
Ärzte sollten sich nicht selbst therapieren

Bis zu 70 % mit Burn-out, jeder Fünfte nimmt Medikamente, zwei Drittel achten nicht ausreichend auf ihre Gesundheit: Umfragen unter Ärzten zum Wohlergehen liefern regelmäßig erschütternde Ergebnisse. Psychiater Dr. Bastian Willenborg von der Oberberg Fachklinik Berlin Brandenburg schilderte den Fall einer 1966 geborenen, seit 2005 in alleiniger Praxis niedergelassenen Internistin, der für ihn ein typisches Beispiel darstellt:
2009 kam die Scheidung, die Kinder waren aus dem Haus und die Frau fokussierte sich völlig auf die Arbeit. Dann starben eine enge Kollegin und der Ex-Mann, zu dem sie noch ein gutes Verhältnis hatte. Sie begann, unter Freud- und Antriebslosigkeit zu leiden, fühlte sich gereizt und innerlich angespannt. Herzbeschwerden, Schlaf-, Konzentrations- und Wortfindungsstörungen kamen hinzu. Was tat sie? Ließ sich zunächst von ihrer MFA ein EKG schreiben, das aber unauffällig war. Als Nächstes griff sie zu (mehr) Alkohol am Abend und als das nicht half, zu Escitalopram – selbstverständlich im Nachbarort besorgt, damit es keinem auffällt.
Über spezifische Therapie raus aus der Abwärtsspirale
Irgendwann ging es nicht mehr und sie suchte doch Hilfe beim Spezialisten. Die Diagnose lautete: depressive Episode, gepaart mit Alkoholmissbrauch. Die Kollegin begab sich in stationäre psychosomatische Behandlung und im Anschluss in ambulante Psychotherapie. Ein knappes Jahr später meldete sie sich wieder und berichtete, dass es ihr gelungen war, ihr Verhalten erfolgreich zu ändern und sie es nun schaffte, sich an individuellen Werten zu orientieren.
Was genau stresst Ärzte so sehr? Kollegen beiderlei Geschlechts beklagen als Top 3 der äußeren Belastungsfaktoren die Bürokratie, lange Arbeitszeiten bzw. wenig Freizeit und die Fließbandmedizin. Bei den inneren Belastungsfaktoren dominieren Unkollegialität, ungenügende Ausbildungsstrukturen und der Tod von Patienten. Allerdings lassen sich auch immer wieder sehr hohe Zufriedenheitswerte unter Ärzten bezüglich ihres Jobs ermitteln.Nichtsdestotrotz liegen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung die Suizidraten bei Ärzten um das 1,3- bis 3,4-Fache höher, bei Ärztinnen um das 2,5- bis 5,7-Fache. Fachgruppenspezifisch betrachtet begehen Anästhesisten und Psychiater am häufigsten Selbstmord. Substanzabhängigkeit hat unter Medizinern eine Lebenszeitprävalenz von 8–9 %, konsumiert werden dabei weniger illegale Drogen und Zigaretten, dafür mehr Alkohol, Opioide und Benzodiazepine.
Respekt und Interesse zeigen statt bedrängen und belehren
Besteht der Verdacht, dass jemand im Umfeld betroffen ist, rät Dr. Willenborg dazu, das Thema offen anzusprechen: „Auf Augenhöhe, mit Empathie und nicht wertend. Statt zu bedrängen, muss man die Autonomie respektieren und statt zu belehren, fragen.“ Resilienztipps gibt er für sechs Bezugssysteme:
- Kollegen/Vorgesetzte
- Patienten
- außerberufliche Lebenswelt
- gesundheitspolitische Rahmenbedingungen
- der eigene Körper
- die eigenen Ziele und Antreiber
Im Umgang mit Kollegen gelten z.B. stabile Geben-Nehmen-Relationen als generalisierte Stresspuffer. Außerberufliche Beziehungen und Interessen sollte man als übergeordnete Ressource betrachten, die u.a. bei Stressabbau und der Verarbeitung von berufsbezogenen Belastungen hilft. Gleichzeitig gilt: Signale der Erschöpfung wahrnehmen, Antreiber erkennen sowie das Selbstwirksamkeits- und Sinnerleben stärken.
Grenzen setzen ist das A und O. Das kann man laut Dr. Willenborg üben, z.B. indem man sich im Vorfeld folgende Fragen beantwortet: In welchen Situationen würde ich gerne Grenzen setzen? Wie würde das aussehen? Welchen Anker könnte ich mir für diese Situationen schaffen? Welche inneren Gegenstimmen tauchen auf und welche innere Erlaubnis brauche ich vielleicht dafür? Wer das nicht alleine schafft, sollte es sich vielleicht einmal in einer Psychotherapie anschauen, riet der Psychiater.
Kongressbericht: 128. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin
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