Cartoon Gesundheitspolitik

BÄK-Chef Dr. Klaus Reinhardt kritisiert eine Gesundheitspolitik ohne roten Faden

Michael Reischmann

Dr. Klaus Reinhardt (59) ist der neue Präsident der Bundesärztekammer. Dr. Klaus Reinhardt (59) ist der neue Präsident der Bundesärztekammer. © picture alliance/Guido Kirchner/dpa

Was bei der Vorbereitung der GOÄ-Reform funktioniert hat, will Dr. Klaus Reinhardt als neuer Präsident der Bundesärztekammer (BÄK) auch bei anderen Themen praktizieren: gemeinsame Analyse und Entscheidungsfindung trotz unterschiedlicher Interessen. Mit Jens Spahn kann er gut – obwohl er bei ihm eine Vision fürs Gesundheitswesen vermisst.

Zu den vielen Gratulanten, die sich über Ihre Wahl freuten, gehörte zum Beispiel auch der Hausärzteverband Westfalen-Lippe, bei dem Sie seit 2004 Mitglied sind. Ist es ein Vorteil für die Hausärzte oder die Niedergelassenen, dass nach rund 70 Jahren wieder ein Hausarzt an der Spitze der BÄK steht?

Dr. Reinhardt: Der Präsident der Bundesärztekammer ist der Präsident aller Ärzte. Deshalb werde ich mich für alle einsetzen, ganz gleich aus welcher Fachrichtung und aus welchem Versorgungsbereich sie kommen. Dass sich die hausärztlichen Kolleginnen und Kollegen aus meiner Heimat Westfalen-Lippe besonders über das Wahlergebnis gefreut haben, kann man sicherlich nachvollziehen.

Bei Ihrer Bewerbungsrede haben Sie sich eine „intelligente, koordinierte Vorwärtsstrategie von Bundes­ärztekammer, Landesärztekammern, KVen und Verbänden“ gewünscht. Sind die Bedingungen dafür – insbesondere die Bereitschaft der handelnden Personen – schon gegeben?

Dr. Reinhardt: Ich will versuchen, die entsprechenden Personen in der nächsten Zeit zusammenzubringen.

Die Ärzteschaft ist ein in Kammern, KVen, Verbänden und Fachgesellschaften gut, aber eben auch heterogen organisierter Berufsstand. Es ist sinnvoll, diese Substrukturen etwas zu koordinieren, damit wir in grundsätzlichen Fragen zu konsentierten Botschaften kommen. Hierbei spielen Kommunikation und das Einbeziehen in Entscheidungsprozesse eine große Rolle.

Ihre Wahl zum BÄK-Präsidenten ist sicherlich auch mit der Hoffnung auf eine gute GOÄ-Reform verbunden. Wird das zur Nagelprobe?

Dr. Reinhardt: Die GOÄ ist ein gemeinsames Produkt von Bundesärztekammer, Berufsverbänden und Fachgesellschaften. Was ich gerade grundsätzlich formuliert habe, haben wir hier bereits themenbezogen vorgemacht. Insofern habe ich diese Nagelprobe schon bestanden. Sich gegenseitig die eigenen Interessen in Ruhe zu erläutern, um Schnittstellen und Übereinkünfte zu finden und dann gemeinsam zu handeln – diese Vorgehensweise wird von der GOÄ auch auf andere Themen abstrahlen. Das will ich nicht anders machen.

Die Umsetzung der GOÄ-Reform ist abhängig vom Willen der politisch Handelnden, insbesondere des Verordnungsgebers. Es wird sich zeigen, wie sich das BMG und die SPD positionieren, wenn die von der Koalition eingesetzte wissenschaftliche Kommission für ein modernes Vergütungssystem ihr Gutachten abgegeben hat. Der Bundesärztekammerpräsident hat darauf nur einen kleinen Einfluss. Aber wir haben unsere Vorarbeiten erledigt. Den Optimismus, dass es mit der Reform klappt, habe ich nach wie vor.

Sie haben jüngst gesagt: „Zeit ist nicht nur für Diagnostik und Therapie essenziell, sondern auch für die Berufszufriedenheit der Ärztinnen und Ärzte. Hier muss sich dringend etwas ändern. Dafür werde ich mich einsetzen.“ Was können Sie tun?

Dr. Reinhardt: Ich werde mich dafür einsetzen, dass sich alle Beteiligten – private wie gesetzliche Kostenträger, Selbstverwaltungsorganisationen, Vertragsärzteschaft, Krankenhausgesellschaft – mit uns zusammensetzen und eine sachliche Analyse erstellen: Wie lässt sich die Zusammenarbeit zwischen Haus- und Fachärzten besser organisieren, wie können wir Schnittstellen zwischen den Sektoren überwinden und wie lässt sich unser Honorarsystem so weiterentwickeln, dass für die Patienten die Versorgungsqualität und für Ärzte die Berufszufriedenheit steigt?

Ein Beispiel: der Quartalsbezug in der vertragsärztlichen Honorierung. Deswegen entstehen eine Menge Praxis-Patienten-Kontakte, die nicht erforderlich sind. Mitunter würde es ausreichen, wenn ich einen gut eingestellten, chronisch kranken Patienten nur einmal im Jahr sehe und nicht einmal im Quartal. Bisher dürfen wir aber keine Rezepte für ein ganzes Jahr ausstellen, sondern nur quartalsweise. Dadurch fehlt die Zeit für den schwerkranken Krebspatienten, den man mehrmals pro Woche zu Hause aufsuchen muss.

Wenn hier nun die Kostenträger argumentieren würden: „Ärzte, die einen Patienten nur noch halb so oft sehen, kriegen auch nur halb so viel Honorar“, wäre die Diskussion gleich zu Ende. Denn es dürfen nicht Praxisstrukturen geschliffen werden. Es geht darum, dass Menschen, die akut erkrankt sind oder deren Erkrankung sich verschlechtert hat, in kurzer Zeit Hilfe in Anspruch nehmen können, die ein möglichst gutes Ergebnis zeitigt.

Das klingt nicht utopisch. Die Hausarzt- und Facharztverträge in Baden-Württemberg ...

Dr. Reinhardt: ... berücksichtigen das bereits. Ja! Darum sind sie auch erfolgreich.

Müssen die Ärzte wegen des Trends zur Akademisierung und Übertragung von Verantwortung an unterstützende bzw. andere therapeutische Berufe um Zuständigkeiten und Einkommen bangen?

Dr. Reinhardt: Die Diagnose muss Sache des Arztes bleiben, alles andere wäre fahrlässig. Denn ein geschildertes Symptom kann etliche, mitunter gravierende Ursachen haben. Das differenzialdiagnostisch zu bewerten, erfordert eine fundierte ärztliche Aus- und Weiterbildung. Darauf möchten Patienten sicher nicht verzichten.

Gleichwohl sollten sich Pflegekräfte, Physiotherapeuten und andere Gesundheitsberufe, die mit uns zusammenarbeiten, weiterqualifizieren können und in einem mit uns abgestimmten Umfang selbstständiger mit Patienten umgehen. Das kann man entwickeln. Unsinnig wäre dagegen das Schaffen zusätzlicher Sektoren, weil mit jedem Übergang Informationsbrüche und organisatorische Defizite entstehen. Dass wir als Ärzteschaft dem „Arzt light“ das Wort reden, kann niemand erwarten.

Sie und Jens Spahn kommen aus Westfalen. Hört damit schon die Gemeinsamkeit auf? Sie haben ihm überhastete Gesetzesvorhaben vorgeworfen.

Dr. Reinhardt: Die persönliche Beziehung zu Herrn Spahn ist gut. Wir kennen uns schon lange und mögen beide das offene Wort.

Ich finde allerdings, dass er in einer Geschwindigkeit Gesetze produziert, die die Bundestagsabgeordneten, die sie beschließen sollen, die Selbstverwaltungsorganisationen, die mit ihnen umgehen müssen, und die Patienten, auf die sie sich auswirken, kaum noch nachvollziehen können. Mitunter kann ich bei seinen vielen kleinteiligen Vorhaben auch keinen roten Faden erkennen.

Wir brauchen Antworten auf die großen Fragen: Wie gehen wir mit dem Fachkräftemangel bei gleichzeitig wachsendem Versorgungsbedarf der Bevölkerung um? Welchen Ordnungsrahmen müssen wir setzen, damit die Digitalisierung in der Medizin nicht nur Selbstzweck ist, sondern die Patientenversorgung wirklich voranbringt? Wir sind gerne bereit, mit der Politik nach Antworten zu suchen. Die Herausforderungen für unser Gesundheitswesen sind einfach zu groß, als dass wir sie der Politik allein überlassen können.

Das Gespann Spahn/Lauterbach scheint möglichst viele Dinge auf die Schiene setzen zu wollen, ehe es mit Schwarz-Rot zu Ende geht.

Dr. Reinhardt: Den Eindruck teile ich. Aber ist das verantwortungsvolles Handeln? Wenn man für Stellungnahmen zu Gesetzentwürfen nur acht, zehn Tage Zeit hat und jede Woche zu mannigfaltigsten Themen neue Anfragen reinkommen, könnte man dahinter fast System vermuten. Doch Hast war noch nie eine gute Eigenschaft.

Themenwechsel: Sie haben sich in einem Interview für eine Frauenquote in Führungspositionen in der Medizin ausgesprochen.

Dr. Reinhardt: Ich bin Mitglied im Verein Pro Quote. Die Frauenquote ist ein gesamtgesellschaftliches Thema: Im Gesundheitswesen arbeiten zwar ausgesprochen viele Ärztinnen. Aber wie auch in anderen Branchen ist es uns noch nicht gelungen, dafür zu sorgen, dass eine angemessen hohe Zahl von Frauen in leitenden Funktionen tätig ist. Um das zu befördern, braucht es vielleicht tatsächlich eine Quote. Ich finde jedenfalls, dass man alles dafür tun muss, um Frauen die Mitarbeit in leitenden Funktionen zu ermöglichen – auch im Medizinbetrieb.

An der Spitze des Hartmannbundes, der Bundesärztekammer und der Ärzte­kammer Westfalen-Lippe steht allerdings ein Mann.

Dr. Reinhardt: Immerhin sind zwei Vizepräsidentinnen mit an Bord der Bundesärztekammer. Zugegeben: Im Vorstand des Hartmannbundes ist nur eine Frau. So sind halt manchmal die Wahlergebnisse. Oder es gelingt nicht, jemanden zu motivieren, mitzumachen.

Eigene Praxis, BÄK-Präsident, HB-Vorsitzender, Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Ausschussvorsitzender in der KV – wie schaffen Sie das alles?

Dr. Reinhardt: Es ist von Vorteil, den Fuß in einer Ärztekammer zu haben – auch weil man dann selbst mitbekommt und zurückspiegeln kann, wie sich manche Entscheidung der Bundesebene ganz konkret vor Ort auswirkt. Gleiches gilt für meine Tätigkeit für die Kassenärztliche Vereinigung. Aber natürlich geht jetzt die ärztliche Tätigkeit zurück. Ich werde nur noch montags in der Praxis sein und den Rest der Woche in Berlin verbringen.

Vielfach ergeben sich allerdings auch Synergien, weil sich Themen in den unterschiedlichen Organisationen und Gremien überschneiden. Und sicherlich ist es nicht schädlich, die größere Beinfreiheit eines Verbandes politisch nutzen zu können. Zumal der Hartmannbund seit über 100 Jahren versucht, die Interessen aller Ärzte zu wahren. Das deckt sich sehr gut mit dem, was die Bundes­ärztekammer tut.

Der Weg an die Spitze

Dr. Klaus Reinhardt (59) arbeitet in Bielefeld zusammen mit einem Partner, einer internistischen Entlastungsassistentin und einem Quereinsteiger in Weiterbildung in der Praxis, die schon seine Eltern geführt haben. Medizinstudium und Staatsexamen absolvierte er in Padua/Italien. 1993 ließ er sich als Facharzt für Allgemeinmedizin nieder. Seit 2005 ist er Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe. 2011 rückte er an die Spitze des Hartmannbundes. Als Vorsitzender des BÄK-Ausschusses „Gebührenordnung“ ist er seit 2016 für die Vorbereitung der GOÄ-Reform verantwortlich. Die Wahl zum BÄK-Präsidenten Ende Mai gewann er im dritten Wahlgang knapp mit 124 zu 121 Stimmen gegen die niedersächsische Kammerchefin Dr. Martina Wenker. Die Bremer Leitende Oberärztin Dr. Heidrun Gitter und die Erfurter HNO-Ärztin Dr. Ellen Lundershausen, mit denen Dr. Reinhardt als Team zur Wahl antrat, wurden Vizepräsidentinnen.

Medical-Tribune-Interview

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Dr. Klaus Reinhardt (59) ist der neue Präsident der Bundesärztekammer. Dr. Klaus Reinhardt (59) ist der neue Präsident der Bundesärztekammer. © picture alliance/Guido Kirchner/dpa