Bestrahlung im Frühstadium bevorzugen, wenn postoperative Morbidität droht

Lara Sommer

Zur Beurteilung seltener Vaginaltumoren gibt es jetzt einen Bewertungsschlüssel. Zur Beurteilung seltener Vaginaltumoren gibt es jetzt einen Bewertungsschlüssel. © SENTELLO – stock.adobe.com

Bei Erwachsenen entspringen Tumoren der weiblichen Geschlechtsorgane nur in 2 % der Fälle der Vagina. Für diese seltenen Entitäten haben drei Fachgesellschaften erstmals gemeinsame Empfehlungen aufgestellt. Wie Ärzt:innen mit vaginalen Plattenepithelkarzinomen, dem mit Abstand häufigsten adulten Subtyp, umgehen sollten.

Da Vaginaltumoren sehr selten auftreten, sollten Ärzt:innen Betroffene an spezialisierte Zentren überweisen. Gemäß der neuen Empfehlungen sind Behandlungsentscheidungen in einem multidisziplinären Team zu treffen (Evidenzlevel V, Empfehlungsgrad A). „Das ist eine Kombination von Expert:innen aus Strahlen­therapie, Gynäkoonkologie, Pathologie, die alle zusammenarbeiten müssen, damit man nicht nur die Diagnose richtig stellt, sondern auch die Therapie individuell bestmöglich plant“, erläuterte Prof. Dr. ­Christina ­Fotopoulou, Gastwissenschaftlerin an der ­Charité - Universitätsmedizin Berlin, die an der Leitlinie mitwirkte.

Diagnostik

Zur Sicherung der Diagnose erfolgt eine klinische Untersuchung von Vagina und Becken, inklusive der Entnahme relevanter Biopsien. Diese erfordert möglicherweise eine Vollnarkose (IV, C). Besonders in frühen Stadien sollten Fachleute auch mit einer Kolposkopie das initiale Ausmaß der Läsionen erheben (IV, A). Eine MRT stellt den Standard dar, um die lokale Ausbreitung zu beurteilen (IV, A), während sich Me­tastasen durch eine CT oder PET-CT nachweisen lassen.

Die Verfasser:innen der Leitlinie empfehlen, folgende Merkmale zu dokumentieren:

  • Lokalisation, Größe und Invasionstiefe des Tumors
  • Histologie
  • HPV-Status
  • Lymphknotenstatus, ggf. SLN*
  • lymphovaskuläre Invasion
  • Befund der Resektionsränder
  • Vorläuferläsionen und weitere ­Pathologien
  • bestätigte Fernmetastasen
  • vorläufige Stadieneinteilung 

Proben mit seltenen oder ungewöhnlichen Histologien sollten Spezialist:innen begutachten (V, A). „Bevor man die Diagnose Vaginalkarzinom stellt, muss man Metastasen anderer Tumoren ausschließen, beispielsweise eines Zervix- oder Rektumkarzinoms“, ergänzte die Expertin.

Neue Vaginalkrebs-Guideline

13 Expert:innen erarbeiteten erstmals Empfehlungen zur Diagnostik, Behandlung und Nachsorge von Plattenepithelkarzinomen der Vagina, die 80–95 % der Fälle ausmachen. Darüber hinaus stellen sie auch extrem seltene Histologien sowie pädiatrische Tumoren dieses Organs vor. An dem Leitlinienprojekt beteiligten sich die Fachgesellschaften ESGO, ESTRO und SIOP.

Behandlung im Stadium I

Eine kurative Resektion mit partieller Kolpektomie sollten Ärzt:innen nur für Tumoren bis zu 2 cm in Betracht ziehen, die weit genug von kritischen Strukturen wie Rektum und Urethra entfernt liegen (IV, A). Gemäß den Autor:innen ist eine Kombination aus radikaler Operation und Strahlentherapie zu vermeiden, da die iatro­gene Morbidität steigt (IV, A). 

Betrifft das Malignom die oberen zwei Drittel der Vagina, sollten die Behandelnden die Beckenlymphknoten untersuchen, bei einer Position im untersten Drittel der Leiste (IV, A). Befinden sich dort doch Tumorzellen im endgültigen Lymphknoten-Histologiepräparat, rät Prof. Fotopoulou, ist eine Ra­diatio im Anschluss durchzuführen.

Die zweite Option für frühe Vaginalkarzinome besteht in einer definitiven Chemoradiotherapie. Die Expert:innen empfehlen in Stadium I eine Kombination aus EBRT und Brachytherapie, außerdem die gleichzeitige Gabe einer Cisplatin-basierten Chemotherapie (IV, A). Wenn der Wirkstoff kontraindiziert ist, stellen Carboplatin oder eine alleinige Bestrahlung Alternativen dar. 

Lokal fortgeschrittene Tumoren

Bevorzugt erhalten Patient:innen mit lokal fortgeschrittener Erkrankung ohne Fernmetastasen eine definitive platinbasierte Chemoradiotherapie, gefolgt von einer konsolidierenden Brachytherapie (IV, A). Bei Erkrankten mit T4a-Tumoren, die bereits Fisteln gebildet haben, sollten die Mediziner:innen eine Diversion von GI- und GU-Trakt erwägen (IV, A). „Deswegen ist es ganz wichtig, dass man vorher eine Rektoskopie und Zystoskopie durchführt und individuell davon abhängig macht, ob man möglicherweise ein Stoma und/oder  eine Nephrostomie legen muss“, ordnete die Gynäkoonkologin ein. Es gibt noch keine Evidenz dafür, neoadjuvante systemische Therapien außerhalb klinischer Studien anzuwenden (V, C).

Fernmetastasen

Allgemein sollten Betroffene mit weit fortgeschrittener Krankheit frühzeitig Zugang zu Palliativ­medizin erhalten (V, A). Im Fall einer Oligometastasierung können Ärzt:innen eine Kombination aus definitiver Chemoradio­therapie und systemischer Behandlung mit kurativer Intention erwägen (IV, C). Palliative Bestrahlung stellt wieder­um eine Möglichkeit dar, Blutungen, Ausfluss und tumorbedingte Schmerzen zu kontrollieren (IV, A).

Fitte Patient:innen mit verstreuten Fernmetastasen sollten eine platinbasierte Chemotherapiekombination, analog zu Zervixkarzinomregimen, erhalten (IV, A). Die Auswahl hängt dabei von vorausgegangenen Behandlungen, dem Performance Status und Komorbiditäten ab (IV, B). 

Bewertungsschlüssel für die Leitlinienempfehlungen
Evidenzlevel
I Evidenz aus mindestens einem großen RCT guter methodologischer Qualität oder einer Metaanalyse gut durchgeführter randomisierter Studien ohne Heterogenität
II kleine randomisierte Studien oder größere randomisierte Studien mit Bias-Potenzial; Metaanalysen solcher Studien oder mit signifikanter Heterogenität
III prospektive Kohortenstudien
IV retrospektive Kohortenstudien oder Fallkontrollstudien
V Studien ohne Kontrollgruppe, Fallberichte, Expert:innenmeinungen
Empfehlungsgrad
A starke Evidenz für die Wirksamkeit und einen substanziellen klinischen Nutzen; stark empfohlen
B starke oder moderate Evidenz für die Wirksamkeit, aber beschränkter klinischer Nutzen; generell empfohlen
C unzureichende Evidenz für die Wirksamkeit oder der Nutzen überwiegt nicht die Risiken/Nachteile; optional
D moderate Evidenz gegen eine Wirksamkeit oder für ein ungünstiges Ergebnis; generell nicht empfohlen
E starke Evidenz gegen eine Wirksamkeit oder für ein ungünstiges Ergebnis; niemals empfohlen

Lokalrezidive

Besteht der Verdacht eines Rezidivs, sichern Onkolog:innen diesen histologisch ab und erheben den Krankheitsstatus durch Bildgebung (IV, A). Ein kuratives Behandlungsziel erfordert in dieser Situation besondere multidisziplinäre Zusammenarbeit (V, A). Für bestrahlungsnaive Patient:innen empfehlen die Expert:innen eine Chemo­radiotherapie samt Brachytherapie (­IV,­ A).

In einigen Fällen kommt auch eine radikale Operation infrage (IV, B). „Bei einer kurativen Exenteration müssen die Behandelnden gewährleisten, dass die Resektions­ränder frei sind. Das bedeutet, es muss sich um ein zentrales Rezidiv handeln“, präzisierte die Ärztin. Eine Alternative könnte hier auch eine Reirradiation mit IGABT** in erfahrenen Zentren darstellen (IV, B). Ist eine aktive lokale Therapie keine Option, sollten die Betreffenden eine palliative Versorgung erhalten.

Nachsorge

Gemäß den Empfehlungen finden Kontrolltermine zunächst alle 3–4 Monate statt, zwischen dem dritten und fünften Jahr alle 6–12 Monate (IV, A). Neben der Erfragung subjektiver Symptome gehört dazu, Vulva, Vagina, Becken und die Inguinallymphknoten zu inspizieren. Erfahrungen mit Zervixkarzinomen zufolge ergibt eine routinemäßige Zytologie nur beschränkt Sinn, um Rezidive zu detektieren. Auch Labortests und Bildgebung sollten vermutlich nur bei konkretem Verdacht eingesetzt werden.

Ärzt:innen sind außerdem angehalten, Patient:innen über Symptome eine Rezidivs und Langzeitkomplikationen ihrer Therapie aufzuklären. „Blutungen, Ausfluss, Schmerzen“, führte Prof. Fotopoulou als Warnzeichen auf, die Überlebende besonders beachten müssen.

* Sentinal Lymph Node
** Image-guided Adaptive ­Brachytherapy

Quelle: Nout RA et al. Int J Gynecol Cancer 2023; DOI: 10.1136/ijgc-2023-004695

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