Die erste S3-Leitlinie zum Lungenkarzinom ist fertig

Birgit-Kristin Pohlmann, Foto: thinkstock

Die aktuelle S3-Leitlinie soll dazu beitragen, die Versorgungsqualität von Patienten mit Lungenkrebs bundesweit zu standardisieren und zu optimieren. Wir haben für Sie die wichtigsten Aspekte der Leitlinie zum nicht kleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC) zusammengefasst.

Die Leitlinie zum nicht kleinzelligen Lungenkarzinom, das etwa 85 % aller Bronchialkarzinome ausmacht, bietet laut Professor Dr. Martin Wolf vom Klinikum Kassel eine wichtige Grundlage für diagnostische und therapeutische Entscheidungen und erhöht die Chance, dass die Patienten bundesweit eine durch Evidenzen abgesicherte Therapie erhalten:„Wir erhoffen uns von der neuen S3-Leitlinie, die Behandlungsqualität bundesweit zu optimieren und in der Konsequenz auch die Überlebensraten der Patienten zu erhöhen.“

Bei den noch lokal begrenzten Stadien des NSCLC erhofft sich Prof. Wolf, dass „über die neue Leitlinie die Rate der adjuvant behandelten Patienten steigt und wir damit auch die Heilungsrate erhöhen“. Die Leitlinie hat klar definiert, dass ab dem Stadium II/IIIA1-2 eine adjuvante Chemotherapie indiziert ist. Im Stadium IB ist dies dagegen eine Einzelfallentscheidung. Hier sollte sich die Entscheidung an der Tumorgröße orientieren, die laut Prof. Wolf der einzige validierte Marker ist.

Überlebensgewinn durch adjuvante Chemotherapie voll ausschöpfen

Laut Studiendaten liegt der Cutoff-Wert bei 4 cm, erläutert der Experte. Die Leitlinie empfiehlt die adjuvante Chemotherapie jedoch erst ab einer Tumorgröße von 5 cm, was laut Prof. Wolf diskussionswürdig und aufgrund der Studienlage nicht nachvollziehbar ist. Im Schnitt, so Prof. Wolf, bringt die adjuvante Chemotherapie einen Überlebensgewinn von etwa 10 % nach fünf Jahren.

Bei den lokal fortgeschrittenen Patienten ohne Fernmetastasen ist der mediastinale Lymphknoten-Befall von entscheidender Bedeutung für die Therapieentscheidung. So ist bei Patienten mit T4N0-Tumor ohne Lymphknotenbefall die Operation Standard. Ob eine adjuvante Nachbehandlung sinnvoll ist, lässt die Leitlinie offen und sollte laut Prof. Wolf in Absprache mit dem Operateur entschieden werden. In der Regel sollte ein Patient mit T4-Tumor nachbestrahlt werden.

Im Stadium IIIA3 gibt es gleich mehrere Optionen

Bei Patienten mit geringem und technisch resektablem mediastinalem Lymphknotenbefall (Stadium IIIA3) ist das systemische Rezidiv das Hauptrisiko. Die Leitlinie bietet hier zusätzlich zur Operation mehrere Therapieoptionen an. In der Regel benötigen die Patienten zusätzlich – prä- oder postoperativ – eine Chemotherapie, betont Prof. Wolf. Für die präoperative Chemotherapie spricht, dass die Patienten die Behandlung tatsächlich erhalten. Nach der Operation gehen nach Worten des Experten bis zu einem Drittel der Patienten für die weitere Behandlung verloren, u. a. wegen postoperativer Komplikationen, Reha-Maßnahmen oder weil sie nicht mehr motiviert sind.

Eine definitive Radio-/Chemotherapie (RT/CT) sollte bei den IIIA3- Patienten dann bevorzugt werden, wenn der operative Eingriff so groß ist, dass die postoperative Morbidität den Nutzen infrage stellt. Patienten für eine definitive RT/CT sind daher in der Regel jene mit T4N2/3-Tumoren (Stadium IIIB) sowie mit bulky- N2 (Stadium IIIA4).

Was tun bei Lymphknotenbefall nach falsch negativer Diagnostik?

Eine Sondergruppe stellen die Patienten im Stadium IIIA1+2 dar, die im Rahmen der Diagnostik als N1 oder sogar N0 klassifiziert und daraufhin operiert werden. Die pathologische Aufarbeitung der Lymphknoten ergibt jedoch einen Tumorbefall. Diese Patienten müssen eine adjuvante Chemotherapie erhalten, verdeutlicht Prof. Wolf.

Etwa 10 % der operierten Patienten haben eine solche falsch negative Diagnostik, was sich nicht verhindern lässt, weil die diagnostischen Möglichkeiten hier nicht sensitiv genug sind. Ist eine definitive Chemound Strahlentherapie indiziert, ist es wichtig, beide Modalitäten simultan zu geben, sagt Prof. Wolf. Das gilt grundsätzlich auch für ältere oder leicht komorbide Patienten. Gegebenenfalls sollten hier die Medikamente und Dosierungen angepasst werden. Die simultane Gabe von Chemo- und Strahlentherapie bietet in jedem Fall eine höhere Chance auf ein Langzeitüberleben als die Sequenz.

Singuläre Metastasen operieren und Heilungschancen nicht verschenken

Bei etwa 5 % der metastasierten Patienten mit NSCLC liegt eine singuläre Hirn- oder Nebennieren-Metastase vor. Diese Patienten haben eine echte kurative Chance. Keine Angaben macht die Leitlinie hier zum therapeutischen Vorgehen. Prof.Wolf empfiehlt bei singulären Nebennieren- Metastasen eine Chemotherapie über vier Zyklen. Ergibt die Nachkontrolle, dass zwischenzeitlich keine weiteren Metastasen aufgetreten sind, sollte operiert werden. Andernfalls hat der Patient keinen Vorteil von der Operation, betont Prof. Wolf.

Bei singulärer Hirnmetastase bietet die vorgeschaltete Chemotherapie dagegen keinen Vorteil, weil keine validierte wirksame Chemotherapie zur Verfügung steht. Die Patienten sollten sofort operiert werden mit nachfolgender Chemotherapie und gegebenenfalls Operation des Primärtumors. Ist bei Patienten mit disseminierter Erkrankung eine Chemotherapie indiziert, empfiehlt die Leitlinie bei gutemAllgemeinzustand eine Cisplatin- haltige Behandlung. Dies ist laut Prof. Wolf diskussionswürdig. Carboplatin hat sich in den klinischen Studien als nur geringfügig weniger wirksam erwiesen bei gleichzeitig besserer Verträglichkeit.

Neuer Hoffnungsträger Gefitinib

Einer der wichtigsten Fortschritte in der metastasierten Situation des NSCLC ist laut Prof. Wolf die Substanz Gefitinib: „Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass wir beim NSCLC mit der Ausschaltung eines Wachstumsfaktors eine bessere Wirksamkeit erzielen als mit einer Chemotherapie!“

Die EGFR-Mutation ist offensichtlich ein sehr dominanter Wachstumsfaktor, sodass eine Testung der Patienten obligatorisch durchgeführt werden sollte. Die Leitlinie empfiehlt Gefitinib bei EGFR-Mutation bereits für die Erstlinientherapie. Bevacizumab dagegen verstärkt primär die Wirkung der Chemotherapie bei Patienten mit Nicht-Plattenepithelkarzinom und ist hier first-line zusammen mit der Chemotherapie eine Option. Als dritte zielgerichtete Substanz nennt die Leitlinie Cetuximab, die aber laut Prof. Wolf wohl nicht für die Behandlung des NSCLC zugelassen wird. Hier bedarf die Leitlinie der Überarbeitung.

Erhaltungstherapie noch kritisch bewertet

Wichtig ist nach Worten des Experten, dass die Patienten in der metastasierten Situation mehrere Therapielinien erhalten. Die Substanzen sollten primär sequenzi- Prof. Dr. Martin Wolf Klinikum Kassel »Patienten auf aktivierende EGFRMutation testen« Eine stadiengerechte Behandlung des nicht kleinzelligen Bronchialkarzinoms – die neue S3-Leitlinie gibt den sichersten Weg vor. ell eingesetzt werden, um mit jeder Behandlung ein bisschen Lebenszeit für die Patienten zu gewinnen.

In der Diskussion ist der Stellenwert der Erhaltungstherapie, die in der Leitlinie kritisch bewertet wird. Noch ist nicht geklärt, wie lange die Patienten behandelt werden sollten. Hier, so Prof. Wolf, besteht dringender Klärungsbedarf. Kontrollierte klinische Studien zeigen einen prognostischen Vorteil für Patienten mit „nur“ Krankheitsstabilisierung unter Erstlinientherapie, die mit einer Erhaltungstherapie weiterbehandelt werden.

Welche Zusatzdiagnostik ist sinnvoll - wann ein PET/CT durchführen?

Zurück zum Anfang: Bei der Diagnostik wird in der Leitlinie die zentrale Bedeutung des PET/CT für die Stadienfestlegung und hier insbesondere für die Beurteilung des mediastinalen Lymphknoten-Status dokumentiert. „Ein negatives PET/CT öffnet die Tür zur Operation, ohne dass weitere diagnostische Maßnahmen notwendig sind“, erklärt Prof. Wolf. Bei einem positiven PET/CT ist dagegen eine histologische Sicherung des vermuteten Tumorherdes notwendig.

Ein PET/CT sollte routinemäßig ab einer Tumorgröße von 3 cm durchgeführt werden und bei kleineren Tumoren bei fraglich positivem LK-Befall. Bislang ist das PET/ CT bundesweit nicht flächendeckend verfügbar. Die Leitlinie formuliert damit auch eine klare Anforderung an die medizinische Versorgung.

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