Fachgesellschaft spricht Empfehlungen aus

Dr. Melanie Söchtig

Die US-amerikanische Society for Perioperative Assessment and Quality Improvement (SPAQI) befürwortet einen einheitlicheren Ansatz und hat nun multidisziplinäre, evidenzbasierte Konsensempfehlungen für das präoperative Management veröffentlicht. Die US-amerikanische Society for Perioperative Assessment and Quality Improvement (SPAQI) befürwortet einen einheitlicheren Ansatz und hat nun multidisziplinäre, evidenzbasierte Konsensempfehlungen für das präoperative Management veröffentlicht. © New-Africa – stock.adobe.com

Ob ACE-Hemmer, Antiarrhythmika oder Vaso­dilatatoren – sehr viele Patienten nehmen kardiovaskuläre Medikamente ein. Welche Präparate muss man wirklich pausieren, wenn eine OP ansteht? Eine interdisziplinäre Fachgesellschaft hat die Empfehlungen zu 21 gängigen Medikamentenklassen nun vereinheitlicht.

Steht bei kardiovaskulär erkrankten Patienten eine Operation an, müssen Ärzte informierte Entscheidungen treffen können, wie mit der Dauermedikation prä- und perioperativ zu verfahren ist. Dies gestaltet sich aufgrund unterschiedlicher und teils widersprüchlicher Empfehlungen allerdings schwierig. Einzelne Fachgesellschaften beschränken sich mitunter auf bestimmte Eingriffe und das Vorgehen im Alltag unterscheidet sich von Klinik zu Klinik sowie von Fachrichtung zu Fachrichtung.

Dabei kann eine falsche Entscheidung negative Folgen nach sich ziehen. Beispielsweise birgt die pauschale Anweisung, alle blutdrucksenkenden Medikamente am Morgen der Operation abzusetzen, das Risiko von erhöhten systemischen Blutdruckwerten, was zu einer Verzögerung oder Absage des Eingriffs führen kann. Umgekehrt kann die Fortführung von ACE-Hemmern oder Angiotensin-II-Rezeptorblockern eine Hypotonie während des Eingriffs begünstigen.

Grünes Licht für zehn Arzneimittelklassen

Die US-amerikanische Society for Perioperative Assessment and Quality Improvement (SPAQI) befürwortet einen einheitlicheren Ansatz und hat nun multidisziplinäre, evidenzbasierte Konsensempfehlungen für das präoperative Management veröffentlicht. Die Experten legten den Fokus auf die gängigsten Präparate u.a. zur Therapie von Bluthochdruck, Arrhythmien, Herzinsuffizienz und KHK. Antikoagulanzien, Thrombozytenaggregationshemmer und Lipidsenker wurden nicht berücksichtigt. 

Demnach sollen folgende Wirkstoffe am Morgen des OP-Tags weiterhin eingenommen werden: Betablocker, Kalziumkanalblocker, zentral wirkende Sympatholytika, direkt wirkende Vasodilatatoren, Thiaziddiuretika, Endothelin-Rezeptor-Antagonisten, Herzglykoside, Kaliumkanalöffner, Klasse-I-Antiarrhythmika sowie Natriumkanalblocker. Ebenso fortgeführt soll die Therapie mit folgenden Präparaten, jedoch gelten bestimmte Einschränkungen­:

  • α-Adrenozeptorantagonisten: auf ausreichende Hydratation achten, um posturaler Hypotension vorzubeugen
  • kaliumsparende Diuretika: Flüssigkeitsstatus erheben und ggf. doch pausieren
  • Nitrate: bei kürzlicher Angina pectoris oder Therapieeskalation Eingriff verschieben
  • Klasse-III-Antiarrhythmika: Einsatz anderer QT-Intervall verlängernder Mittel minimieren, EKG sowie Magnesium- und Kaliumspiegel überwachen, potenziell negativ inotropen Effekt berücksichtigen, der sich unter Verwendung von halogenierten Inhalationsanästhetika verstärken kann
  • Phosphodiesterase-5-Hemmer: bei pulmonaler Hypertonie fortführen, ansonsten für 24 Stunden nicht einnehmen

Am Morgen des OP-Tags ausgesetzt werden sollen dagegen ACE-Hemmer und Angiotensin-II-Rezeptorblocker. Bei risikoarmen, minimalinvasiven Interventionen mit minimaler Sedierung oder Lokal­anästhesie (z.B. Katarakt-OP) kann eine Fortführung allerdings erwogen werden. Grundsätzlich trifft das auf alle berücksichtigten kardiovaskulären Standardmedikamente zu, wenn ein solcher Minor-Eingriff ohne bedeutsame hämodynamische Veränderungen ansteht.

Die Autoren raten zudem, vor einer OP auf Renininhibitoren, ARNI*, Schleifendiuretika und SGLT2-Hemmer zu verzichten, wobei Letztere einen Sonderfall darstellen (s. Kasten). Bei schwerer Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion sollen Kardiologen eine Einschätzung abgeben, ob der ARNI pausiert werden kann. Derweil dürfen Patienten mit dem Risiko einer Volumenüberlastung ihr Schleifendiuretikum trotz anstehenden Eingriffs einnehmen.

Sonderfall SGLT2-Hemmer

Werden SGLT2-Hemmer trotz eines anstehenden operativen Eingriffs weiter eingenommen, droht Diabetespatienten eine euglykämische diabetische Ketoazidose. Als Auslöser fungieren u.a. perioperative Nahrungskarenz, Dehydratation, akute Erkrankungen oder Neoplasien. Die pathophysiologischen Mechanismen sind noch nicht vollständig geklärt. Die US-amerikanische Food and Drug Administration und nun auch die SPAQI raten deshalb zu besonderer Vorsicht: Dapagliflozin, Empagliflozin und Canagliflozin sollen drei Tage vor einer OP ausgesetzt werden, Ertugliflozin sogar vier Tage vorher. Die Empfehlung gilt unabhängig von einem zugrunde liegenden Diabetes.

Bei Kombipräparaten gilt „Primum non nocere“

Für den Fall, dass ein Kombinationspräparat zwei Wirkstoffe mit konkurrierenden Empfehlungen enthält, gilt das Prinzip „Primum non nocere“. So sollte z.B. die Einnahme von Angiotensin-II-Rezeptorblocker/Kalziumantagonist ausgesetzt werden. Enthält ein Kombimedikament dagegen einen Wirkstoff, dessen abruptes Absetzen ein Risiko birgt (z.B. Betablocker), kann es sinnvoll sein, die Einnahme fortzusetzen oder zumindest am Morgen des OP-Tags auf ein Monopräparat auszuweichen. 

Die Experten der SPAQI betonen, dass man wie in allen klinischen Situationen die individuellen Umstände betrachten muss. So sind für eine endgültige Behandlungsempfehlung unter anderem die Invasivität des geplanten chirurgischen Eingriffs, die Art der Anästhesie und die Komorbiditäten des Patienten zu berücksichtigen. Inbesondere bei Polypharmazie müssen perioperativ tätige Ärzte beim Aussetzen bestimmter Therapien priorisieren.

*    Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitoren 

Quelle: Sahai SK et al. Mayo Clin Proc 2022; 97: 1734-1751; doi: 10.1016/j.mayocp.2022.03.039

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