sozialen Erfahrungsdefiziten gekoppelt. Isolierte, vulnerable Kinder sind anfälliger für den Konnex Aggression-Sexualität, vermutet Dr. Knecht.

Auch in Sachen Exhibitionismus finden sich phylogenetische "Links": Schließlich benutzen viele Affen die Phallus-Präsentation, um auf ihren Status aufmerksam zu machen und ihr Revier zu verteidigen.

Komplexer wird es bei der Pädophilie: Hier identifizierte man genetische Risikofaktoren, Hinweise auf höheres Alter der Eltern und Anhaltspunkte für eine allgemeine Hirnentwicklungsstörung der Betroffenen. Ein Autor beschrieb bei Pädophilen sogar präzise eine verminderte Hirndurchblutung und signifikant dünnere Schädelknochen, ein anderer erweiterte Hirnventrikel sowie geringere Intelligenzquotienten.

Windelfetischismus aus Temporallappen

Organisches soll auch beim Fetischismus eine Rolle spielen, wo z.B. bestimmte Körperteile, Wäschestücke oder auch eine Windel zum eigenständigen Sexualobjekt werden. Dazu erläutert Dr. Knecht, dass das Motivationszentrum für Kopulationsverhalten im Hypothalamus sitzt, für die Wahl eines Partners aber die temporale Hirnrinde unabdingbar ist. Ein "Fehler" im Schläfenlappen also als Ursache für fetischistisches Verhalten? In der Literatur, berichtet der Kollege, gibt es Fallberichte über Windelfetischismus im Zusammenhang mit Temporallappenanfällen. Zudem existieren Beispiele, in denen Antikonvulsiva bzw. temporale Lobektomie nicht nur gegen Anfälle halfen, sondern auch das deviante Sexualverhalten unter Kontrolle brachten.

Wenn nötig, Triebdämpfer einsetzen

Allerdings, betont der Psychiater, lässt sich nicht aus jeder Paraphilie eine Behandlungsindikation ableiten. Nur wenn der Betroffene selbst stark leidet oder die öffentliche Sicherheit gefährdet, sind Interventionen angezeigt. Da eine "sexuelle Umprägung" in der Regel nicht möglich ist, kommen meist triebdämpfende Medikamente, die sog. "chemische Kastration", zum Zuge. Mit dieser hat man u.a. bei Pädophilie, sexuell motivierter Tötung, Inzest, Fetischismus und Masochismus positive Erfahrungen gemacht.

An Medikamenten haben sich dafür Cyproteronacetat, Medroxyprogesteron und LH-RH-Agonisten bewährt. Östrogene und Progestagene spielen wegen ihrer Nebeneffekte eine geringere Rolle, während Psychopharmaka laut Dr. Knecht wegen unsicherer Wirkung in den Hintergrund getreten sind.

Lust an Schmutz und schönen Bildern

Paraphilien einzuteilen ist bei der großen Bandbreite nicht einfach. Ein amerikanischer Autor begnügte sich daher mit einer Aufstellung (weit über 30). Hier einige Beispiele daraus:

Apotemnophilie: sexuelle Erregung durch Selbstamputation

Autagonistophilie: Verkehr auf der Bühne

Autassassinophilie: Inszenierung der eigenen Tötung

Mysophilie: Schmutzlust

Pictophilie: sexuelle Lust an Gemälden

Telefon-Scatophilie (Pornolalomanie): obszöne Anrufe

Somnophilie: Sichvergehen an Schlafenden

Symphorophilie: Erregung durch Katastrophen/Unglücksfälle

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